Das Biest in Dir. Felix Hänisch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Felix Hänisch
Издательство: Автор
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Жанр произведения:
Год издания: 0
isbn: 9783967525793
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      ... Bevor ich dich umgebracht habe, schloss dieser in Gedanken.

      »Du hattest damals die Wahl und hast sie auch heute noch. Du wirst sie immer haben. Anders als ich. Mir hast du diese Freiheit für immer genommen.« Cedryk drehte sich nun zu ihm um und obwohl seine Stimme immer lauter geworden war, ließ sie jeglichen Zorn missen, der doch nur zu gerechtfertigt gewesen wäre. Skal quälte das bloß noch mehr. Auch die Körperhaltung seines einstigen Schülers wies keinerlei Aggression auf, so wie es früher stets der Fall gewesen war, wenn er etwas begehrte oder andere von seiner Meinung überzeugen wollte. Er stand einfach nur anklagend vor ihm und strahlte eine hohngleiche Bitterkeit aus. Dabei war es doch an Skal, verbittert zu sein. Hatte nicht er jedes Recht, das Schicksal zu verfluchen, welches ihn erst dazu gebracht hatte, Cedryk zu töten und nun auch noch Darius und Therry ins Unglück zu stürzen?

      »Nein«, hauchte er bloß, schüttelte den Kopf und trat einen Schritt auf den Jüngling zu, bis sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten. Wut stieg in dem alten Krieger auf. Wut über das Unverständnis von Cedryk und über die Geringschätzigkeit dem gegenüber, was er durchmachen musste. Was wusste dieser Junge denn schon?

      »Du verstehst das nicht. Ich habe keine Wahl und ich werde sie auch nie wieder haben, Cedryk. Loës wird dereinst ganz Epsor beherrschen und entweder man ist für ihn oder gegen ihn. Ich bin lediglich schlau genug, mich auf die Seite des Siegers zu stellen. Das hättest du auch tun sollen, als du noch die Gelegenheit dazu gehabt hast.«

      Doch diesmal war es an Cedryk, den Kopf zu schütteln. »Das ist nur eine Ausrede und das weißt du. Doch selbst wenn dem nicht so wäre, du hattest früher eine Wahl. Du hattest die Möglichkeit, dich und alles, was du zu schützen geschworen hast, an die Alben zu verkaufen. Du hattest die Möglichkeit, den Edelstein zu stehlen, der es Loës erlaubt hat, seinem Gefängnis zu entfliehen. Du hattest die Möglichkeit, ihn zu töten, anstatt Irys, als du gemeinsam mit ihr im Albewald-Tempel gewesen bist.« Cedryk atmete schwer. »Und du hattest die Wahl, mich zu töten«, schloss er schließlich traurig, woraufhin Skal einige Schritte zurückwich und die Augen schloss, so als könne er das eben Gehörte dadurch ungeschehen machen.

      Aber das Gegenteil war der Fall. Während er sich noch fragte, woher Cedryk dies alles wusste, stiegen ihm die Bilder seiner Opfer innerlich vor Augen. Die Gesichter all jener, die zugunsten seiner Pläne, mehr Macht zu erlangen, weichen mussten. Cedryk, Irys, Pahrafin, Bullrich und nicht zuletzt auch noch Darius und Therry. Mit aller Kraft riss er die Lider wieder auf, um sich von dem Albdruck zu befreien. Aber anstatt dass sein anklagendes Gewissen von ihm abließ, wurde alles nur noch schlimmer.

      Grelles Licht blendete Skal im ersten Moment, da er wieder etwas anderes zu sehen erhoffte, als die anklagenden Blicke und blutverschmierten Leichen der Personen, die er hintergangen hatte. Es brauchte einen kurzen Moment, bis sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten. Als er schließlich wieder etwas erkennen konnte, musste Skal feststellen, dass er sich nicht mehr am Rande der Weinbergebene befand. Das durchdringende Licht stammte von blütenweißem Schnee, der das Sonnenlicht reflektierte.

      Der Ort des Friedens und des Lebens war binnen eines Atemzuges einer Eiswüste weitab jener fruchtbaren Ebene gewichen. Lebensfeindlich und trostlos ragte der Berg Karakjerra vor ihm auf. Wie tausend Augen blickten seine Ehrfurcht gebietenden Felswände und der majestätische Gipfel – auf dem, wie er wusste, Loës einst begraben gelegen hatte – auf ihn herab. Doch trotz der Kälte und des schneidenden Windes, fühlte Skal kein körperliches Unbehagen. Die eisige Temperatur drang nicht zu ihm durch und als er an sich herabblickte, stellte er fest, dass seine nackten Füße keine Spuren im Schnee hinterließen.

      Leicht verwirrt drehte der Iatas sich einmal im Kreis, um seine Umgebung etwas genauer zu betrachten. Da keine einzige Schneeflocke vom bedeckten Himmel fiel, reichte sein Blick bis hinauf zu dem plateauartigen Gipfel. Eine tief hängende Wolke drückte sich gegen die schroffe Felswand und versuchte sie zu überwinden. Skal hatte die Drehung um seine eigene Achse noch nicht ganz beendet, aber ein Teil von ihm erahnte bereits, was er noch zu sehen bekommen würde.

      Gedämpft, jedoch zunehmend lauter werdend, drangen die Geräusche eines sich anbahnenden Kampfes an sein Ohr. Die Szenerie, die sich dem alternden Krieger darbot, war ihm gleichermaßen vertraut wie auch befremdlich. Unzählige Male war sie schon vor seinem geistigen Auge abgelaufen – wenn auch stets aus einem anderen Blickwinkel. Die Worte, welche vom Wind nur bruchstückhaft an ihn herangetragen wurden, brauchte er nicht, um zu wissen, was die beiden Männer sprachen. Schließlich war er selbst einer von ihnen.

      »Fragst du dich, weshalb ich dir die Bilder unseres Kampfes zeige?« Wie aus dem Nichts war Cedryk wieder neben ihm aufgetaucht. Auch er blickte hinab und sah zu, wie sein vergangenes Selbst Skal in diesem Moment grob bei den Schultern packte und ihn gegen die raue Wand des Berges stieß.

      »... Was soll das heißen, der Plan hat sich geändert? ...«, schallte es vom Tal zu ihnen hinauf.

      Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr der neben ihm stehende Cedryk fort: »Ich will es verstehen, Skal. Ich will verstehen, warum du das getan hast. Oft habe ich nach meinem Tod auf mein einstiges Leben zurückgeblickt, bis zu jenem Zeitpunkt, da wir uns gegeneinander gewendet haben.« Bitterkeit und Melancholie spiegelten sich auf den Zügen des jungen Mannes wider und seine Stimme klang ehrlich, so als wolle er eine Rechtfertigung hören.

      Skal beobachtete, wie er selbst, nur einen Steinwurf weit entfernt, in diesem Moment mit der geballten Faust zum Schlag ausholte. Reflexartig drehte der Cedryk im Tal seinen Kopf zur Seite, als ihm der Angriff die Nase zertrümmerte. Allerdings ging er nicht zu Boden, sondern trat, aus der Drehung heraus, nach Skals Brust.

      »... Du Hurensohn, ich bring dich um! ...«

      »Du willst es also verstehen, Cedryk?« Skal wandte sich beinahe angewidert von ihren beiden vergangenen Ichs ab. »Gut, ich erkläre es dir«, meinte er schwermütig und mit einem letzten Handzeichen in Richtung des Kampfgeschehens, wo Cedryk seinem ehemaligen Selbst soeben den Ellenbogen ins Gesicht schlug, fügte er hinzu: »Ich wünschte nur, du hättest mich damals schon gefragt ... und auch zu Wort kommen lassen. Denn dann hätte vielleicht alles anders kommen können.« Cedryk schwieg resigniert und blickte ihn weiterhin vorwurfsvoll an.

      Als könne er dadurch das Unvermeidliche hinauszögern, atmete Skal langsam und geräuschvoll aus, bevor er zu erklären begann, was ihm seit Monden auf der Seele lastete und das er bisher noch niemandem hatte mitteilen dürfen.

      »Du erinnerst dich doch noch, wie es in den letzten Jahren war, oder? Eigentlich schon fast dein ganzes Leben lang. Die Grafschaften und Herzogtümer unseres Volkes haben sich seit dem Tod von König Sarilandos vor nunmehr zwanzig Jahren untereinander stets mehr oder weniger stark bekriegt. Ich erinnere mich, dass auch wir in einigen Schlachten unsere Finger mit im Spiel hatten. Weißt du noch?« Skals Miene hellte sich beim Gedanken an ihre früheren Kriegsdienste für einen Moment etwas auf. Cedryks Gesicht blieb jedoch ebenso starr wie das Eis, welches sie zu allen Seiten umgab und ließ nicht erkennen, ob er sich überhaupt noch daran zurückerinnern konnte. Entschlossen, es ihm gleichzutun und ohne jede Emotion in seinem Bericht fortzufahren, sprach Skal nach der Dauer einiger Wimpernschläge weiter.

      »Wie dem auch sei, das Reich der Menschen war im Begriff zu zerfallen. Die Kämpfe machthungriger Aristokraten haben das Land über Jahre hinweg zunehmend ausbluten lassen. Und während wir dazu verdammt waren, unserem Volk beim Sterben zuzusehen, gefielen sich die alten Rassen darin, sich zunehmend von uns abzuwenden, anstatt mit ihrer viel gerühmten Weisheit zu helfen. Andererseits kann man es ihnen auch kaum verdenken. Ich selbst habe lange Zeit versucht, gegen das Vorurteil anzugehen, dass jenen, die sich mit den Menschen abgeben, nichts als Leid und Unheil widerfährt. Aber leider waren die Abneigungen nur allzu oft gerechtfertigt.

      Die Elfen haben schon vor langer Zeit erkannt, dass unsere Rasse noch zu jung und zu unerfahren ist, um mit ihnen auf einer Stufe zu stehen. Nicht umsonst halten sie ihre Heimat vor den meisten von uns geheim. Weil sie wissen, dass die Menschen, da wo sie hinkommen, nur Tod und Zerstörung mit sich bringen. Auch die Zwerge sind inzwischen zunehmend zu dieser Erkenntnis gelangt und verbringen ihre Zeit lieber mit dem Ausgraben unterirdischer Schätze, als mit der Pflege von Handelsbeziehungen und