1.4 Gang der Untersuchung
In der römischen Jurisprudenz (2. Kapitel, S. 41) begegnen bereits die meisten Argumente, die im Mittelalter und in der Neuzeit zur Legitimation einer ungleichen Behandlung der Geschlechter herangezogen werden. Dazu gehört auch die schon in der griechischen Antike verbreitete Behauptung, dass die weibliche „Schamhaftigkeit“ (pudicitia) oder „Leichtfertigkeit“ (levitas animi) einen Ausschluss der Frau aus dem Richterdienst oder anderen öffentlichen Ämtern rechtfertige. Diese Vorstellungen über eine weibliche „Natur“ sind aber nicht unwidersprochen geblieben. Aus Sicht der jüngeren römischen Juristen handelt es sich hier um Stereotype, die der Vernunft widersprechen und sich allenfalls auf das Herkommen (mos) oder die Gewohnheit (consuetudo) stützen lassen. Die Idee einer rechtlichen Gleichbehandlung der Geschlechter stammt aus der (jüngeren) klassischen Epoche, als altrömische Institute wie manus-Ehe oder Geschlechtsvormundschaft (tutela) aus dem Rechtsleben bereits weitgehend verschwunden waren. Das Mittelalter kennt indes keinen der römischen Antike vergleichbaren Fortschritt in der rechtlichen Bestimmung des Verhältnisses der Geschlechter (3. Kapitel, S. 71). Hier ist es bei einem durch lebenslange Gewaltunterworfenheit bestimmten
[<<31]
Status der Frau geblieben. Bemerkenswert sind jedoch die vielfältigen Versuche zur Rechtfertigung der ungleichen Rechtsstellung der Frau. Sie lassen darauf schließen, dass die Einschränkungen der Handlungs- und Geschäftsfähigkeit von Frauen durch die Geschlechtsvormundschaft zumindest im Hochmittelalter zunehmend als begründungsbedürftig angesehen wurden.
Mit der Epoche von Aufklärung und Naturrecht verbindet sich die Auffassung, dass alle Menschen von Natur aus frei und gleich seien. Der Vertrag tritt an die Stelle des kirchlichen Verständnisses der Ehe als Sakrament. Welche Folgen die Naturrechtslehrer aus den Postulaten der Freiheit und Gleichheit für die Rechtsstellung der Frau gezogen haben, bildet den Gegenstand des 4. Kapitels, S. 103. Das 5. Kapitel, S. 129, handelt vom „ganzen Haus“ und der bürgerlichen Familie. Das besondere Merkmal der Sozialform des „ganzen Hauses“, die bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts herrschte, besteht darin, dass Frauen und Männer gleichermaßen erwerbswirtschaftlich tätig sind. Das Aufkommen der Industriegesellschaft führt im 19. Jahrhundert zur Trennung von privater Haus- und außerhäuslicher Erwerbsarbeit. Damit verliert das „ganze Haus“ seine zentrale Rolle für die Ordnung des Geschlechterverhältnisses. Es wird durch die bürgerliche Kleinfamilie abgelöst, die das Frauenbild der deutschen Klassik und Romantik prägt. Die neue Trennung von häuslicher und außerhäuslicher Sphäre hat in den Lehren der Historischen Rechtsschule zum Familienrecht einen folgenreichen Niederschlag gefunden.
Frankreich, England, die USA und Deutschland sind die Länder, in denen Frauen nach 1848 erste Forderungen zur Verbesserung ihrer Rechtsstellung formulieren. Während in England und in den USA, zumindest im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, der Kampf um die Einführung des Stimmrechts dominiert, werden in Frankreich auch vielfältige Forderungen zur Reform des Ehe- und Familienrechts unterbreitet (6. Kapitel, S. 161). Insoweit besteht eine Gemeinsamkeit mit Deutschland, wo die Frauenbewegung mit Blick auf die geplante Kodifikation des Bürgerlichen Rechts (BGB) Gegenentwürfe erarbeitet und zukunftsweisende Vorschläge zur Verbesserung des Scheidungs-, Sorge- oder Güterrechts formuliert (7. Kapitel, S. 189). Von diesen Vorschlägen sind aber, wenn überhaupt, nur wenige verwirklicht worden. Erst in der Zeit zwischen
[<<32]
1914 und 1933 haben skandinavische Länder versucht, sie durch Gesetzgebung umzusetzen (8. Kapitel, S. 217). Diese Gesetzgebung hat in vielen Ländern Wirkungen entfaltet und insbesondere auch auf die in der Weimarer Republik geführte Reformdiskussion Einfluss genommen. Den Vorhaben der Weimarer Republik war zunächst allerdings kein Erfolg beschieden. Nach dem Zweiten Weltkrieg bildeten sie aber die Grundlage bei der Konzeption eines egalitären Ehe- und Familienrechts. Gegenwärtig stellt sich überall in Europa für das Familienrecht die Aufgabe, geschlechtergerechte Ausgleichssysteme zu entwickeln, die nicht an den Status, sondern an die „gelebte“ Aufgabenteilung der Partner oder Eheleute anknüpfen. Dieser Befund führt zur Frage, wo wir heute stehen, die im 9. Kapitel, S. 241 erörtert wird.
1.5 Wo stehen wir heute?
Gesellschaftlicher Wandel kann für das Recht nicht ohne Folgen bleiben. Drei ‚Epochen‘ oder ‚Modelle‘ wären innerhalb der Familienrechtsgeschichte zu unterscheiden: An erster Stelle steht das „patriarchalische Ernährermodell“, auf dem auch das Familienrecht des BGB in der Fassung vom 1. Januar 1900 noch beruht. Daran schließt sich im 20. Jahrhundert das formal „egalitäre Ernährermodell“, welches nach der Wende zum 21. Jahrhundert durch neue materiale Wertvorstellungen überholt zu werden scheint. Der Hauptunterschied dieser drei ‚Modelle‘ liegt darin, dass sie verschiedene Lösungen für das Problem geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung vorsehen.
Nach dem „patriarchalischen Ernährermodell “ ist die Frau zur Haushaltsführung bzw. zur Pflege und Erziehung der Kinder verpflichtet. Sie muss diese Leistungen unentgeltlich erbringen, was die Verfasser des BGB mit dem Argument rechtfertigen, dass der Mann die „ehelichen Lasten allein zu tragen“ habe (7.4.2, S. 211). Die Arbeitsteilung der Geschlechter steht also unter der Prämisse, dass der außerhäuslich erwerbstätige Mann zur Leistung von Barunterhalt und die Frau zur unentgeltlichen Erbringung „häuslicher Dienste“ verpflichtet ist. Diese Art von ‚Austausch‘ oder ‚Reziprozität‘ ist freilich nicht egalitär, sondern hierarchisch
[<<33]
strukturiert. Es herrscht der Grundsatz ‚wer zahlt, befiehlt‘: Wer die „ehelichen Lasten“ trägt, gilt als „Haupt der Familie“, dem zugleich die Entscheidungsgewalt zusteht. Während also das patriarchalische Ernährermodell auf der Idee eines ‚Austauschs‘ von ‚Versorgung gegen Gehorsam‘ beruht, erblicken die Anhänger eines egalitären Ehe- und Familienrechts nicht nur im Barunterhalt, sondern auch in den „häuslichen Diensten“ eine geldwerte Leistung. Sie meinen, dass Hausarbeit und außerhäusliche Erwerbstätigkeit als rechtlich gleichwertig behandelt und die Begriffe von „Arbeit“ und „Unterhalt“ auch auf die Tätigkeit des nicht erwerbstätigen Ehegatten ausgedehnt werden müssen. Mit dem Gleichberechtigungsgesetz von 1958 hat dieses ‚Modell‘ im BGB einen ersten Niederschlag gefunden: Die ehemännlichen Entscheidungsbefugnisse wurden abgeschafft, Erwerbs- und Hausarbeit gleichgestellt und das Zugewinnausgleichsrecht eingeführt. Die große Reform des Ehe- und Familienrechts von 1977 hat dann die Pflicht des erwerbstätigen Ehepartners zur Leistung von nachehelichem Unterhalt erheblich ausgeweitet. In Verbindung mit der Einführung des Versorgungsausgleichs führte dies zu einer bislang nicht gekannten Absicherung der nicht erwerbstätigen Ehefrau. Eine solche „asymmetrische“ Interpretation formaler Gleichstellung schien geboten, um auch unter gewandelten Bedingungen am Ernährermodell festhalten zu können.
Trotz aller Unterschiede beruhen „patriarchalisches“ und „egalitäres“ Ernährermodell auf einer Reihe gemeinsamer Merkmale. Dazu gehören die strikte Trennung von häuslicher und außerhäuslicher Tätigkeit oder die Ableitung der vermögensrechtlichen Stellung der Frau aus der Erwerbstätigkeit des Mannes. Während aber das „patriarchalische“ Ernährermodell mit der Idee verbunden ist, dass die Auflösung einer Ehe nur unter engen rechtlichen Voraussetzungen zulässig ist, strebt das „egalitäre“ Ernährermodell nach einer Erleichterung der Scheidung. Auf den sich in den 1970er Jahren abzeichnenden Trend der Zunahme von Scheidungen reagierte