Kollusives Verhalten und Kartellbildung in zwei- oder mehrseitigen Märkten können jedoch als weniger wahrscheinlich eingeschätzt werden, als dies bei herkömmlichen Märkten der Fall ist, da hier eine Koordination hinsichtlich zwei oder sogar mehrerer Marktseiten erzielt werden muss. Wenn eine Koordination nur auf einer Marktseite stattfindet, dann gibt es eine Tendenz, die Gewinne auf dieser Seite durch einen intensiveren Wettbewerb auf der anderen Marktseite „wegzukonkurrieren“. Daher wären zusätzliche Vereinbarungen und Verhaltenskontrollen zwischen den Unternehmen notwendig, um ein gewinnbringendes koordiniertes Verhalten zu ermöglichen.
Insgesamt zeigt sich, dass in der digitalen Ökonomie vor allem aufgrund der indirekten Netzwerkeffekte, der datenbasierten Geschäftsmodelle und des Preissetzungsverhaltens eine Reihe von Problemen bei der Wettbewerbsanalyse wie z.B. der Abgrenzung des relevanten Marktes, der Bestimmung der Marktanteile, der Auswirkungen eines Zusammenschlusses auf den Wettbewerb und die Wohlfahrt auftreten können. Im Folgenden werden diese Probleme in den jeweiligen Abschnitten des Buches näher untersucht.
107 Für einen Überblick über die Entwicklung der digitalen Ökonomie insbesondere im Kontext des Wettbewerbsrechts vgl. Monopolkommission (2015) und Bundeskartellamt (2015). 108 Zum Konzept des natürlichen Monopols siehe Sharkey (1983). 109 Bei Mehrproduktmonopolen ist die Definition etwas komplexer. Hier muss eine entsprechende Bedingung auch für alle denkbaren Kombinationen von Gütern erfüllt sein. 110 Es gibt einen konzeptionellen Unterschied zwischen natürlichen Monopolen und wesentlichen Einrichtungen: Natürliche Monopole sind definiert bezüglich der Kostenstruktur, d.h. die Kostenfunktion muss die Eigenschaft der Subadditivität aufweisen. Wesentliche Einrichtungen hingegen sind charakterisiert entweder durch die faktische oder die ökonomische Unmöglichkeit der technischen Reproduzierbarkeit. Zum Konzept der wesentlichen Einrichtung siehe Lipsky/Sidak (1999) oder Werden (1987). 111 Zu Monopolisierungstendenzen auf digitalen Märkten vgl. Haucap/Heimeshoff (2014). 112 Die im Folgenden beschriebenen Netzwerkeffekte können im Einzelfall auch im Zusammenwirken mit anderen Faktoren, etwa mit Kostenstrukturen der oben beschriebenen Arten (etwa subadditiven Kostenfunktionen), eine hohe Marktkonzentration begünstigen und das Entstehen von Marktergebnissen wie im Monopol erklären. Vgl. Monopolkommission (2015), Tz. 41. 113 Zu den ökonomischen Grundlagen der Sharing-Economy siehe Peitz/Schwalbe (2016). 114 Eine große Zahl von Suchanfragen ermöglicht es der Plattform auch, ihre zur Suche verwendeten Algorithmen zu verbessern, sodass die Nutzer präzisere Antworten auf ihre Anfragen erhalten. 115 Zur Ökonomik von Suchmaschinen vgl. Argenton/Prüfer (2012) sowie Haucap/Kehder (2013). 116 Zur Einführung in die Theorie der zweiseitigen Märkte siehe Rochet/Tirole (2003), (2006). 117 Zur Preissetzung in zweiseitigen Märkten vgl. Armstrong (2008), Rochet/Tirole (2003), (2006). 118 Zur Preisgestaltung bei Werbeanzeigen vgl. Ratliff/Rubinfeld (2010). 119 In diesem Sinne noch OLG Düsseldorf 9.1.2015 – VI-Kart 1/15 (V) Rdnr. 43. Vgl. aber jetzt § 18 Abs. 2a GWB: „Der Annahme eines Marktes steht nicht entgegen, dass eine Leistung unentgeltlich erbracht wird.“ Die Europäische Kommission ist schon seit längerem (auch) bei Preisen von null vom Bestehen eines Marktes ausgegangen, vgl. bspw. Komm. v. 7.10.2011 (COMP/M.6281) – Microsoft/Skype, Rdnr. 78ff. Zur Bestimmung der Marktanteile bei unentgeltlichen Leistungen unten S. 223f. 120 Zum Problem von Märkten mit Null-Preisen vgl. Newman (2014) oder Franz/Podszun (2015). 121 Vgl. Wright (2004). 122 Vgl. ibidem. 123 Zur Frage des Multi-Homing und des Wettbewerbs zwischen Plattformen vgl. Evans (2003) sowie Evans/Schmalensee (2007). 124 Siehe Evans/Noel (2008).
A. Marktmacht und Preiselastizitäten
I. Einleitung
Auf den Seiten 14–22 wurde deutlich gemacht, dass auf Märkten immer dann mit Ineffizienzen zu rechnen ist, wenn der Preis eines Gutes von den langfristigen Grenzkosten abweicht. Dies gilt vor allem hinsichtlich der Allokations-, aber auch bezüglich der Produktionseffizienz, wo, z.B. bei einem Monopol, X-Ineffizienzen auftreten können. Unternehmen, die in der Lage sind, den Preis über das Niveau zu erhöhen, das bei funktionierendem Wettbewerb herrschen würde, verfügen somit über einen mehr oder weniger großen Preissetzungsspielraum. Dieser Preissetzungsspielraum wird in der Wirtschaftstheorie als Marktmacht bezeichnet. Marktmacht ist also ökonomisch definiert als die Fähigkeit eines oder mehrerer Unternehmen, einen Preis für ein Gut durchzusetzen, der über den langfristigen Grenzkosten liegt.1 Diese Definition erfasst im Prinzip auch den Fall, dass ein Unternehmen bei gleichbleibendem Preis die Qualität (und damit die Herstellungskosten) senkt; auch hier würde der Preis für das Gut die Grenzkosten übersteigen.2 Negative Auswirkungen von Marktmacht sind in erster Linie darin zu sehen, dass aufgrund eines höheren Preises eine geringere Menge des entsprechenden Gutes angeboten wird, sodass eine ineffiziente Allokation resultiert.
1. Der Lerner-Index als Maß für Marktmacht
Folgt man dieser Definition, dann kann Marktmacht durch ein einfaches Maß erfasst werden, den so genannten Lerner-Index.3 Der Lerner-Index misst die Marktmacht eines Unternehmens anhand der prozentualen Abweichung des Preises eines Gutes i von den langfristigen Grenzkosten seiner Herstellung.4 Bezeichnet man den Preis eines Gutes i mit pi und die Grenzkosten mit ci dann ist der Lerner-Index definiert durch:
Offensichtlich ist die Marktmacht eines Unternehmens gleich Null, wenn der Preis des Gutes den Grenzkosten seiner Herstellung entspricht. Je stärker die Abweichung des Preises von den Grenzkosten, desto größer ist die Marktmacht des Unternehmens und desto größer ist die resultierende allokative Ineffizienz. Allerdings ist deutlich darauf hinzuweisen, dass es sich beim Lerner-Index um ein theoretisches Konzept handelt, das nicht ohne weiteres zur Erfassung von Marktmacht in der Praxis herangezogen werden kann. So setzt der Lerner-Index als Maß für Marktmacht voraus, dass eine langfristige Betrachtung zu Grunde liegt, d.h. dass alle Kosten variabel sind und somit keinerlei Fixkosten auftreten. In kurzfristiger Betrachtung können auch bei funktionierendem Wettbewerb die Preise über den Grenzkosten liegen, wenn die Fixkosten durch Preise in Höhe der Stück- bzw. Durchschnittskosten gedeckt werden müssen. Auf einige weitere Aspekte, die eine unmittelbare Anwendung des Lerner-Index als Maß für Marktmacht erschweren, wird auf den Seiten 82–84 hingewiesen.
Bei vollkommenem