B. Der Grundsatz der Totalreparation nach BGB und CISG
§§ 249ff. BGB stellen nicht die Anspruchsgrundlage für den Schadensersatzanspruch an sich dar, sondern regeln vielmehr, wie der zu ersetzende Schaden zu ermitteln ist. Nach den in § 249 BGB verankerten Grundsätzen ist der Geschädigte so zu stellen, wie wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre (sog. Differenzhypothese nach Mommsen)76. Grundlage dieser Überlegung ist es, dass alle entstandenen Nachteile in Form eines Ausgleichs zu ersetzten sind (sog. Totalreparation77), welche äquivalent kausal, d.h. auf Basis der conditio-sine-qua-non-Formel, zugerechnet werden können78. Eine (begrenzende) wirtschaftliche Relation zwischen Auftragswert und maximal zu tragendem Schaden ist nicht anerkannt79. Auch nur durch leichteste Fahrlässigkeit verursachte Schäden, welche die persönliche Leistungsfähigkeit des Schädigers übersteigen, erfahren keine Privilegierung und auch eine Unterscheidung nach der Vorhersehbarkeit eines Schadens findet nicht statt80. Die früher gängige Haftungsbefreiung für entgangenen Gewinn bei leichter Fahrlässigkeit ist bereits seit der Durchsetzung der 1855 vorgestellten Differenzhypothese passe81. Die Unterscheidung zwischen direkten Schäden und Folgeschäden spielt demnach im Bereich des deutschen Schadensersatzrechtes keine Rolle, nachdem beiden Schadensarten nach den gleichen Kriterien zu ersetzen sind82. Auch im Bereich der AGB-Kontrolle hat sich der Gesetzgeber auf Grund der schwierigen praktischen Unterscheidbarkeit sowie der regelmäßig schwereren Belastung durch den mittelbaren als den unmittelbaren Schaden bewusst gegen eine Differenzierung entschieden83.
Das Interesse des Geschädigten an der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes gilt als einheitlicher Ausgangspunkt der Schadensermittlung84. Ein darüber hinaus gehender Strafschadensersatz (punitive damages), wie er z.B. nach dem anglo-amerikanischen Rechtsverständnis fällig werden kann, ist dem derzeitigen deutschen Rechtsverständnis mit gewissen Einschränkungen fremd85. Neben einer Ausgleichsfunktion stehen dort die Straf- sowie Präventionsfunktion bei der Rechtfertigung von Schadensersatz im Vordergrund86.
Auch nach Art. 74 CISG, welcher als Teil des deutschen Rechts bei fehlendem explizitem Ausschluss bei nicht privat tätig werdenden Vertragspartnern mit Niederlassungen in verschiedenen Staaten unmittelbar zur Anwendung kommen kann, gilt hier nichts anderes87. Zwar sieht Art. 74 S. 2 CISG eine Beschränkung auf den vorhersehbaren Schaden vor („als mögliche Folge der Vertragsverletzung vorausgesehen hat oder unter Berücksichtigung der Umstände, die sie kannte oder kennen musste, hätte voraussehen müssen“), was durch den dabei unterstellten verstärkten Informationsaustausch aus rechtsökonomischer Sicht entweder verstärkte Schadensminimierungsbestrebungen oder zumindest Einpreisung der Risiken (auch über Versicherungslösungen) erwarten lassen könne88. Bei den für den deutschen Export typischen Produkten, welche in komplexe Wertschöpfungsketten (z.B. im Maschinen- und Anlagenbau, Automobilbau, chemische Industrie) eingebracht werden, sind weit reichende Haftungsrisiken bereits vor Vertragsabschluss ohne Weiteres deutlich vorhersehbar, weshalb dies kein ausreichendes Unterscheidungskriterium ist89. Dies wird für einen Lieferanten häufig dadurch subjektiv ersichtlich, dass sein Liefer- und Leistungsumfang mittels einer Vielzahl definierter technischer Schnittstellen/Spezifikationen zur Gesamtanlage bestimmt wird und zumindest objektiv die zu erwartenden Schäden aus der typischen Benutzung des Liefer- und Leistungsumfangs erwartbar sind90. Die Gesamtanlage und die möglichen Auswirkungen eines Ausfalls seines Liefer- und Leistungsumfangs sind somit zumeist ausreichend klar umrissen, Einschränkungen im Hinblick auf die Ersatzfähigkeit von entgangenem Gewinn oder Betriebsausfallschäden nicht ersichtlich91. Die Rechtsprechung bejaht deshalb in aller Regel die Haftung auch für Folgeschäden wie entgangenem Gewinn92.
Dieser Grundsatz der unbeschränkten Haftung ist, wie nachfolgend im rechtsvergleichenden Teil dieser Arbeit dargestellt wird, nicht unüblich. Allerdings darf trotz der beispielhaft näher dargestellten Rechtsordnungen nicht ausgeblendet werden, dass sehr wohl Rechtsordnungen existieren, deren Vertragsrecht die Haftung für Folgeschäden bereits per se nicht vorsieht. So beschränkt z.B. das indische Vertragsrecht (Section 73, Indian Contract Law) Schadensersatzansprüche auf direkte und vorhersehbare Schäden und schließt indirekte Folgeschäden explizit aus93.
76 MüKo/BGB-Oetker, § 249 Rn. 18; STAUDINGER-249ff.-Schiemann, § 249 Rn. 4ff.; NK-Magnus, Vor §§ 249–255 Rn. 6. Zur historischen Entwicklung des Schadensrechts vgl. STAUDINGER-249ff.-Schiemann, Vorbem zu §§ 249ff. Rn. 23–25. 77 NK-Magnus, Vor §§ 249–255 Rn. 30; STAUDINGER-249ff.-Schiemann, § 249 Rn. 2; Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, S. 8. 78 PALANDT-Grüneberg, Vorb v § 249 Rn. 25; MüKo/BGB-Oetker, § 249 Rn. 8 u 98; NK-Magnus, Vor §§ 249–255 Rn. 64.