D. Rechtshistorische Überlegungen zur unbeschränkten und beschränkbaren Haftung
Aus rechtshistorischer Sicht – soweit man dies angesichts der Zersplitterung der verschiedenen Rechtsgebiete und den verschiedenen Rechtsentwicklungen überhaupt pauschalisiert sagen kann, was angesichts der Zielsetzung dieser Arbeit aber geduldet werden mag – dominierte im römischen Recht die unbeschränkte persönliche Haftung, insbes. basierend auf Delikt101. Darlehensgeschäfte entwickelten sich auch aus Risikogesichtspunkten heraus (keine direkte Beteiligung an Risiken, Nichteinbringbarkeit der Darlehenssumme (ggfs. zzgl. Zinsen) als maximales Risiko) zur bevorzugten Kooperationsform102. In der Zeit zwischen dem 5. und 9. Jahrhundert bildeten sich im Fränkischen Recht erste Pfändungsverbote heraus, welche zu einer faktischen Beschränkung der Haftung führen103. Nach und nach entwickelten sich – auch angesichts kirchlicher und später ins weltliche Recht übernommene (Wucher-)Zinsverbote – alternative Kooperationsformen heraus104. Die beschränkbare Bestellung von Sicherheiten durch Dritte belegt die Ursprünge einer veränderten Wahrnehmung vertraglicher Haftungsbeschränkungsmöglichkeiten105. Mit einer zunehmenden Rezeption des Römischen Rechts schwand der Einfluss des kanonischen Rechts und mit einer Abkehr vom grundsätzlichen Zinsverbot wurden angemessene Zinssätze anerkannt, Wucherzinsen blieben angesichts Bevölkerungsunruhen jedoch verboten106. In einzelnen Landesrechten wurde Ende des 18. Jahrhunderts der vertragliche Ausschluss der Haftung für leichte Fahrlässigkeit anerkannt, was auch als Ausdruck der zunehmenden Wertschätzung der Privatautonomie verstanden werden darf107. In den sich anschließenden gesetzlichen Kodifikationen (auch im BGB von 1896) wurde dieses Prinzip fest verankert108. Aus historischer Sicht bleibt festzuhalten, dass die frühe Kooperationsform des Darlehens angesichts von Fehlentwicklungen und unzureichender Geeignetheit für zunehmend arbeitsteiliges Wirtschaften keinen Bestand haben konnte109. Interessant ist, dass die frühzeitige Entwicklung des arbeitsteiligen Wirtschaftens heute durch die Komplexität von Wertschöpfungsketten ihren (einstweiligen) Höhepunkt erreicht hat und bei wertender Betrachtung der geschichtlichen Entwicklung die – zumindest teilweise mögliche – Beschränkbarkeit der Haftung geradezu eine Notwendigkeit des heutigen Wirtschaftens ist110.
101 Zur rechtshistorischen Entwicklung ausführlich Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, S. 19ff.. 102 Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, S. 21, 24. 103 Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, S. 27. 104 Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, S. 28–32. 105 Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, S. 29/30. 106 Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, S. 35. 107 Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, S. 37. 108 Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, S. 39. 109 So i.E. auch Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, S. 43. 110 Bruns bringt dies durch sein Resümee „Hoher Kapitalbedarf und Investitionsbereitschaft verlangen Beschränkbarkeit der Haftung.“ (ders., Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, S. 43) eindrucksvoll auf den Punkt.
E. Bewertung aus Sicht der Wirtschaft
Aus der Weite des Schadensbegriffes ergibt sich somit das Risiko, dass der entstandene Schaden in unangemessener Relation zum Wert der erbrachten Lieferung bzw. Leistung steht. Insbesondere auch aufgrund der Komplexität von Wertschöpfungsketten können Schäden schnell ein Vielfaches des Lieferwertes erreichen. Existenzgefährdende Risiken sind an der Tagesordnung.
Deutsche Kapitalgesellschaften sind bereits gesetzlich verpflichtet, geeignete Risikomanagementsysteme einzuführen, um existenzgefährdende Risiken aufzudecken und zu minimieren, wozu nach Graf von Westphalen auch die individuelle Vereinbarung von Haftungshöchstgrenzen zählen soll111. Wegen der bereits beschriebenen fehlenden Versicherbarkeit mancher Schäden, verbleibenden Höchstdeckungssummen und Mindestselbstbehalten müsse das Unternehmen auf vertragliche Mittel zur Haftungsbegrenzung zurückgreifen. Dieser interessante Ansatz ist argumentatorisch nachvollziehbar, bildet aber in dieser detaillierten Vorgabe aber derzeit (noch) nicht den Stand der Rechtsprechung und Literatur ab, nachdem in Bezug auf die genaue Ausgestaltung eines angemessenen Risikomanagementsystem ein weiter Beurteilungsspielraum zu Gunsten der Geschäftsführung besteht112. Zudem wird unterschlagen, dass sich die Sorgfaltspflichten (sofern es denn nicht um Legalitätspflichten geht), stets innerhalb eines großen, der gerichtlichen Prüfung entzogenen Bewertungsspielraums (sog. Business Judgement Rule) bewegen113. So ist auch der Abschluss eines Geschäfts mit existenzgefährdenden Risiken nicht per se eine Pflichtverletzung im Sinne von § 43 Abs. 2 GmbH, selbst wenn sich diese Risiken später realisieren114. Zudem ist die Kausalkette zu berücksichtigen, wonach nicht der Vertragsabschluss ohne angemessene Haftungsbeschränkung die Existenz gefährdet, sondern z.B. ein hiernach eintretender Gewährleistungsfall mit entsprechenden Folgeschäden. Hat sich der Geschäftsführer im Rahmen der Business Judgement Rule und somit auf Basis angemessener Informationen und nach vorheriger Sachprüfung (wie z.B. Schadensträchtigkeit der in Frage stehenden Produkte, Bekanntheit des Verwendungszwecks, erfahrenes Personal, Risikoneigung der Gesellschafter115) für den Abschluss eines Vertrages entschlossen, so kann ihm hieraus kein Vorwurf gemacht werden116. Zu berücksichtigen sind neben dem Schadensrisiko an sich stets auch die damit verfolgten Zielsetzungen (wie z.B. Erhalt der Arbeitsplätze), wobei eine Grenze erst dann erreicht ist, wenn keine vernünftigen Gründe für die Eingehung des gegebenenfalls auch existenzgefährdenden Risikos vorliegen117. Zuletzt ist auch anzumerken, dass der Geschäftsführer bei fehlenden vertraglichen Haftungsbeschränkungen nur dem Leitbild des BGB und dem darin vorgegebenen Prinzip der unbeschränkten Haftung folgt, was kaum als Pflichtverletzung interpretiert werden dürfte. Wenngleich also eine Bezugnahme auf § 43 GmbHG kein geeignetes Mittel sein mag, um juristische Handlungspflichten abzuleiten, ist es aus dem Blickwinkel des kaufmännischen Risikomanagements natürlich nachvollziehbar und empfehlenswert, angemessene vertragliche Haftungsbeschränkungen anzustreben118.
Problematisch wird es dann, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel zur Haftungsbegrenzung in Lieferketten nicht einheitlich gehandhabt werden und diese mit der Verantwortlichkeit für den Schaden auseinander fallen: Entsteht beispielsweise innerhalb der Lieferkette von A über B nach C beim C ein Schaden, der von A verursacht wurde, und hat A gegenüber B (zulässige) vertragliche Haftungsbeschränkungen