(a) Alte Rechtsprechung des BGH
Hieraus hatte der 1. Strafsenat des BGH mit Urteil vom 12.12.2000 (1 StR 184/00) jedenfalls für § 130 Abs. 1 und 3 StGB gefolgert, dass das abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikt der Volksverhetzung aufgrund seiner Eignungsformel einen zum Tatbestand gehörenden Erfolg beinhaltet.232 Auch wenn eine konkrete Gefahr zur Erfüllung des Tatbestandes nicht erforderlich sei, müsse doch geprüft werden, „ob die jeweilige Handlung bei genereller Betrachtung gefahrengeeignet ist“.233 Dies setze im Rahmen von § 130 Abs. 1 und 3 StGB „eine konkrete Eignung zur Friedensstörung“ voraus, welche „nicht nur abstrakt bestehen“ dürfe, sondern „konkret festgestellt“ werden müsse.234 Für abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikte, die zwischen den abstrakten und den konkreten Gefährdungsdelikten angesiedelt sind, bedeute dies, dass sie unter dem „Gesichtspunkt des Erfolgsorts mit konkreten Gefährdungsdelikten vergleichbar“ seien, „weil der Gesetzgeber auch hier eine zu vermeidende Gefährdung – den Erfolg – im Tatbestand der Norm ausdrücklich bezeichnet“, sodass bei diesen Delikten „ein Erfolg im Sinne des § 9 StGB dort eingetreten“ ist, „wo die konkrete Tat ihre Gefährlichkeit im Hinblick auf das im Tatbestand umschriebene Rechtsgut entfalten kann“.235
Bei dieser Entscheidung handelte es sich um eine der wohl umstrittensten Entscheidungen des Internetstrafrechts.236 Einer der Hauptkritikpunkte besteht darin, dass die Eignung zur Gefährdung keinen eigenständigen tatbestandlichen Erfolg, sondern vielmehr eine Anforderung an die Handlung stellt bzw. eine Eigenschaft dieser darstellt.237
(b) Neue Rechtsprechung des BGH
Der Auffassung des 1. Strafsenats ist der 3. Strafsenat des BGH mit Beschluss vom 3.5.2016 (3 StR 449/15) entgegengetreten.238 Dieser führt aus, dass jedenfalls „das Merkmal der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens im Sinne von § 130 Abs. 3 StGB [...] keinen zum Tatbestand gehörenden Erfolg“ umschreibt.239 Im Ergebnis stellt das Gericht damit fest, dass abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikte ebenso wie abstrakte Gefährdungsdelikte keinen zum Tatbestand gehörenden Erfolg besitzen.240 Denn nach den Ausführungen des 3. Strafsenats erfordert eine potentielle Gefahr, wie sie ein abstrakt-konkretes Gefährdungsdelikt voraussetzt, keine „von der tatbestandsmäßigen Handlung räumlich und/oder zeitlich abtrennbare Außenweltsveränderung“ im Sinne eines zum Tatbestand gehörenden Erfolgs.241
Der Beschluss des 3. Strafsenats führt insofern zu einer Änderung der umstrittenen BGH-Rechtsprechung aus dem Jahr 2000, was dem Senat auch bewusst war.242 Denn der 3. Strafsenat führt aus, dass er ein Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 GVG nicht durchführen muss, da er nunmehr alleine „für Entscheidungen über Revisionen in Strafsachen gegen die Urteile der Strafkammern zuständig“ ist, „sofern sie – unter anderem – Fälle der Volksverhetzung (§ 130 StGB) betreffen“.243 Zudem waren die Ausführungen des BGH für den zu entscheidenden Sachverhalt überflüssig, da das Gericht die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts im konkreten Fall bereits aus § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB hergeleitet hat.244
Bei abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikten ist deshalb im Ergebnis ebenfalls und übereinstimmend mit der neuen Rechtsprechung des BGH davon auszugehen, dass sie keinen zum Tatbestand gehörenden Erfolg i.S.d. § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB besitzen.
cc. Ergebnis zum Erfolgsort
Einen zum Tatbestand gehörenden Erfolg i.S.d. § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB setzen lediglich Verletzungsdelikte und konkrete Gefährdungsdelikte voraus. Keinen solchen Erfolg besitzen hingegen abstrakte und abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikte. Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts über den Erfolgsort im Inland kann daher nach überzeugender Auffassung nur bei Verletzungsdelikten und konkreten Gefährdungsdelikten begründet werden.
c. Begrenzung der Anwendung deutschen Strafrechts
Trotz dieses bereits restriktiven Ergebnisses durch den Ausschluss abstrakter und abstrakt-konkreter Gefährdungsdelikte stellt sich die Frage, ob auch im Hinblick auf Erfolgsdelikte in Form der Verletzungsdelikte und konkrete Gefährdungsdelikte eine Einschränkung der Anwendbarkeit deutschen Strafrechts geboten ist, wenn der Täter im Ausland gehandelt hat und ein zum Tatbestand gehörender Erfolg im Inland eintritt; dies deshalb, da es Sachverhalte gibt, die bis auf einen tatbestandlichen Erfolg, der zufällig im Inland eintritt, keinerlei weiteren Bezug zum Inland beinhalten. Hierbei handelt es sich vor allem um Fälle, in denen sowohl Täter als auch Opfer, aber auch die sonstigen Tatumstände keinen Inlandsbezug haben und das erfüllte Delikt dem Schutz des Opfers selbst dient.
Beispielhaft wird regelmäßig der Fall genannt, dass ein US-Amerikaner einen anderen US-Amerikaner in englischer Sprache, in einem englischsprachigen Forum, das auf einem Server in den USA gehostet bzw. gespeichert wird, beleidigt.245 Sofern diese Beleidigung von einem Internetnutzer im Inland zufällig abgerufen bzw. wahrgenommen wird, ist § 185 StGB erfüllt und ein Beleidigungserfolg im Inland gegeben.246 Das deutsche Strafrecht wäre anwendbar.
Dies erscheint jedoch wegen der Zufälligkeit des Erfolgseintritts im Inland und des daher grundsätzlich fehlenden Inlandsbezugs als unbillig. Würde bereits der zufällige Erfolgseintritt im Inland zur Anwendung deutschen Strafrechts genügen, würde dies übertragen auf andere Jurisdiktionen dazu führen, dass sich Diensteanbieter und Nutzer ggf. hunderten Rechtsordnungen gegenüber verantworten müssten und diese selbst dann zu beachten wären, wenn die Diensteanbieter und Nutzer ihre Geschäftstätigkeit und Handlungen überhaupt nicht auf sie ausrichten, was schlicht unzumutbar wäre;247 schlimmer noch: Sie wären selbst dann strafrechtlich verantwortlich, wenn die Handlung in ihrem Heimatland, von welchem aus sie gehandelt haben, straffrei ist.248 Zudem müssten die deutschen Staatsanwaltschaften wegen des Legalitätsprinzips des § 152 Abs. 2 StPO bei jeder über das Internet verbreiteten und in Deutschland strafbaren Information zunächst einmal Ermittlungen aufnehmen.249
Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts ist deshalb – nach überzeugender Auffassung – auch bei Vorliegen eines zum Tatbestand gehörenden Erfolgs im Inland von einem zusätzlichen und besonderen Inlandsbezug der Tat abhängig zu machen.250 Denn gerade grenzüberschreitende Internetsachverhalte bedürfen im Hinblick auf das Völkerrecht eines sinnvollen und legitimierenden Anknüpfungspunkts zum Inland, um die Anwendung des nationalen Rechts zu rechtfertigen.251 Der bloße Umstand, dass bei Internetsachverhalten ein weltweiter Abruf der nach deutschem Recht rechtswidrigen Information möglich ist und damit auch Nutzer in Deutschland diese abrufen und wahrnehmen können, begründet für sich genommen keinen sinnvollen und legitimierenden Anknüpfungspunkt.252
Zur Begründung eines besonderen Inlandsbezugs, der über den bloßen Erfolgseintritt im Inland hinausgehen muss und damit die Anwendung deutschen Strafrechts rechtfertigt, werden mit einem objektiven (siehe aa.) und einem subjektiven (siehe bb.) Ansatz sowie einem Rückgriff auf § 7 StGB (siehe cc.) im Wesentlichen drei Begründungsansätze vertreten. Zudem stellt sich die Frage, ob die Anwendung des deutschen Strafrechts durch Art. 296 EGStGB ausgeschlossen sein könnte (siehe dd.).
aa. Der objektive Ansatz eines besonderen Inlandsbezugs
Zum Teil findet sich die Auffassung, dass die Tat einen objektiven besonderen Bezug zu Deutschland haben muss.253 Dieser soll dann zu bejahen sein, wenn strafbare Informationen „in deutscher Sprache erscheinen, wenn sie sich speziell auf deutsche Sachverhalte oder Personen beziehen oder wenn aus sonstigen Gründen ein besonderer, für andere Länder nicht vorliegender Anknüpfungspunkt an Deutschland gegeben ist“.254
bb. Der subjektive Ansatz eines besonderen Inlandsbezugs
Demgegenüber ist es nach dem subjektiven Ansatz erforderlich, dass der Täter gerade „über das Internet in Deutschland wirken will“ und diesbezüglich