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Indem die Umsatzsteuer persönliche Verhältnisse des Steuerschuldners außer Betracht lässt, ist sie eine Sach- oder Objektsteuer (ebenso wie etwa die Gewerbesteuer). Als typische Personensteuer/Subjektsteuer berücksichtigt die Einkommensteuer dagegen die persönlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen (wie etwa den Familienstand, die Kinderzahl, Alter oder Krankheit).
§ 1 Einleitung › C. Charakteristika der Umsatzsteuer › V. Indirekte Steuer
V. Indirekte Steuer
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Die Umsatzsteuer wird den indirekten Steuern zugeordnet. Bei einer indirekten Steuer fallen der Steuerschuldner und derjenige, der die Steuer wirtschaftlich tragen soll (Steuerträger oder Steuerdestinatar) auseinander. Dies ist bei der Umsatzsteuer meist der Fall. Steuerschuldner ist im Regelfall nach § 13a Abs. 1 Nr 1 UStG nämlich der leistende Unternehmer (im Einführungsfall [Rn 10 ff] schulden also H, G und E die Steuer). Wirtschaftlich belastet wird dagegen ausschließlich der Endverbraucher (im Einführungsfall also V). Auf diesen wird die Umsatzsteuer über das zivilrechtliche Entgelt abgewälzt. Darin – Auseinanderfallen von Steuerschuldner und Steuerträger – ist die Umsatzsteuer anderen (speziellen) Verbrauchsteuern vergleichbar.[22] Bei einer direkten Steuer (Beispiele dafür sind die Einkommen- und die Körperschaftsteuer) sind Steuerschuldner und Steuerträger dagegen identisch.[23]
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Auch die Umsatzsteuer wird indes teilweise als direkte Steuer erhoben. So ist beim innergemeinschaftlichen Erwerb (§ 1 Abs. 1 Nr 5 i. V. m. § 1a UStG) der Erwerber der Steuerschuldner (§ 13a Abs. 1 Nr 2 UStG). Bei der Einfuhrumsatzsteuer (§ 1 Abs. 1 Nr 4 UStG) ist die Steuerschuldnerschaft dessen, der eine Lieferung aus dem Ausland erhält, zumindest möglich.[24] Zudem regelt § 13b Abs. 5 UStG eine Vielzahl von Fällen, in denen die Steuerschuldnerschaft auch im „Normalfall“ einer Lieferung oder sonstigen Leistung nach § 1 Abs. 1 Nr 1 UStG auf den Empfänger (der hier meist Unternehmer sein muss) übergeht (Reverse Charge).[25] Die Reverse Charge-Regelungen sind in der Vergangenheit immer weiter ausgedehnt worden, zuletzt mit Wirkung ab dem 1. Oktober 2014 durch das sog. Kroatien-AnpG.[26]
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Diese Entwicklung wird vorläufig nichts daran ändern, dass die Umsatzsteuer als eine – und zwar als die wichtigste – indirekte Steuer wahrgenommen wird. Ein gewisser Trend hin zu einem Gleichlauf zwischen Steuerschuldnerschaft und Steuerträgerschaft ist indes zu erkennen.
§ 1 Einleitung › C. Charakteristika der Umsatzsteuer › VI. Gemeinschaftsteuer
VI. Gemeinschaftsteuer
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Die Umsatzsteuer ist eine Gemeinschaftsteuer, weil ihr Aufkommen Bund und Ländern gemeinsam zusteht (Art. 106 Abs. 3 GG). Seit 1998 erhalten auch die Kommunen einen Anteil (Art. 106 Abs. 5a GG). Zu den Einzelheiten s. u. Rn 51 ff.
§ 1 Einleitung › D. Einfluss des Gemeinschaftsrechts
D. Einfluss des Gemeinschaftsrechts
§ 1 Einleitung › D. Einfluss des Gemeinschaftsrechts › I. Einleitung
I. Einleitung
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Das deutsche Umsatzsteuerrecht steht unter dem bestimmenden Einfluss des Europarechts. Während die Harmonisierung der direkten Steuern (vor allem der Einkommen- und Körperschaftsteuer) in der EU nicht weit fortgeschritten ist,[27] gilt für die Umsatzsteuer das Gegenteil. Art. 113 AEUV enthält insoweit einen Harmonisierungsauftrag, von dem die EU seit 1967 durch den Erlass von Richtlinien intensiven Gebrauch gemacht hat. Von besonderer Bedeutung war die sog. 6. EG-RL vom 17. Mai 1977.[28] Diese wurde ohne wesentliche inhaltliche Änderung durch die Mehrwertsteuersystemrichtlinie vom 28. November 2006 (MwStSystRL) ersetzt.[29]
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Die MwStSystRL wurde seit ihrem Erlass mehrfach – teils tiefgreifend – geändert. Sie enthält sehr detaillierte Vorgaben für die Umsatzsteuerrechte der Mitgliedstaaten. Ein nennenswerter Spielraum der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie besteht nicht.[30] Als wesentliche Entscheidung verbleibt nur – in Grenzen – die Festlegung der Höhe des Steuersatzes in der Hand der Mitgliedstaaten.[31] Die nationalen Mehrwertsteuerrechte der EU-Mitgliedstaaten stimmen daher sehr weitgehend überein.
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Anders als eine Verordnung (s. dazu Art. 288 Abs. 2 AEUV) entfaltet eine Richtlinie grundsätzlich für Einzelne – Privatpersonen wie Unternehmen – weder eine verpflichtende noch eine berechtigende unmittelbare Wirkung. Sie bedarf vielmehr der Umsetzung durch die Mitgliedstaaten in staatliches Recht. Für die Mitgliedstaaten sind Richtlinien hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, während die Wahl der Form und der Mittel der Umsetzung den Mitgliedstaaten überlassen ist (Art. 288 Abs. 3 AEUV).
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Der Grundsatz, dass eine Richtlinie für den Einzelnen keine unmittelbaren Wirkungen hat, gilt indessen nicht ohne Einschränkungen. Zunächst haben Finanzverwaltung und Finanzgerichte das deutsche Umsatzsteuerrecht richtlinienkonform zu interpretieren (s. dazu sogleich Rn 41 f). Im Einzelfall sind Richtlinienvorschriften zudem unmittelbar – mit Vorrang vor dem nationalen Recht – anzuwenden (s. dazu Rn 44).
§ 1 Einleitung › D. Einfluss des Gemeinschaftsrechts › II. Richtlinienkonforme Auslegung
II. Richtlinienkonforme Auslegung
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Nach Art. 288 S. 3 AEUV sind Richtlinien für die Mitgliedstaaten hinsichtlich der damit verfolgten Ziele verbindlich. Die staatlichen Organe müssen daher im Rahmen ihrer Zuständigkeiten zur Umsetzung und Anwendung von Richtlinien beitragen. Für Finanzbehörden und Gerichte folgt daraus die Verpflichtung, das nationale Umsatzsteuerrecht im Lichte der europäischen Richtlinien auszulegen.[32] Die Verpflichtung ist auch aus Art. 4 Abs. 3 EUV herzuleiten, der für die Union und die Mitgliedstaaten den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit aufstellt.[33] Für eine richtlinienkonforme Interpretation spricht schließlich, dass der nationale Gesetzgeber die von ihm erlassenen Regelungen im Zweifel im Einklang mit dem dadurch umgesetzten EU-Recht verstanden wissen will.[34] Im Gegensatz zur unmittelbaren Anwendung des Richtlinienrechts (dazu sogleich) kann eine richtlinienkonforme Auslegung auch zu Lasten des Steuerpflichtigen gehen.[35]
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Über die richtlinienkonforme Auslegung der nationalen Umsatzsteuerrechte durch die Gerichte der Mitgliedstaaten wacht der EuGH. Bei Zweifeln darüber können die nationalen Gerichte den EuGH um Vorabentscheidung ersuchen; ein in letzter Instanz entscheidendes Gericht ist zu dieser Vorlage verpflichtet (Art. 267 Abs. 2, 3 AEUV).[36] Auf diesem Wege hat der EuGH in der Vergangenheit in großem Umfang zu Regelungen des deutschen Umsatzsteuerrechts Stellung genommen.
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