[91] Darüber hinaus hat die EU im Rahmen der Östlichen Partnerschaft Assoziierungsabkommen mit der Ukraine (Inkrafttreten 1.9.2017), der Republik Moldawien (Inkrafttreten 1.7.2016) und Georgien (Inkrafttreten 1.6.2016) abgeschlossen.
[S. 86]
b) Abkommen zur Vorbereitung eines möglichen Beitritts (Art. 217 AEUV)
[92] Daneben wird die Assoziierung auch zur Vorbereitung eines möglichen Beitritts eines Landes zur EU eingesetzt75. Sie ist gleichsam eine Vorstufe des Beitritts, auf der eine Annäherung der wirtschaftlichen Bedingungen eines Beitrittskandidaten an die EU angestrebt wird.76
c) Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum „EWR“
[93] Das Abkommen über den EWR erschließt den (Rest-)EFTA-Staaten (Norwegen, Island und Liechtenstein) den EU-Binnenmarkt und stellt durch die Übernahmeverpflichtung von beinahe zwei Dritteln des Unionsrechts eine sichere Grundlage für einen möglichen späteren Beitritt dieser Länder zur EU dar77.
2. Kooperationsabkommen (Art. 218 AEUV)
[94] Nicht so weit wie die Assoziierungsabkommen gehen die sogenannten Kooperationsabkommen, die allein auf eine intensive wirtschaftliche Zusammenarbeit gerichtet sind. Solche Abkommen verbinden die EU u.a. mit den Maghreb-Staaten (Marokko, Algerien und Tunesien), den Mashrik-Staaten (Ägypten, Jordanien, Libanon und Syrien) und mit Israel.
3. Handelsabkommen (Art. 218 AEUV)
[95] Schließlich gibt es eine Vielzahl von Handelsabkommen, die mit einzelnen Drittstaaten, Gruppen von Drittstaaten oder im Rahmen internationaler Handelorganisationen auf zoll- und handelspolitischem Gebiet abgeschlossen werden. Die wichtigsten internationalen Handelsabkommen sind das „Übereinkommen zur Gründung der Welthandelsorganisation“ (World Trade Organisation „WTO“) und die in seinem Rahmen abgeschlossenen multilateralen Handelsabkommen, von denen als die wichtigsten zu nennen sind: das „General Agreement on Tariffs and Trade“ (GATT 1994), der „Antidumping- und Subventionskodex“, das „Allgemeine Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen“ (GATS), das „Übereinkommen über handelspolitische Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums“ (TRIPS) sowie die „Vereinbarung über Regeln und Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten“. Daneben haben in immer stärkerem Maße bilaterale Freihandelsabkommen gegenüber den multilateralen Abkommen an Boden gewonnen. Aufgrund der enormen Schwierigkeiten, im Rahmen der WTO multilaterale Liberalisierungsabkommen zu schließen (ein Beispiel sind die[S. 87] ernüchternden Ergebnisse der Verhandlungen der Doha-Agenda), haben sich alle großen Handelsnationen, darunter auch die EU, dem Abschluss bilateraler Freihandelsabkommen zugewendet. Beispiele für die EU sind der erfolgreiche Abschluss der Verhandlungen mit Süd-Korea, Kanada (CETA) Singapur, Japan, Neuseeland, Australien, Vietnam, Mexiko, Mercosur Staaten (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay). Hingegen sind die Verhandlungen mit den USA (TTIP) gescheitert und durch ein Mandat für eine weit weniger weitreichende Übereinkunft betreffend die Abschaffung von Zöllen auf industrielle Güter ersetzt worden78. Sobald auch nur eine Bestimmung der Abkommen in die geteilte Zuständigkeit der EU und der Mitgliedstaaten fällt, z.B. eine Regelung zu Investment-Schiedsgerichten, kann die EU diese dann gemischten Freihandelsabkommen nur gemeinsam mit den Mitgliedstaaten und unter Mitwirkung der nationalen Parlamente abschließen79.
B. Ungeschriebene Rechtsquellen
[96] Den bisher aufgeführten Rechtsquellen der EU ist gemeinsam, dass es sich dabei um geschriebenes Unionsrecht handelt. Wie jede andere Rechtsordnung auch kann die Unionsrechtsordnung aber nicht ausschließlich aus geschriebenen Normen bestehen, weil jede Rechtsordnung Lücken aufweist, die durch ungeschriebenes Recht auszufüllen sind.
I. Allgemeine Rechtsgrundsätze
[97] Ungeschriebene Quellen des Unionsrechts sind zunächst die allgemeinen Rechtsgrundsätze80.
Dabei handelt es sich um Normen, die die elementaren Vorstellungen von Recht und Gerechtigkeit zum Ausdruck bringen, denen jede Rechtsordnung verpflichtet ist. Das geschriebene Unionsrecht, das im Wesentlichen nur wirtschaftliche und soziale Sachverhalte regelt, kann diese Verpflichtung nur zum Teil erfüllen, so dass die allgemeinen Rechtsgrundsätze eine der wichtigsten Rechtsquellen der EU darstellen. Durch sie können die vorhandenen Lücken geschlossen oder das bestehende Recht durch Auslegung im Sinne des Gerechtigkeitsprinzips fortentwickelt werden.
[S. 88]
[98] Die Verwirklichung der Rechtsgrundsätze erfolgt durch die Rechtsanwendung, insbesondere durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der EU81, der gemäß Art. 19 EUV „die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge“ zu sichern hat.
[99] Bezugspunkte für die Ermittlung der allgemeinen Rechtsgrundsätze sind vornehmlich die gemeinsamen Rechtsgrundsätze der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Sie liefern das Anschauungsmaterial, aus dem die für die Lösung eines Problems notwendige Rechtsregel auf EU-Ebene entwickelt wird.
Zu diesen allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehören etwa neben den Verfassungsgrundsätzen der Eigenständigkeit, der unmittelbaren Anwendbarkeit, des Vorrangs des Unionsrechts und der Grundsatz der Haftung der Mitgliedstaaten für Verletzungen des Unionsrechts auch die Gewährleistung der Grundrechte sowie die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes, die inzwischen teilweise positiv-rechtlich geregelt sind (Charta der Grundrechte, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Art. 5 Abs; 4 EUV und Protokoll Nr. 2.82.
II. Gewohnheitsrecht
[100] Zum ungeschriebenen Unionsrecht zählt daneben auch das Gewohnheitsrecht. Darunter versteht man durch Übung und Rechtsüberzeugung entstandenes Recht, das primäres oder sekundäres Recht ergänzt oder ändert. Die Möglichkeit der Existenz solchen Gewohnheitsrechts wird grundsätzlich anerkannt83. Die tatsächliche Herausbildung von Gewohnheitsrecht unterliegt auf der Ebene des Unionsrechts allerdings wesentlichen Grenzen.
Eine Grenze ergibt sich aus der Existenz eines speziellen Verfahren zur Vertragsänderung (Art. 48 EUV). Dadurch wird zwar die Herausbildung von Gewohnheitsrecht nicht schlechthin ausgeschlossen, jedoch verschärft diese Tatsache die Anforderungen, die an den Nachweis einer lang andauernden Übung und einer entsprechenden Rechtsüberzeugung zu stellen sind. Jedes Organhandeln der EU muss zudem seinen Geltungsgrund in den Unionsverträgen finden, nicht jedoch aufgrund des tatsächlichen Verhaltens und eines entsprechenden Rechtsbindungswillens. Daraus folgt, dass Gewohnheitsrecht im Range von Vertragsrecht in keinem Fall von den EU-Organen, sondern allenfalls von den Mitgliedstaaten unter den soeben beschriebenen verschärften Bedingungen ausgehen kann. Übungen und Rechtsüberzeugungen der[S. 89] EU-Organe können allerdings im Rahmen der Auslegung der von diesen Organen geschaffenen Rechtssätze herangezogen werden, wodurch unter Umständen die rechtliche und tatsächliche Tragweite des betreffenden Rechtsaktes geändert wird. Allerdings sind auch hierbei die durch das primäre Unionsrecht vorgegebenen Voraussetzungen und Grenzen zu beachten.
C. Absprachen zwischen den Mitgliedstaaten der EU
[101] Als letzte Rechtsquelle der EU sind