Eine weitere Auffassung will den besonderen Inlandsbezug unter Rückgriff auf § 7 StGB begründen. Danach ist es erforderlich, dass „sich die Tat gegen einen Deutschen richtet (arg. e § 7 Abs. 1 StGB), der Täter zur Zeit der Tat Deutscher war bzw. es nach der Tat geworden ist (arg. e § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB) oder der Täter zur Zeit der Tat Ausländer war, im Inland betroffen und nicht ausgeliefert wird (arg. e. § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB)“.256
dd. Nichtanwendbarkeit deutschen Strafrechts analog Art. 296 EGStGB?
Zudem stellt sich die Frage, ob Art. 296 EGStGB zu einer Beschränkung der Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts führen könnte, da dieser jedenfalls für § 86 Abs. 1 StGB in Bezug auf Zeitungen und Zeitschriften eine Einschränkung vorsieht. Danach ist § 86 Abs. 1 StGB nicht anzuwenden auf Zeitungen und Zeitschriften, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereiches des EGStGB, also im Ausland, in ständiger, regelmäßiger Folge erscheinen und dort allgemein und öffentlich vertrieben werden.
Zweck der Regelung war der Zeitungsaustausch zwischen der früheren DDR und der BRD.257 Mag im Hinblick auf die Verbreitung noch eine analoge Anwendung der Voraussetzungen des allgemeinen und öffentlichen Vertriebs in Betracht kommen, gilt das nicht für eine Übertragung auf andere Straftatbestände. Denn der Vertrieb einer Schrift erfolgt allgemein, wenn „sie einem individuell nicht bestimmbaren Personenkreis zugänglich [ge]macht“ wird, und ist öffentlich, wenn „der Verkauf ‚in der Öffentlichkeit‘ geschieht“, also „im Straßenhandel, in Kiosken oder in öffentlich zugänglichen Buchhandlungen“.258 Die so hergestellte Öffentlichkeit kann durchaus noch als mit einer über das Internet hergestellten Öffentlichkeit vergleichbar betrachtet werden. Eine analoge Anwendung kann sich jedoch wenn überhaupt nur auf die Zeitungen und Zeitschriften und damit einen Ausschluss des § 86 Abs. 1 StGB für den Online-Bereich beziehen. Durch den alleinigen und ausdrücklichen Verweis auf § 86 Abs. 1 StGB macht der Gesetzgeber deutlich, dass Schriften unter den Voraussetzungen des Art. 296 EGStGB allein in Bezug auf diesen Straftatbestand privilegiert sein sollen, während andere strafbare Inhalte weiterhin vom deutschen Strafrecht erfasst werden sollen.259 Die Regelung ist als Ausnahmevorschrift eng auszulegen, weshalb eine analoge Erweiterung auf andere Straftatbestände ausscheidet.
Eine analoge Anwendung des Art. 296 EGStGB zur Begrenzung der Anwendbarkeit deutschen Strafrechts bei Internetsachverhalten und insbesondere der Verbreitung von Inhalten über soziale Netzwerke ist damit grundsätzlich abzulehnen.
ee. Hier vertretene Auffassung
Überzeugend ist allein der subjektive Ansatz zur Begründung eines besonderen Inlandsbezugs, sodass der Täter eine Wirkung seiner Tat im Inland wollen muss.260
Ein Rückgriff auf § 7 StGB ist abzulehnen, da der nötige Inlandsbezug damit zu eng würde. Denn über § 7 StGB würden grundsätzlich nur „deutsche Staatsbürger geschützt oder als Täter bestraft“.261
Zwar wird dem subjektiven Ansatz teilweise entgegengehalten, dass die Rechtsanwendungsvorschrift des § 9 StGB nicht zum gesetzlichen Tatbestand gehört und daher nicht vom Vorsatz umfasst sein muss.262 Jedoch wird dabei verkannt, dass § 9 Abs. 1 Var. 4 StGB für den Fall des Versuchs gerade auf die Vorstellung des Täters von dem Ort des Erfolgseintritts abstellt und damit für die Anwendung deutschen Strafrechts die subjektive Zielrichtung des Täters berücksichtigt.263 Insoweit kann auch nicht der Einwand überzeugen, dass es „eines umfangreichen Prozesses“ bedürfe, „um festzustellen, ob der Täter Auswirkungen auf das deutsche Staatsgebiet beabsichtigt hatte“, was im Widerspruch zur Einordnung der fehlenden Anwendbarkeit deutschen Strafrechts als Prozesshindernis stehe.264 Sofern der subjektive Ansatz damit abgelehnt wird, dass dieser die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts „zur Disposition des Einzelnen“ stellt,265 ist dem ebenfalls entgegenzuhalten, dass für den Versuch gerade auf die subjektiven Vorstellungen des Handelnden abgestellt wird. Aber auch sonst kommt es für eine Strafbarkeit wegen des nach § 15 StGB grundsätzlich erforderlichen Vorsatzes regelmäßig auf die Vorstellungen des Täters und Teilnehmers an.
Die nötige Einschränkung der Anwendung des deutschen Strafrechts über den Erfolgsort ist deshalb nach hier vertretener Auffassung im Wege einer teleologischen Reduktion des § 9 Abs. 1 StGB zu erreichen. Als Folge dieser ist das „Oder“ zwischen § 9 Abs. 1 Var. 3 und Var. 4 StGB als „und“ zu lesen.266 Eine Tat ist damit an jedem Ort begangen, an dem der zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten ist und nach der Vorstellung des Täters auch eintreten sollte.
Zur Feststellung der Vorstellung des Täters kann sodann im Wege der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO) auf die Kriterien des objektiven Ansatzes zurückgegriffen werden. Indizien für eine entsprechende Vorstellung des Täters können dann die „deutsche Sprache“ des Inhalts und die Bezugnahme auf „deutsche Sachverhalte oder Personen“ sein.267
3. Ergebnis zur Anwendbarkeit deutschen Strafrechts
Für inländische Diensteanbieter als Teilnehmer durch Unterlassen an der Tat eines Nutzers findet deutsches Strafrecht grundsätzlich über § 9 Abs. 2 Satz 1 Var. 3 StGB Anwendung. Die für den inländischen Diensteanbieter handelnden Personen nehmen ihre Handlungen grundsätzlich im Inland vor und müssen deshalb im Falle des Unterlassens auch grundsätzlich im Inland handeln.
Hingegen scheidet eine Anwendung deutschen Strafrechts über § 9 Abs. 2 Satz 1 Var. 2 und 3 StGB in Bezug auf ausländische Diensteanbieter bzw. die für sie handelnden Personen grundsätzlich aus. Anknüpfungspunkt für eine Anwendung deutschen Strafrechts ist hier in der Regel der Ort der Tat (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Var. 1 i.V.m. Abs. 1 Var. 1 und 3 StGB). Dieser ist hinsichtlich der rechtswidrigen Inhalte i.S.d. § 1 Abs. 3 NetzDG regelmäßig im Inland, da die Nutzer diese Inhalte in aller Regel vom Inland aus in das soziale Netzwerk einstellen und damit im Inland handeln (§ 9 Abs. 1 Var. 1 StGB). Sollte eine Tat von dem Nutzer einmal nicht im Inland begangen sein, kommt es hingegen für die Anwendung des deutschen Strafrechts darauf an, ob der zum Tatbestand gehörende Erfolg im Inland eingetreten ist oder dort nach der Vorstellung des Täters, also Nutzers, eintreten sollte (§ 9 Abs. 1 Var. 3 und 4 StGB). Dabei ist zwischen den verschiedenen Deliktstypen zu unterscheiden. Während Erfolgsdelikte in Form des Verletzungsdelikts und konkrete Gefährdungsdelikte einen zum Tatbestand gehörenden Erfolg besitzen, ist das Vorliegen eines solchen Erfolgs bei abstrakten und abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikten umstritten und nach überzeugender Auffassung zu verneinen. Bezüglich abstrakter und abstrakt-konkreter Gefährdungsdelikte kann deshalb eine Anwendbarkeit deutschen Strafrechts nicht über den Erfolgsort begründet werden, da sie einen solchen schlicht nicht besitzen. Insoweit scheidet eine Anwendbarkeit deutschen Strafrechts über § 9 Abs. 2 Satz 1 Var. 1 i.V.m. Abs. 1 Var. 3 und 4 StGB bei solchen Delikten aus.
176 § 4 StGB beinhaltet das sog. Flaggenprinzip und bestimmt, dass deutsches Strafrecht für Taten gilt, die auf einem Schiff oder in einem Luftfahrzeug begangen werden, das berechtigt ist, die Bundesflagge oder das Staatszugehörigkeitszeichen der Bundesrepublik Deutschland zu führen. Die §§ 5 bis 7 StGB regeln die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts auf bestimmte Auslandstaten. 177 § 6 Nr. 6 StGB nimmt dabei Bezug auf Straftatbestände der Gewalt- und Tierpornographie (§ 184a StGB), Kinderpornographie (§ 184b Abs. 1 und 2 StGB) und Jugendpornographie (§ 184c Abs. 1 und 2 StGB). 178 Vgl. StA Hamburg, Mitteilung des Gerichts vom 8.3.2016 – 7101 AR 57/16, BeckRS 2016, 8783, hinsichtlich der Verantwortlichen der Facebook Inc. und Facebook Ireland Ltd. 179 Vgl. auch Pelz, ZUM 1998, 530. 180 Handel, MMR 2017, 227; Böse, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, § 9 Rn. 7 und 19. 181