Hinweis: BVerfGE 135, 248 Rn. 26ff. hat ausnahmsweise Besorgnis der Befangenheit gegen den Vizepräsidenten Ferdinand Kirchhof angenommen, weil er durch intensive Mitwirkung an früheren Gesetzgebungsverfahren und die Äußerung wissenschaftlicher Auffassungen auch in Parlamentsanhörungen und Gerichtsverfahren über § 18 Abs. 3 BVerfGG hinausgehend „eine Art Urheberschaft“ für das Konzept der angegriffenen Regelung über das Kopftuchverbot für Lehrerinnen erworben hatte.
III. Beteiligte
66Für die Beteiligten eines verfassungsgerichtlichen Verfahrens bestehen einige allgemeine verfahrensrechtliche Vorschriften, die deren Rechte näher ausgestalten. Der Kreis der Beteiligten ist nicht für alle Verfahren einheitlich festgelegt, sondern richtet sich nach den Bestimmungen über die einzelnen Verfahrensarten.
67|20|In erster Linie kommen als Beteiligte die natürlichen und juristischen Personen oder sonstigen Rechtsgebilde in Betracht, die durch ihren Rechtsbehelf das Verfahren überhaupt in Gang setzen. Diese werden zumeist als Antragsteller, bei der Verfassungsbeschwerde etwa als Beschwerdeführer bezeichnet. Bei kontradiktorischen Verfahren gehören außerdem die Antragsgegner zu den Beteiligten. Hinzu kommen nach den Vorschriften für die einzelnen Verfahrensarten Verfassungsorgane oder Länder, die dem Verfahren beigetreten sind (vgl. z.B. § 65 Abs. 1 BVerfGG für den Organstreit; § 94 Abs. 5 Satz 1 BVerfGG für die Verfassungsbeschwerde).
68Keine Beteiligten des Verfahrens im technischen Sinne sind sonstige Personen oder Stellen, die sich im Rahmen des Verfahrens äußern, Stellungnahmen abgeben usw., erst recht nicht Zeugen oder Sachverständige (→ Rn. 80). In manchen Fällen werden allerdings bloß Äußerungsberechtigte, die von ihrer Berechtigung Gebrauch machen, im Verfahren in ähnlicher Weise behandelt wie Beteiligte (so z.B. die Verfassungsorgane, die die Gelegenheit zur Stellungnahme nach § 77 BVerfGG in Verfahren der abstrakten Normenkontrolle nutzen).
69Für die Beteiligten eines bundesverfassungsgerichtlichen Verfahrens ist in den allgemeinen Verfahrensvorschriften eine Reihe von Rechten vorgesehen. Zu diesen gehören insbesondere die Befugnis zur Richterablehnung nach § 19 BVerfGG, das Recht der Akteneinsicht (§ 20 BVerfGG), das Recht auf Zustellung von Anträgen und Gelegenheit zur Äußerung (§ 23 Abs. 2 BVerfGG), das Recht auf eine mündliche Verhandlung und die Möglichkeit des Verzichts darauf (§ 25 Abs. 1 BVerfGG), bestimmte Rechte bei der Beweisaufnahme (§ 29 BVerfGG) und das Recht auf die Bekanntgabe aller Entscheidungen nach § 30 Abs. 3 BVerfGG.
70Grundsätzlich besteht für alle Beteiligten die Möglichkeit, sich vor dem BVerfG durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule insbesondere eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, vertreten zu lassen. In der mündlichen Verhandlung ist eine solche Vertretung zwingend vorgeschrieben (§ 22 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
Hinweis: BVerfGE 134, 239 Rn. 4ff. hat einen nicht als Rechtsanwalt bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsassessor als nicht postulationsfähig qualifiziert, zumal auch nach Unionsrecht trotz Zulassung als rumänischer Advocat nach den Gegebenheiten des Einzelfalls keine Gleichstellung mit Rechtsanwälten geboten war.
Abweichend ist für gesetzgebende Körperschaften und ihre Teile die Möglichkeit vorgesehen, sich durch ihre Mitglieder vertreten zu lassen (§ 22 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG). Nach Satz 3 der Bestimmung können sich der Bund, die Länder und ihre Verfassungsorgane außerdem durch Beamte mit näher bestimmten Qualifikationen vertreten lassen.
IV. Einleitung und Fortgang des Verfahrens – Verfahrenshindernisse
71Die Einleitung eines Verfahrens vor dem BVerfG erfolgt nicht von Amts wegen, sondern grundsätzlich nur auf Antrag (Ausnahme: der Sonderfall eines Verfahrens |21|nach § 105 BVerfGG; dazu → Rn. 630 und → Rn. 40, 55). Die näheren Voraussetzungen sind je nach Verfahrensart weitgehend verschieden. Eine einheitliche Regelung findet sich in § 23 Abs. 1 BVerfGG insoweit, als verfahrenseinleitende Anträge schriftlich beim BVerfG einzureichen und zu begründen sind. Auch sind die erforderlichen Beweismittel anzugeben. Durch den Antrag (nicht erst durch dessen Zustellung) wird die Rechtssache anhängig und rechtshängig. Dies hat die Bedeutung, dass sich das BVerfG mit dem Gegenstand des Verfahrens befassen kann, der zugleich durch den Antrag fixiert wird (ferner → Rn. 104, 244f.).
72Über den Fortgang des Verfahrens enthält das BVerfGG nur wenige Bestimmungen. Dazu gehört insbesondere die Zustellung von Anträgen nach § 23 Abs. 2 BVerfGG. Bei vorgreiflicher Bedeutung eines anderen Gerichtsverfahrens kann das BVerfG sein Verfahren bis zu dessen Erledigung aussetzen (§ 33 Abs. 1 BVerfGG); dies ist etwa durch BVerfGE 134, 366 Rn. 104 verbunden mit einer Vorlage des BVerfG zum EuGH geschehen. Grundsätzlich besteht für das BVerfG auch die Möglichkeit, nach seinem Ermessen anhängige Verfahren zu trennen oder zu verbinden, was teilweise zudem ausdrücklich vorgesehen ist (vgl. §§ 66, 69 BVerfGG).
73Nicht ausdrücklich im BVerfGG geregelt ist die Möglichkeit von Verfahrenshindernissen, die die Einstellung eines bundesverfassungsgerichtlichen Verfahrens zur Folge haben. Ein solches Verfahrenshindernis hat das BVerfG zuletzt im NPD-Verbotsverfahren aus dem Jahr 2003 (BVerfGE 107, 339 [360ff.]) angenommen, nachdem die Antragsteller ihre Anträge in großem Umfang auf die Aktivitäten von V-Leuten gestützt hatten, die selbst nach Einleitung des Verfahrens noch in maßgeblichen Funktionen der NPD tätig geblieben waren.
V. Verfahrensgrundsätze
74Für die Verfahren des BVerfG gelten einige allgemeine Grundsätze, die aus anderen Gerichtsbarkeiten bekannt sind, aber mit Rücksicht auf die Besonderheiten der Verfassungsgerichtsbarkeit zum Teil Modifikationen erfahren.
1. Mündlichkeit und Öffentlichkeit
75Nach § 25 Abs. 1 BVerfGG ergehen Entscheidungen des BVerfG grundsätzlich aufgrund mündlicher Verhandlung. In der Praxis ist dieser Grundsatz der Mündlichkeit indes weitestgehend durchbrochen. Dies beruht zum Teil darauf, dass im BVerfGG anderes bestimmt, also vorgeschrieben oder zugelassen ist, so in § 24 Satz 1 i.V.m. § 25 Abs. 2, § 32 Abs. 2 Satz 1, § 66a, § 82a Abs. 3, § 93d Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Im Übrigen wird in großem Umfang von der Möglichkeit des Verzichts auf die mündliche Verhandlung nach § 25 Abs. 1 BVerfGG, auch im Rahmen des § 94 Abs. 5 Satz 2 BVerfGG, Gebrauch gemacht.
76Die mündliche Verhandlung erfolgt nach § 17 BVerfGG i.V.m. § 169 GVG öffentlich; § 169 Satz 2 GVG erklärt aber Ton- und Fernseh-Rundfunk-Aufnahmen allgemein für unzulässig. Nachdem das BVerfG in seiner Rechtspraxis bereits über |22|das GVG hinausgegangen war, ist 1998 mit § 17a BVerfGG auch eine gesetzliche Grundlage hierfür geschaffen worden. Danach sind Aufnahmen insbesondere bei der öffentlichen Verkündung von Entscheidungen durch das BVerfG zulässig.
2. Verfügungsgrundsatz
77Im Hinblick auf den Verfahrensgegenstand folgt das Verfassungsprozessrecht dem Verfügungsgrundsatz (auch: Dispositionsmaxime). Dies wurde bereits daran deutlich, dass ein Verfahren stets nur auf Antrag eingeleitet wird (→ Rn. 71). Dies entspricht dem überkommenen Rechtsgrundsatz „ne eat iudex ex officio“. Der Antrag hat zudem die Bedeutung, den Verfahrensgegenstand abschließend zu bestimmen und damit den möglichen Entscheidungsumfang des BVerfG entsprechend dem überkommenen Rechtsgrundsatz „ne ultra petita“ zu begrenzen. Das Gesetz kennt allerdings insoweit in einzelnen Verfahrensarten begrenzte Ausnahmen, namentlich in § 67 Satz 3, § 78 Satz 2, § 95 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG (→ Rn. 162, 346, 608).
78Nicht abschließend geklärt ist die Geltung der Dispositionsmaxime