Ob ein solcher Erfolg auch bei abstrakten Gefährdungsdelikten zu bejahen ist, ist umstritten. Denn anders als konkrete Gefährdungsdelikte setzen diese keinen Gefahrerfolg voraus, der über die Tathandlung hinausgeht.198 Einen von der Handlung trennbaren tatbestandlichen Erfolg besitzen abstrakte Gefährdungsdelikte nicht. Es handelt sich um reine Tätigkeitsdelikte, bei denen die bloße Vornahme der Handlung bzw. Tätigkeit bereits zu einer Strafbarkeit führt, da bereits der Handlung selbst eine abstrakte Gefahr innewohnt (z.B. § 316 StGB). Die Gefahr selbst ist aber kein Tatbestandsmerkmal des jeweiligen abstrakten Gefährdungsdelikts.199
(a) Theorie vom Ort der realisierten Gefahr
Zum Teil wird aber vertreten, dass im Falle einer Realisierung der abstrakten Gefahr ein Erfolg i.S.d. § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB vorliegt.200 Dieser sei immer dort belegen, wo Rechtsgüter geschädigt wurden oder es zu Gefährdungen gekommen ist, die nach dem Zweck des jeweiligen Straftatbestands verhindert werden sollen.201 Dies ist aus verschiedenen Gründen abzulehnen.
Zum einen handelt es sich – wie bereits erwähnt – bei der Gefahr gerade nicht um ein Tatbestandsmerkmal. Die realisierte Gefahr kann zwar vielleicht noch als „Erfolg“ gesehen werden. Mangels der Bezugnahme des Tatbestands auf sie, handelt es sich aber nicht um einen „zum Tatbestand gehörenden“ Erfolg.202 Denn für die Erfüllung des gesetzlichen Tatbestands ist sie nicht relevant.203 Die Auslegung widerspricht damit dem klaren Wortlaut des § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB.204
Zum anderen spricht auch die Änderung durch das 2. StrRG vom 4.7.1969 gegen diese weite Auffassung. Denn vor der Änderung durch das 2. StrRG205 war der Wortlaut des § 3 Abs. 3 Var. 3 StGB a.F. deutlich weiter, sodass eine Tat an jedem Ort begangen war, an dem der Erfolg eingetreten ist. Die Einschränkung, dass es sich um einen „zum Tatbestand gehörenden“ Erfolg handeln muss, beinhaltete § 3 Abs. 3 Var. 3 StGB a.F. gerade nicht und wurde erst durch das 2. StrRG eingeführt.206 Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass der Gesetzgeber eine solche Einschränkung nicht bezweckt habe, da sich dies jedenfalls im Wortlaut des § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB nicht widerspiegelt.207 Im Hinblick auf die Tatbegehung über das Internet überzeugt ein Rückgriff auf den Willen des historischen Gesetzgebers und eine Bevorzugung desselben gegenüber dem klaren Wortlaut der Regelung auch deshalb nicht, da das Internet und dessen Folgen für die Möglichkeiten der Tatbegehung im Jahr 1969 überhaupt nicht absehbar waren.208
(b) Theorie vom Ort der möglichen Realisierung der Gefahr
Eine darüberhinausgehende Ansicht will einen Erfolg sogar überall dort annehmen, wo sich die abstrakte Gefahr auch nur realisieren könnte.209
Im Ergebnis würde dies dazu führen, dass Internetdelikte immer dem deutschen Strafrecht unterliegen.210 Es wäre „eine unangemessene Allzuständigkeit des deutschen Strafrechts“ gegeben, die „im Ausland straflose Äußerungshandlungen hier [Anm.: in Deutschland] unter Strafe“ stellen würden, wobei eine Strafverfolgung faktisch ausgeschlossen wäre, da die Beschuldigten sich nicht im Inland aufhalten.211
Auch aus völkerrechtlicher Sicht ist eine so weitgehende Anwendung des deutschen Strafrechts abzulehnen. Denn aus dem Nichteinmischungsgrundsatz des Völkerrechts folgt, dass die Tat einen legitimierenden Inlandsbezug aufweisen muss, damit deutsches Strafrecht anwendbar ist.212 Zur Annahme eines solchen legitimierenden Inlandsbezugs ist „die bloße Möglichkeit der Realisierung einer abstrakten Gefahr [...] nicht ausreichen[d]“, sondern darüber hinausgehend der Eintritt eines Erfolgs zumindest im Sinne der Realisierung der Gefahr im Inland erforderlich.213
(c) Theorie vom Tathandlungserfolg
Nach einer weiteren Auffassung ist auf das Vorliegen eines Tathandlungserfolgs und damit auf eine Erfolgskomponente abzustellen, die der Handlung selbst innewohnt.214 Hierbei kann es sich zum Beispiel um den Erfolg der Verbreitung oder des öffentlichen Zugänglichmachens von rechtswidrigen Schriften bzw. Informationen handeln.215 Jedenfalls aus sprachlicher Sicht erscheint es nicht fernliegend, bei der Vornahme der Handlung des Verbreitens und öffentlichen Zugänglichmachens auch von einem entsprechenden Erfolg zu sprechen, wenn die Handlung zu einer tatsächlichen Verbreitung oder Zugänglichmachung geführt hat. Dabei wird von Sieber zwischen der sog. Push- und Pull-Technologie unterschieden.216 Sofern die Information gezielt auf einen Computer im Inland übermittelt wird (Push-Technologie), soll ein Tathandlungserfolg des Verbreitens im Inland gegeben sein. Ruft hingegen ein inländischer Nutzer die Information von einem ausländischen Server ab (Pull-Technologie), liegt keine Handlung desjenigen vor, der die Information vom Ausland aus in das Internet eingestellt bzw. auf dem ausländischen Server gespeichert hat, die zu einem Tathandlungserfolg im Inland führt.217
Letztlich führt aber die Annahme eines Erfolgs unter Rückgriff auf eine Erfolgskomponente, die bereits in der Handlung selbst angelegt bzw. eine Voraussetzung der Handlung selbst ist, dazu, dass der Taterfolg auf die Tathandlung erweitert wird. Das Resultat hiervon ist eine Vermischung von Tathandlung und Taterfolg.218 Der Taterfolg ist danach zwingender Ausfluss der Tathandlung und geht nicht über diese hinaus. Das Abstellen auf einen Tathandlungserfolg ist daher abzulehnen.219
Darüber hinaus liegt ein Tathandlungserfolg des öffentlichen Zugänglichmachens nur dann im Inland vor, wenn die rechtswidrige Information gezielt auf einen Server im Inland übermittelt und auf diesem gespeichert wird.220 Für den ausländischen Diensteanbieter eines sozialen Netzwerks bedeutet dies, dass dessen im Ausland handelnder Nutzer in der Regel keinen Tathandlungserfolg im Inland begründet, da sich die Server des sozialen Netzwerks regelmäßig nicht im Inland befinden.221
(d) Rechtsprechung des BGH
Auch nach Auffassung des BGH besitzen abstrakte Gefährdungsdelikte keinen zum Tatbestand gehörenden Erfolg i.S.d. § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB.222
Dies widerspricht auch nicht dem Sinn und Zweck abstrakter Gefährdungsdelikte.223 Mit diesen Delikten wird die Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens vorverlagert, da bereits das Verhalten selbst besonders gefährlich ist.224 Der Schutz bestimmter Rechtsgüter soll erhöht werden.225 Die deshalb vom Gesetzgeber vorgenommene Ausweitung der Strafbarkeit nach vorne, kann nach Auffassung des BGH aber dazu führen, dass aus völkerrechtlicher Sicht eine Beschränkung bei „Sachverhalte[n] mit internationalem Bezug“ sogar geboten ist.226 Denn anderenfalls könnte zwischen der Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts und dem Schutzbereich der Norm nicht mehr unterschieden werden.227
Die damit bestehende Gesetzeslücke, die eine gezielte Grenzüberquerung zur Begehung abstrakter Gefährdungsdelikte über das Internet ermöglicht, müsste der Gesetzgeber selbst schließen, „falls er dies für erforderlich erachtet“.228 Insoweit ist der Gesetzgeber mit dem 60. Gesetz zur Änderung des StGB vom 30.11.2020229 und Blick auf die Strafbarkeit nach den §§ 86, 86a, 111 und 130 StGB bei Handlungen im Ausland tätig geworden, indem er § 5 StGB angepasst hat.
(e) Zwischenergebnis
Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass abstrakte Gefährdungsdelikte keinen zum Tatbestand gehörenden Erfolg i.S.d. § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB besitzen. Handelt der Haupttäter im Ausland, kann eine Anwendung des deutschen Strafrechts bei Vorliegen eines abstrakten Gefährdungsdelikts deshalb nicht über den Erfolgsort begründet werden.
(3) Abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikte
Ob dies auch für abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikte (sog. Eignungsdelikte) gilt, ist im Folgenden zu Untersuchen. Diese setzen – ebenso wie abstrakte Gefährdungsdelikte – in ihrem Tatbestand nicht den Eintritt einer konkreten Gefahr voraus. Aus dem Tatbestand ergibt sich aber, dass die Handlung bei Betrachtung der konkreten Tatumstände gefahrengeeignet sein