(3) Diese Tätigkeit der Mitgliedstaaten und der Union setzt die Einhaltung der folgenden richtungweisenden Grundsätze voraus: stabile Preise, gesunde öffentliche Finanzen und monetäre Rahmenbedingungen sowie eine dauerhaft finanzierbare Zahlungsbilanz.“
III. Die politische Einigung
[63] Die politische Einigung Europas sollte nach den Vorstellungen der Gründungsväter der früheren EWG zwangsläufig aus dem wirtschaftlichen Integrationsprozess hervorgehen. Die wirtschaftliche Einigung, auf die man sich zunächst in konkreter Form verständigt hatte, war zu keiner Zeit Selbstzweck, sondern lediglich ein Zwischenstadium auf dem Weg zur politischen Einigung. In der Präambel zum EGKS-Vertrag wird dies mit den Worten zum Ausdruck gebracht, durch „konkrete Leistungen“ sei zunächst eine „tatsächliche Verbundenheit“ zu schaffen, und die „Einrichtung einer wirtschaftlichen Gemeinschaft“ solle „den ersten Grundstein für eine weitere und vertiefte Gemeinschaft unter Völkern legen“. Die Präambel des EWG-Vertrages spricht den festen Willen aus, „die Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluß der europäischen Völker zu schaffen“.
[S. 74]
[64] Bereits zu Beginn der 60er Jahre zeigte sich jedoch im Scheitern der Fouchet-Pläne, dass auch ein erfolgreiches Wirken der Wirtschaftsgemeinschaft nicht automatisch in die Qualität einer unauflöslichen politischen Gemeinschaft umschlägt. Dies vor allem deshalb nicht, weil zwar über die Grundlagen der wirtschaftlichen Einigung ein mehr oder weniger breiter Konsens unter den Mitgliedstaaten bestand, eine gemeinsame „europäische Philosophie“ im Hinblick auf Struktur und Inhalt der künftigen politischen Gemeinschaft aber selbst unter den ursprünglichen sechs Mitgliedstaaten nicht vorhanden war. Die später vollzogenen Beitritte haben diese Situation noch verschärft. Die zunächst vorherrschenden Integrationsvorstellungen der europäischen Föderalisten, für die eine europäische politische Gemeinschaft nur in Form eines Europäischen Bundesstaates denkbar war, wurden vor allem durch den vom französischen Staatspräsidenten de Gaulle vorgetragenen Gedanken eines „Europa der Vaterländer“, das auf der Zusammenarbeit souveräner Nationalstaaten beruht, zurückgedrängt. Seine konkreten Vorstellungen über dieses „Europa der Vaterländer“ umriss de Gaulle am 5. September 1960 auf einer Pressekonferenz wie folgt:
„Die Schaffung Europas, das heißt seine Einigung, ist sicher eine wichtige Sache ... Warum sollte dieser große Herd der Zivilisation, der Stärke, der Vernunft und des Fortschrittes unter seiner eigenen Asche erlöschen? Allerdings darf man auf einem solchen Gebiet nicht Träumen nachhängen, sondern muss die Dinge so sehen, wie sie sind. Welches sind die Realitäten Europas und die Eckpfeiler, auf denen man weiterbauen könnte? In Wirklichkeit sind es die Staaten ... Es ist eine Schimäre, zu glauben, man könne etwas Wirksames schaffen und dass die Völker etwas billigen, was außerhalb oder über dem Staat stehen würde ... Gewiss trifft es zu, dass, bevor man das Europa-Problem in seiner Gesamtheit behandelt hat, gewisse mehr oder weniger supranationale Einrichtungen geschaffen werden konnten. Diese Einrichtungen haben ihren technischen Wert, aber sie haben und können keine Autorität und politische Wirksamkeit besitzen ... Frankreich hält die Gewährleistung der regelmäßigen Zusammenarbeit der europäischen Staaten für wünschenswert, möglich und praktisch auf dem Gebiet der Politik, der Wirtschaft, der Kultur und der Verteidigung ... Das erfordert ein organisiertes, regelmäßiges Einvernehmen der verantwortlichen Regierungen und die Tätigkeit von den Regierungen unterstellten Spezialorganisationen auf jedem der gemeinsamen Gebiete.“
[65] Erst nach dem Rücktritt de Gaulles konnten der politischen Einigung auf den Gipfelkonferenzen der Staats- und Regierungschefs in Den Haag Ende 1969 und den Pariser Konferenzen von 1972 und 1974 wieder neue Impulse gegeben werden. Der hier begonnene Neuanfang der politischen Einigung wurde sehr behutsam vorbereitet, da auch Frankreich unter Staatspräsident Pompidou grundsätzlich an der Idee des Europas der Vaterländer festhielt. Deshalb versuchte man auch nicht die ideologischen Fragen der europäischen Einigung zu lösen, sondern die Staats- und Regierungschefs beschränkten sich unter Bekräftigung ihres „Glaubens an die politischen Zielsetzungen, die der Gemeinschaft ihren ganzen Sinn und ihre Tragweite verleihen“[S. 75] auf die Proklamierung einer noch nicht näher definierten „Europäischen Union“ als Fernziel für die achtziger Jahre56.
[66] Diesen Gedanken von der „Europäischen Union“ nahm die Einheitliche Europäische Akte (EEA) von 1986/1987 auf, indem sie in ihrer Präambel den Willen der Staats- und Regierungschefs der damals bereits 12 Mitgliedstaaten bekundet, die Gesamtheit der Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten in eine Europäische Union umzuwandeln. Der Einstieg in diese Europäische Union ist schließlich mit dem am 1. November 1993 in Kraft getretenen „Vertrag über die Europäische Union“ vollzogen worden. Der frühere Unionsvertrag verstand sich als „eine neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas [...], in der die Entscheidungen möglichst bürgernah getroffen werden“ (ex-Art. 1 UAbs. 2 EUV).
[67] Mit dem Vertrag von Lissabon ist der politische Bereich weiter gestärkt und ausgebaut worden. Konkrete politische Aufgaben sind der EU dabei im Zusammenhang mit der Unionsbürgerschaft, der Politik für justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen sowie der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik übertragen worden. Mit der Unionsbürgerschaft wurden die Rechte und Interessen der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten innerhalb der EU weiter gestärkt57. Im Bereich der Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen geht es vor allem um die Wahrnehmung von Aufgaben durch die EU, die im gemeinsamen europäischen Interesse liegen. Dazu gehören insbesondere die Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Menschenhandels sowie die Strafverfolgung58. Im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik kommen der EU insbesondere folgende Aufgaben zu: (1) Wahrung der gemeinsamen Werte, der grundlegenden Interessen und der Unabhängigkeit der EU, (2) Stärkung der Sicherheit der EU und ihrer Mitgliedstaaten, (3) Wahrung des Weltfriedens und Stärkung der internationalen Sicherheit, (4) Förderung der internationalen Zusammenarbeit, (5) Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, (6) Aufbau einer gemeinsamen Verteidigung.
IV. Die soziale Dimension
[68] Die europäische Einigung enthält schließlich auch eine soziale Komponente. Ziel der EU ist die Sicherung des sozialen Fortschritts und die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie die Stärkung des sozialen Zusammenhalts. Die EU bekämpft soziale Ausgrenzung und Diskriminierung und fördert soziale Gerechtigkeit und sozialen Schutz, die Gleichstellung von Frauen und Männern, die Solidarität[S. 76] zwischen den Generationen und den Schutz der Rechte der Kinder (Art. 3 Abs. 3 EUV).
Die soziale Dimension ist im Laufe der Jahre immer weiter gestärkt worden. Setzte man ursprünglich auf das Wirken des Gemeinsamen Marktes, der gleichsam automatisch zu einer Angleichung der nationalen Sozialordnungen führen und damit letztendlich die soziale Identität der EU hervorbringen sollte, so wurden vor allem im Zuge der Verwirklichung des Binnenmarktes und der Schaffung der Europäischen Union die Befugnisse der EU im sozialpolitischen Bereich erheblich erweitert. Während bis dahin die Sozialpolitik weitgehend Sache der Mitgliedstaaten war, kann die EU nunmehr die sozialpolitischen Tätigkeiten in geteilter Zuständigkeit mit den Mitgliedstaaten wahrnehmen (Art. 4 AEUV)59.
B. Die Methode der europäischen Einigung
[69] Die europäische Einigung wird geprägt von zwei unterschiedlich angelegten Konzeptionen der Zusammenarbeit der europäischen Staaten. Sie lassen sich durch die Begriffe Kooperation und Integration kennzeichnen. Daneben hat sich als weitere Methode die Verstärkte Zusammenarbeit herausgebildet.
I. Kooperation der Staaten