B. Die Auswirkungen der Debatte auf die Wirtschaft
Die exportlastige deutsche Wirtschaft wird durch die sich verstärkende Debatte nicht nur generell, sondern insbesondere auch im Hinblick auf ihre Verhandlungsstrategie bei Vertragsverhandlungen zunehmend verunsichert:
Auf Grund der häufig schwächeren Position des Verkäufers gegenüber dem Käufer47 sehen sich Exporteure zu Beginn der Vertragsverhandlungen i.d.R. zuallererst mit den vertraglichen Vorstellungen des Käufers konfrontiert, die auf dessen Rechtsordnung basieren. Dieser hat verständlicherweise ein grundsätzliches Interesse daran, die im Falle fehlender Parteivereinbarung in der Regel anwendbare deutsche Rechtsordnung48 zu Gunsten der eigenen Rechtsordnung abzubedingen.
Der deutsche Exporteur, der von der AGB-Debatte Kenntnis genommen hat, befindet sich bei den Vertragsverhandlungen mit dem Kunden unweigerlich in einem Interessenkonflikt: Erreicht er eine Rechtswahl zu Gunsten des deutschen Rechts und werden die von ihm vorgelegten Haftungsausschluss- und Haftungsbegrenzungsklauseln hierbei nicht ausreichend individuell „ausgehandelt“49, besteht die Gefahr, dass auf Grund der deutschen Rechtsprechung zur AGB-Kontrolle die Risikobegrenzungen nicht anerkannt werden und trotz der vermeintlich freundlicheren heimischen Rechtsordnung eine potentiell existenzgefährdende unbeschränkte Haftung greift. Insbesondere könnte der Verwendungsgegner bewusst auf eine Abänderung von vorgelegten Vertragstexten verzichten und auf die Unwirksamkeit nicht ausgehandelter Vertragsbestandteile spekulieren50. Wählt oder akzeptiert der Exporteur folglich fremdes Recht (was wegen der kolportieren Popularität Schweizerisches Recht sein kann, aber nicht muss), kann er sich jedoch nicht sicher sein, dass die vertraglich vereinbarten Haftungsausschluss- und Haftungsbegrenzungsklauseln auch nach diesem fremden Recht zulässig sind. Die Einholung fachkundigen nationalen Rechtsrates unterbleibt v.a. bei dem die deutsche Wirtschaft prägenden Mittelstand51 vielfach, sei es aus Kosten- oder Zeitgründen oder aus einer „gefühlten Sicherheit“ heraus. Denn schließlich sei, nach alledem was man so höre, keine fremde Rechtsordnung so unberechenbar wie das deutsche Recht.
Festzuhalten ist somit, dass in der Wirtschaft – verständlicherweise – eine nicht zu unterschätzende Verunsicherung existiert. Die vorliegende Arbeit versucht zu ergründen, ob die Verunsicherung der Wirtschaft in diesem Bereich berechtigt ist und welche Handlungsempfehlungen gegeben werden können. Die AGB-Kontrolle von Haftungsausschluss- und Haftungsbegrenzungsklauseln wird hierbei beispielhaft herausgegriffen, da diese für Unternehmen Existenz entscheidend sein können und die Kritik an der AGB-Kontrolle zumeist aus dem Blickwinkel des Risikomanagements zur Vermeidung existenzbedrohender Haftungsrisiken geführt wird.
47 Schuhmann, BB 1996, S. 2473ff. (2473). 48 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), Art. 4. Für vor dem 17.12.2009 abgeschlossene Verträge gilt noch Art. 28 I S. 1, II S. 1 EGBGB. Vgl. STAUDINGER-AGB-Coester, Vorbem zu §§ 307–309 Rn. 11. 49 Ausführlich zu Verhandlungsstrategien aus dem Blickwinkel der Inhaltskontrolle: Schuhmann, BB 1996, S. 2473ff. (2473ff.). 50 Kessel/Jüttner, BB 2008, S. 1350ff. (1351); so auch bereits zu Zeiten des AGBG: Schuhmann, BB 1996, S. 2473ff. (2476). 51 Gemäß Deutschem Statistischen Bundesamt gehörten 2017 dem Mittelstand (inkl. Kleinbetriebe) 99,7 Prozent aller deutschen Unternehmen an, welche mehr als 60 % der bei allen Unternehmen tätigen Personen beschäftigten. Abgerufen am 05.04.2020 unter https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Unternehmen/Kleine-Unternehmen-Mittlere-Unternehmen/Tabellen/wirtschaftsabschnitte-insgesamt.html;jsessionid=DE62AA8D760EB94F35A509CBB6078EF8.internet711.
A. Schadensarten
I. Definition
Unter einem natürlichen Schaden ist „jede Einbuße, die jemand infolge eines bestimmten Ereignisses an seinen Lebensgütern“52 erfährt, zu verstehen. Der natürliche Schaden kann weiter Vermögens- als auch Nichtvermögensschaden sein53, wobei die Abgrenzungskriterien im Einzelfall fließend sein können54.
II. Nichtvermögensschaden
Unter einem Nichtvermögensschaden versteht man sämtliche immaterielle Schäden, welche keine (messbare) Vermögensminderung mit sich bringen55. Ein Anspruch auf Geldentschädigung entsteht nur, sofern dies ausdrücklich im Gesetz vorgesehen ist (z.B. § 253 Abs. 2 BGB)56. Da sich typischerweise Schäden im kaufmännischen Geschäftsverkehr in Geld bewerten lassen, spielen Nichtvermögensschäden bei der hier vorliegenden Betrachtung keine Rolle.
III. Vermögensschäden, insbes. Folgeschäden
Liegt hingegen ein Vermögensschaden vor, so liegt der Wert des Vermögens des Geschädigten messbar unter dem Wert, wie er ohne schadensbegründendes Ereignis liegen würde57. Voraussetzung ist also eine Messbarkeit einer Einbuße in Geld58.
Im unternehmerischen Geschäftsverkehr kommt im Bereich der Vermögensschäden den sog. „Folgeschäden“, welche auch als „mittelbare Schäden“ oder „indirekte Schäden“ bezeichnet werden, eine besondere Bedeutung zu59. Auch wenn eine justiziable Definition dieser Schadensart fehlt und selbst in umfangreichen Klauselwerken eine vertragliche Definition als kaum verwirklichbar angesehen wird60, wird dieser Begriff im Allgemeinen