Lintu. Christine Kraus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christine Kraus
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Жанр произведения:
Год издания: 0
isbn: 9783957448323
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Sein Gesicht konnte ich aus meiner Position nicht genau sehen, nur, dass er kahl rasiert war und nicht viel älter sein konnte als ich. Wie aus einem Fernsehkrimi die beiden, das reinste Klischee.

      Der Kahlkopf schrie irgendetwas und versuchte, dem Fahrer ins Lenkrad zu greifen. Der bellte zurück, und der Kahlkopf zog die Hände wieder ein. Dann ließ der Quadratschädel das Fenster herunter und angelte nach mir, während er weiterfuhr, als könne er durch mich hindurchsehen. Ich rutschte ein Stück Richtung Beifahrer, doch der hatte inzwischen auch den Arm draußen. Es wurde verdammt eng auf der Windschutzscheibe. Fieberhaft überlegte ich, was ich tun könnte. Währenddessen gelang es dem Fahrer, an mir vorbei auf die Straße zu schauen. Er grinste triumphierend. Das machte mich noch wütender, als ich sowieso schon war, und ich bewegte mich schnell wieder ein Stück auf ihn zu. Leider hatte ich seine Reichweite unterschätzt. Seine Finger krallten sich wie eine Beißzange in meine Schulter. Ich hatte das Gefühl, die Löcher, die er mir ins Fleisch grub, würden für immer bleiben. Plötzlich riss er an mir, als wollte er mich in den Wagen zerren. Das hätte er besser nicht getan.

      Für einen kurzen Moment trübte ein roter Schleier meinen Blick, dann wurde es eiskalt in mir. Ich löste mich von der Scheibe und ließ mich vom Fahrtwind zurückwerfen. Selbst wenn er gewollt hätte, hätte der Quadratschädel mich nicht mehr loslassen können. Im nächsten Augenblick war ein scheußliches Geräusch zu hören. Sein Arm war entweder gebrochen oder ausgekugelt. Jedenfalls hing er schlaff aus dem Fenster und ich war frei. Sicherheitshalber ließ ich mich erst einmal hinter den Wagen fallen und beobachtete die beiden. Der Kahlkopf lenkte jetzt, während der Quadratschädel fluchend versuchte, den verletzten Arm ins Wageninnere zu ziehen. Dabei stand er weiter auf dem Gaspedal und dachte offensichtlich nicht daran, langsamer zu werden. Oh Mann, ich hatte keine Ahnung, wie ich sie stoppen konnte. Doch ich war nicht gewillt aufzugeben. Dafür war meine Wut zu groß.

      Julien fiel immer weiter zurück, obwohl er bestimmt aus dem Wagen herausholte, was ging. Ich warf mich noch einmal auf die Windschutzscheibe. Das musste einfach funktionieren! Die konnten nicht auf Dauer blind fahren. Jetzt wurde der Quadratschädel doch langsam nervös. Der Schmerz schien ihn zu beeinträchtigten. Trotzdem übernahm er mit der rechten Hand wieder das Steuer. Der Kahlkopf hatte auf einmal einen Schlagstock in der Hand, lehnte sich aus dem Fenster und schlug nach mir. Diesmal war ich in einer besseren Position – und vorsichtiger obendrein. Ich hockte mich komplett vor den Fahrer und wich den Schlägen des Beifahrers aus. Er traf nur die Windschutzscheibe. Dann versuchte er, sich aus dem Fenster zu lehnen – und wäre fast rausgefallen. Nachdem er so nichts ausrichten konnte, schleuderte er den Stock nach mir. So ein Idiot! Was er sich davon wohl versprochen hatte? Ganz gewiss hatte er nicht damit gerechnet, dass ich den Stock fangen würde. Ich übrigens auch nicht. Tat ich aber. Der Fahrtwind bremste seine Wucht und irgendeine Geistesgegenwart ließ mich nach ihm schnappen.

      Na gut, dann war er jetzt dran. Er hatte es so gewollt. Ich legte mich wieder der Länge nach auf die Scheibe, ließ die Füße auf der Fahrerseite überhängen. Der Quadratschädel konnte nichts mehr sehen, selbst wenn er den Kopf aus dem Fenster hinge. Und der Kahlkopf hatte keine Chance, denn ich hielt den Schlagstock wie ein Skorpion seinen aufgerichteten Stachel, bereit zuzuschlagen, wenn er auch nur ein Körperteil aus dem Fenster streckte. Jetzt brauchte ich nur noch zu warten. Irgendwann musste eine Kurve kommen, die sie aus der Spur brachte. Ich hatte kein Mitleid mit diesen … mir fiel nicht ein einziges Schimpfwort ein, das schlimm genug gewesen wäre. Dabei ratterten in meinem Gehirn ununterbrochen Verwünschungen der ärgsten Sorte. Der Quadratschädel schaltete in seiner Verzweiflung die Scheibenwischer ein. Darüber hätte ich fast gelacht. Er fuhr jetzt langsamer, Julien konnte endlich aufholen. Eine Kurve tauchte nicht auf, doch Julien kam so weit heran, dass er in die Reifen schießen konnte. Der Wagen schlingerte.

      Das Schlingern beunruhigte mich nicht. Wenn es darauf ankam, konnte ich jederzeit nach oben weg. Die Schüsse jedoch waren besorgniserregend – selbst wenn ich Julien unterstellte, dass er wusste, wohin er zielte. Das hier war kein Fernsehkrimi. Das war ernst. Besser, ich verzog mich hinter beide Wagen, aus der Schusslinie heraus. Ich hoffte inständig, dass wir mit den Typen fertig werden würden, wenn die Autos endlich zum Stehen kämen. Hielt den Schlagstock fest in den Händen, um einspringen zu können, falls Julien die Munition ausging.

      Der Wagen der Verbrecher beschleunigte wieder, geriet dann aber endgültig ins Schleudern und schoss über den Seitenstreifen in den Wald hinein. Nach ein paar Metern Hoppelpiste, die ihn entscheidend abbremsten, blieb er zwischen zwei jungen Bäumen hängen. Leider überlebten die Bäumchen den Aufprall nicht. Sie knickten ab, das Auto fuhr noch über die schrägstehenden Stämme und krachte einige Meter weiter gegen einen Baum. Beide Männer durchbrachen die Windschutzscheibe und blieben bewusstlos auf der Kühlerhaube liegen. Ich hockte mich in sicherer Entfernung auf einen Baum und wartete auf Julien, ohne die beiden aus den Augen zu lassen. Mein Herz raste und vor Aufregung bekam ich kaum Luft. Julien brauchte eine ordentliche Strecke, bis sein Wagen so langsam war, dass er ihn wenden konnte. Doch dann legte er mit quietschenden Reifen und gezückter Pistole ganz filmheldisch seinen Auftritt hin.

      Endlich, endlich legte er den Typen Handschellen an – hatte man als Kriminalkommissar eigentlich immer die passende Anzahl Handschellen dabei? Ja, das war jetzt mal eine ganz wichtige Frage. Sarkasmus gehörte normalerweise nicht zu meinem Repertoire, schon gar nicht Julien gegenüber. Wahrscheinlich war das die Anspannung. Ich war ganz schön durch den Wind. Von einer Sekunde auf die andere brach mein heiliger Zorn zusammen und Verzweiflung wollte mich überkommen.

      Julien telefonierte – wahrscheinlich mit seinen Kollegen – und sah sich nach mir um. Leise sprang ich vom Baum. Eigentlich war es mehr ein Schweben, doch ich ließ es aussehen wie einen Sprung, denn ich war plötzlich befangen, Julien alles zu zeigen, was ich konnte. Er hatte schon viel zu viel gesehen. Während ich auf ihn zulief, setzte er zum Reden an. Seine Miene verhieß nichts Gutes, deshalb ließ ich ihn gar nicht erst zu Wort kommen. Bevor ich mir anhören wollte, was er zu sagen hatte, musste ich wissen, wie es Frau Schmidt ging. Der Schock, den mir der Anblick ihrer reglosen Gestalt versetzt hatte, saß mir tief in den Knochen.

      „Was ist mit Frau Schmidt? Weißt du, in welchem Krankenhaus sie liegt? Hat dir jemand Bescheid gesagt? Wie geht es ihr?“ Die ersten beiden Fragen hatte ich ihm noch im Laufen zugerufen, jetzt war ich bei ihm angelangt und pflanzte mich vor ihm auf.

      Julien hörte einen Augenblick auf, mich anzufunkeln, sein Blick wurde weich. „Es geht ihr einigermaßen. Sie hat Prellungen und blaue Flecke, keine größeren Verletzungen, aber einen Kreislaufkollaps. Sie haben sie stabilisiert. Wir können nachher noch bei ihr vorbeifahren.“

      Ich war so erleichtert, dass ich ihn am liebsten umarmt hätte. Doch sein funkelnder Blick war zurückgekehrt und ich wurde vorsichtig. Wartete ab. Er atmete mächtig Luft in seine Brust – er machte Bodybuilding und konnte sich ganz schön aufblasen, wenn er wollte – und sprach dann in verdächtig ruhigem Tonfall: „So, junge Dame, und jetzt zu dir.“

      „Junge Dame“ sagte er üblicherweise zu seiner kleinen Tochter, wenn sie etwas angestellt hatte. Ich hätte beleidigt sein können, schließlich war ich zweiundzwanzig und hatte ihm gerade geholfen, ein paar ganz fiese Mistkerle zur Strecke zu bringen.

      „Kannst du mir bitte erklären, was du da eben gemacht hast?“ Seine Betonung des Wörtchens „bitte“ ließ keinen Zweifel an der Unausweichlichkeit einer ausführlichen Antwort.

      Ich setzte trotzdem meinen unschuldigsten Blick auf und versuchte es mit: „Vom Baum gesprungen? Verbrecher gefangen?“

      „Du weißt genau, was ich meine, Elli – was war das? Wie hast du das gemacht? Bist du Superwoman oder was? Von deinen Kunststücken abgesehen“, er kam langsam in Fahrt, „hätten die auf dich schießen können. Und du hast dem einen fast den Arm abgerissen! Schon mal darüber nachgedacht, dass wir es hier mit Menschen zu tun haben und nicht mit Figuren aus irgendeinem Computerspiel? Das ist vorsätzliche Körperverletzung!“

      Vorsätzliche Körperverletzung? Computerspiel? Was redete er da? Ich hatte zwei Verbrecher bekämpft, die meine geliebte Frau Schmidt überfallen hatten! Und mit uns, also mit Julien und mir, hätten die auch keine Gnade gehabt. Wieso sollte ich da … Und überhaupt spielte ich diese blöden Computerspiele gar