Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union. Klaus-Dieter Borchardt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus-Dieter Borchardt
Издательство: Bookwire
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Год издания: 0
isbn: 9783846352786
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beruht auf den Leitlinien und Schlussfolgerungen des Europäischen Rates sowie auf der Politischen Erklärung des Vereinigten Königreichs und der EU vom 19. Oktober 2019.

      Diese Empfehlung enthält auch einen umfassenden Vorschlag für die Verhandlungsleitlinien des Rates mit der Definition des Anwendungsbereichs und den Eckpunkten für die zukünftigen Beziehungen mit dem Vereinigten Königreich aus EU-Sicht. Die Leitlinien erstrecken sich auf alle Politikbereiche, die die zukünftigen Beziehungen zum Vereinigten Königreich ausmachen werden, namentlich Handel und Wirtschaftskooperation, Rechtsdurchsetzung und gerichtliche Zusammenarbeit in Strafsachen, Außenpolitik, Sicherheit und Verteidigung, Teilnahme an Unionsprogrammen und Zusammenarbeit in verschiedenen thematischen Bereichen.

      Anders als in der Regelung der Beziehungen der EU zur Schweiz, wo man den Weg von mehr als ein Dutzend Einzelabkommen gewählt hat, sollen die künftigen Beziehungen zum Vereinigten Königreich in einem einzigen umfassenden Regelwerk[S. 68] (mit unter Umständen einigen wenigen Teilabkommen, wie etwa für die Fischerei) geregelt werden, das auf drei Säulen beruhen soll:

      (1) Allgemeine Regelungen zu den grundlegenden Werten, Grundsätzen und der Governance: die Parteien sollen anerkennen, dass Wohlstand und Sicherheit nur im Rahmen einer auf dem Recht beruhenden internationalen Ordnung gewährleistet werden kann. Sie sollen sich zum Schutz der Individualrechte und der Rechtsstaatlichkeit bekennen, hohe Schutzstandards für Arbeitnehmer und Verbraucher anstreben, den Umweltschutz und den Kampf gegen den Klimawandel mit Nachdruck betreiben sowie auf einen freien und fairen Handel hinwirken.

      Die Parteien sollen sich zur Zusammenarbeit verpflichten, um diese allgemeinen Prinzipien zu schützen und gemeinsam gegen interne wie externe Angriffe auf diese Werte und Interessen vorgehen.

      (2) Wirtschaftliche Regelungen: die Parteien sollen einen angemessenen Ausgleich zwischen Rechten und Pflichten herstellen und gleichwertige Wettbewerbsbedingungen („level playing field“) schaffen. Dieser Ausgleich darf die Autonomie des Entscheidungsprozesses und der Rechtsordnung der EU nicht beeinträchtigen, muss den Schutz der finanziellen Interessen der EU gewährleisten und muss vereinbar sein mit den anderen Unionsprinzipien, insbesondere der Integrität des Binnenmarktes und der Zollunion sowie der Unteilbarkeit der vier Grundfreiheiten, wie es in den Leitlinien des Rates niedergelegt ist. Schließlich muss beachtet werden, dass das Vereinigte Königreich ein Drittstaat ohne Schengen-Status ist und dass das Vereinigte Königreich als Nicht-Mitgliedstaat der EU nicht den gleichen Verpflichtungen unterliegt wie die EU-Mitgliedstaaten und deshalb auch nicht die gleichen Rechte und Vorteile eines Mitgliedstaats genießen kann.

      (3) Regelungen betreffend die Sicherheit: die Parteien sollen gemeinsame Anstrengungen im Hinblick auf die Durchsetzung des Rechts und die gerichtliche Zusammenarbeit in Strafsachen unternehmen und für eine enge Kooperation in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik Sorge tragen.

      Zum territorialen Geltungsbereich der zukünftigen Partnerschaft ist die Erklärung des Europäischen Rates vom 25. November 2018 zu Gibraltar von Bedeutung. Danach wird Gibraltar nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs nicht in den territorialen Geltungsbereich des die zukünftigen Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich regelnden Abkommens einbezogen. Dies schließt allerdings die Möglichkeit nicht aus, dass die EU und das Vereinigte Königreich im Hinblick auf Gibraltar ein separates Abkommen vereinbaren. Ein solches separates Abkommen bedarf jedoch im Hinblick auf die Kompetenzen der EU und den Respekt der territorialen Integrität ihrer Mitgliedstaaten (Art. 4 Abs. 2 TEU) der Zustimmung Spaniens.

      Nach der Kommission-Empfehlung soll das Abkommen mit dem Vereinigten Königriech auf Art. 217 AEUV und nicht, wie sonst bei Freihandelsabkommen üblich,[S. 69] auf Art. 207 AEUV gestützt werden. Dies hat zur Folge, dass dem Abkommen mit dem Vereinigten Königreich alle Mitgliedstaaten im Rat zustimmen müssen, da Art. 217 AEUV Einstimmigkeit und nicht, wie Art. 207 AEUV, nur eine qualifizierte Mehrheit verlangt. Offen ist auch noch, ob das Abkommen mit dem Vereinigten Königreich als allein dem Zuständigkeitsbereich der EU unterliegend angesehen wird, dann genügt die Einstimmigkeit im Rat, oder als ein gemischtes Abkommen, dann müssen die nationalen Parlamente das Abkommen zusätzlich nach ihren verfassungsrechtlichen Bestimmungen ratifizieren.

      Nach Ansicht der Kommission sollten die Verhandlungen wie folgt ablaufen, wenn das Ergebnis zum 31. Dezember 2020, also ohne Verlängerung der Übergangszeit, vorliegen soll:

Februar 2020: Kommission ersucht den Rat um ein Verhandlungsmandat
März – Mai 2020: 1. Verhandlungsrunde mit einigen wichtigen Meilensteinen. • EU-Vereinigtes Königreich High Level Konferenz • Ende der Antragsfrist für eine Verlängerung der Übergangszeit • Versuch, das Fischereiabkommen abzuschließen • Europäischer Rat im Juni
Juni – Oktober 2020: 2. Verhandlungsrunde, die zum Abschluss des Abkommens führen soll, mit einem Europäischen Rat im Oktober
Oktober – Dezember 2020: Abschluss und Ratifizierung der(s) ersten Abkommen(s), womit die Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt werden
Januar – Dezember 2021: Verhandlung der noch ausstehenden Sachfragen.

      [54] Die Assoziierung ist eine besondere Form der vertraglichen Beziehungen zu den Drittstaaten, die über rein handelspolitische Regelungen hinaus eine enge wirtschaftliche Kooperation und finanzielle Unterstützung gewährt.

      In Gestalt der Beitrittsassoziierung ist sie gleichsam eine Vorstufe des Beitritts, auf der eine Annäherung der wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen eines Beitrittskandidaten an die Verhältnisse innerhalb der EU angestrebt wird51. Dieses Verfahren[S. 70] hat sich bereits im Falle Griechenlands, das der damaligen EWG im Jahre 1962 assoziiert wurde, bewährt. Diesen Weg hat die EU auch zur Vorbereitung des Beitritts der mittel- und osteuropäischen Staaten mit den sogenannten „Europa-Abkommen“ eingeschlagen. Anwendung findet diese Strategie nun auch im Rahmen des Beitrittsprozesses der Staaten des westlichen Balkans, die durch Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien, jetzt Republik Nordmazedonien), 2004, Albanien, 2006, Serbien, 2008, Montenegro, 2010) bzw. Europäische Partnerschaftsabkommen (Bosnien und Herzegowina, 2008, Kosovo, 2008) auf ihrem Weg zu einem möglichen Beitritt zur EU begleitet werden. Der Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess verfolgt drei Ziele: (1) Stabilisierung und schnellen Wechsel zu einer funktionierenden Marktwirtschaft, (2) Förderung von regionaler Kooperation und (3) Aussicht auf eine Mitgliedschaft in der EU. Der Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess basiert auf einer fortschreitenden Partnerschaft, bei der die EU Handelszugeständnisse, wirtschaftliche und finanzielle Unterstützung anbietet. Jedes Land muss konkrete Fortschritte im Rahmen des Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess machen, um den Anforderungen einer eventuellen Mitgliedschaft zu genügen. In jährlichen Berichten wird der Fortschritt der westlichen Balkanländer in Richtung eines möglichen Beitritts zur EU bewertet.

      [55] Eine institutionell wie materiell bereits weit reichende (Beitritts-)Assoziierung beinhaltet das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), das zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten einerseits und den EFTA-Staaten andererseits besteht52. Innerhalb des EWR soll auf der Grundlage des Bestandes an primärem und sekundärem Unionsrecht („acquis communautaire“) der freie Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr verwirklicht, eine einheitliche Wettbewerbs- und Beihilfenordnung statuiert sowie die Zusammenarbeit im Bereich der horizontalen Politiken (z.B. Umweltschutz, Forschung und Entwicklung, Bildung)