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festhalten zu können, dass die Ehe eine dem eigenen Erwerbseinkommen vergleichbare Versorgung des nicht erwerbstätigen Ehegatten biete. Auch das „egalitäre“ Ernährermodell beruht auf einem Verständnis der Ehe, das den Akzent nicht auf Individualität, sondern auf Status und damit auf lebenslange Versorgung und letztlich Abhängigkeit legt. Durch Begriffe wie „nacheheliche Solidarität“ oder „Lebensstandardgarantie“ werden die familienrechtlichen Ausgleichssysteme geradezu darauf programmiert, auch solches Vermögen zu vergemeinschaften, das „eheneutral“, d.h. nicht auf Grundlage gemeinsamen Wirtschaftens erworben wurde.
Die fortschreitende Individualisierung und Pluralisierung der Lebensverhältnisse hat dazu geführt, dass gegenwärtig vermehrt über einen Wandel von Leitbildern und die Auflösung geschlechtsspezifischer Rollenstereotypen diskutiert wird, wie sie nicht nur im „patriarchalischen“, sondern auch in den verschiedenen Varianten eines „egalitären“ Ernährermodells zum Ausdruck kommen. Heute müssen Paare auf Fragen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, die früher durch Rollenbilder, im Recht verankerte Eheverständnisse oder Status gelöst wurden, häufig selbst eine Antwort finden. Vor diesem Hintergrund gewinnt eine dritte Perspektive an Interesse, die im Zeichen eines Aushandelns der Lebensplanung steht. Der Hauptunterschied dieses Ansatzes zum überkommenen Familienernährermodell besteht darin, dass die traditionelle Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern nicht mehr als dem Recht vorgegeben, sondern als Folge einer gemeinsamen Entscheidung im Lebenslauf der Paare erscheint. Mit der Ehe- bzw. Partnerschaftsbedingtheit als leitendem Prinzip einer geschlechtergerechten Vermögens- und Haftungsteilhabe rückt für die familienrechtlichen Ausgleichssysteme die in der Ehe gelebte Aufgabenteilung – die im Einzelfall begründete Verantwortungskooperation – ins Zentrum des Interesses. Sie bildet nun den wichtigsten Anknüpfungspunkt für eine geschlechtergerechte Aufteilung der während der Dauer der Ehe bzw. Partnerschaft erzielten Vermögensvorteile und für die Bestimmung der wegen der Ehe bzw. Partnerschaft einseitig erlittenen Nachteile.
Wer den Fokus auf das Individuum und seine Entwicklung im Zeitverlauf legt, wird die Verantwortungskreise anders ziehen als diejenigen, die an Status und lebenslange Versorgung anknüpfen. Größere
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Verantwortung muss z.B. für die Gestaltung des eigenen Erwerbslebens übernommen werden. Das zeigen die neuesten Entwicklungen etwa im Unterhaltsrecht, dessen Funktion sich seit der Reform von 2008 in erster Linie auf einen Ausgleich „ehebedingter Nachteile“ beschränkt. Ähnliches gilt im Recht der Zugewinngemeinschaft. Auch hier scheint die Entwicklung in Richtung einer genaueren Bestimmung des Gegenstands der Ausgleichsansprüche zu weisen. Allgemein lässt sich feststellen, dass eine Vergemeinschaftung auch des eheneutralen Vermögenserwerbs unter Bedingungen fortschreitender Individualisierung und Pluralisierung der Lebensverhältnisse auf immer weniger Akzeptanz in der Bevölkerung stößt. Es wäre allerdings ein Fehler anzunehmen, dass Kriterien wie „Ehe“- oder „Partnerschaftsbedingtheit“ in allen Fällen eine Steigerung der „Eigenverantwortung“ zur Folge hätten. Denn Frauen übernehmen in Paarbeziehungen statistisch betrachtet nach wie vor den überwiegenden Teil der Familien- und Hausarbeit. Zwar sind die Geschlechter im jungen Erwachsenenalter heute so ‚gleich‘ wie niemals zuvor. Mit der Familiengründung und der Geburt von Kindern kommt es aber häufig zu Veränderungen, die den Lebensverlauf junger Frauen in ganz andere Bahnen lenken als den ihrer männlichen Partner. Ungeachtet aller Kritik an der traditionellen Arbeitsteilung, der rechtlichen Aufwertung von Hausarbeit und den Bildungserfolgen von Frauen liegt in diesem Unterschied noch immer das Zentrum der Ungleichheit im Geschlechterverhältnis.
Dieser Befund bedeutet für eine Rechtsordnung, deren familienrechtliche Ausgleichssysteme nicht mehr einfach an das überkommene Rollenmodell anknüpfen können, eine große Herausforderung. Kommt es zur Scheidung, wäre nun zu untersuchen, ob und in welchem Umfang die Partner verlässliche Abreden über Funktionsteilungen getroffen haben. Die Untersuchung der gemeinsam ausgehandelten „Verantwortungskooperationen“ dient der Ermittlung von Einbußen, die durch die Ehe bedingt und insoweit prinzipiell ausgleichsfähig sind. Dazu muss geklärt werden, ob ein Partner hierfür allein verantwortlich ist oder den anderen eine Mitverantwortung trifft. Von einer Mitverantwortlichkeit ist auszugehen, wenn die Ehegatten darin übereingekommen sind, dass ein Partner seine Berufstätigkeit aufgibt oder einschränkt, um im gemeinsamen Interesse Pflege- oder Erziehungsaufgaben zu übernehmen. Dann
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wären jene Einbußen auszugleichen, die dadurch entstehen, dass er im Vertrauen auf die Beständigkeit der gemeinsamen Lebensplanung Entscheidungen trifft, die sich auf seine berufliche Lage negativ auswirken.
Der Vorteil von Kriterien wie „Ehe“- bzw. „Partnerschaftsbedingtheit“ und „Aushandeln von Verantwortungskooperationen“ liegt darin, dass sich auf ihrer Basis den Verschiedenheiten weiblicher und männlicher Individualisierung bei größerer Scheidungshäufigkeit und kürzerer Ehe- oder Beziehungsdauer Rechnung tragen lässt: Durfte die Frau auf den Fortbestand einer Bindung vertrauen und hat sie auf Grund des Einvernehmens über die geschlechtsspezifische Aufgabenteilung entsprechende Dispositionen getroffen, dann bilden diese den Maßstab für die Bestimmung der Höhe und Dauer von Unterhaltsansprüchen. Auch im Güterrecht muss dem Eintritt in die Elternschaft besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Dabei handelt es sich um einen jener „Knotenpunkte“ und „Übergänge“, welche die jüngst auch im Familienrecht zunehmend diskutierte Lehre von der „Lebensverlaufsperspektive“ fokussiert. So können „Vereinbarungen“, welche einen Partner aus der Verantwortung für Nachteile zu entlassen suchen, die dieser auf Grund gemeinsamer Aufgabenteilung während der Ehe mitverursacht hat, durch die Rechtsordnung heute nicht mehr ohne Weiteres als gültig anerkannt werden. Neue Kriterien wie „Ehe“- bzw. „Partnerschaftsbedingtheit“ und „Aushandeln von Verantwortungskooperationen“ tragen ein zwingendes Element in die Rechtsordnung hinein (S. 18; S. 258). Die Folge ist, dass das Verhältnis zwischen Privatautonomie und gelebter Verantwortungskooperation neu austariert werden muss.
Literatur
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u.a. 1979); Gabriele Bremme, Die politische Rolle der Frau in Deutschland. Eine Untersuchung über den Einfluß der Frauen bei Wahlen und ihre Teilnahme in Partei und Parlament (1956); Jacob Burckhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen (1905); Jürgen Falter, Thomas Lindenberger, Siegfried Schumann, Wahlen und Abstimmungen in der Weimarer Republik. Materialien zum Wahlverhalten 1919–1933 (1986); Charles Fourier, Die Theorie der vier Bewegungen und der allgemeinen Bestimmungen, 1808 (ND Wien und Frankfurt am Main 1966); Patrick J. Geary, Am Anfang waren die Frauen. Ursprungsmythen von den Amazonen bis zur Jungfrau Maria (2006); Albert Gebhard, Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Allgemeiner Teil. Begründung (1881/85), in: Werner Schubert (Hg.), Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches, Allgemeiner Teil, Teil 1 (1981); Ute Gerhard, „National“ oder „International“? Frauengeschichte im Spiegel der internationalen Beziehungen der deutschen Frauenbewegung, in: Ariadne 24 (1993), S. 50–59; Gerard-René de Groot, Auf dem Wege zu einem europäischen (internationalen) Familienrecht, in: ZEuP (2001), S. 617–627; Max Kaser, Der römische Anteil am deutschen bürgerlichen Recht, Juristische Schulung (1967), S. 337–344; Duncan Kennedy, Savigny’s Family / Patrimony Distinction and its Place in the Global Genealogy of Classical Legal Thought, in: American Journal of Comparative Law 58 (2010), S. 811–841; Paul Koschaker, Die Eheformen