»Hast du gut geschlafen?«
»Hmm.«
Rasch trank ich einen Schluck Kaffee, um meine geröteten Wangen zu verdecken. Verdammte Assassinen-Nasen. Die Männer waren regelrechte Spürhunde. Aber Duncan schien äußerst zufrieden mit seiner Entdeckung, da er sich grinsend auf meinem Sofa niederließ. Ich konnte es ihm nicht verübeln.
Ich war ebenfalls erleichtert darüber, dass Lucan und ich uns vertragen hatten. Zumindest ging ich davon aus, nachdem ich die ganze Nacht in seinen Armen verbracht hatte. Jetzt würde ich nicht mehr nach Drake riechen, sondern nur nach Lucan Vale. Duncans Grinsen wurde breiter und ich streckte ihm die Zunge raus.
»Habe ich was verpasst?« Alina sah zwischen uns hin und her.
»Alles bestens«, beruhigte ich sie und ließ mich, noch immer in meinem kurzen Pyjama, neben Duncan auf das Sofa fallen.
»Wie lange glaubst du, wird es dauern, bis Drake es schafft, Crinaee so richtig wütend zu machen?«
»Nicht lange«, murmelte ich und erinnerte mich an den entschlossenen Ausdruck auf dem Gesicht des Formwandlers.
»Drake, er«, ich brach ab und sah meine Freunde an, »ich vertraue ihm. Er möchte sich mit Scio treffen, um die Sklavenverträge mit Permata aufzulösen.«
»Lilly, das ist wunderbar!«
»So wunderbar das auch ist, er wird ihn nicht alleine treffen.«
»Wie meinst du das?«, fragte Alina Duncan.
»Es ist ja schön und gut, dass ihr Drake vertraut. Ich tue es nicht. Und die Gelehrten tun gut daran, es auch nicht zu tun. Zumindest vorerst«, fügte er hinzu, als ich protestieren wollte.
»Es gibt zu viel Geschichte zwischen ihnen und Vesteria. Zwischen ihnen und der gesamten Anderswelt, Lilly. Es mag Alliandoan gewesen sein, das die Gelehrten verbannt hat, aber es waren alle Welten, die mitgespielt haben. Drake Careus ist ein charmanter, machthungriger Bastard. Ein Treffen mit den Gelehrten könnte genau das sein, worauf er seit Jahrzehnten hingearbeitete hat.«
Duncans Zynismus wunderte mich ein wenig, aber ich musste mir eingestehen, dass an seinen Worten etwas dran war. Ich hatte in den letzten Monaten zu viel gesehen und erlebt, um blind zu vertrauen. Es war die eine Sache, eine simple Tasse Kaffee zu akzeptieren, eine ganz andere war es, die Gelehrten womöglich ins offene Messer laufen zu lassen. Ich durfte mich weder einlullen lassen noch naiv handeln, ermahnte ich mich selbst.
»Malik und ein paar der Wachen werden ihn begleiten«, beruhigte ich Duncan.
»Außerdem wird er diese Chance erst bekommen, nachdem ich in Crinaee war.«
»Verrätst du uns auch endlich, was du da willst?« Neugierig sahen die beiden mich an.
»Narcos kennenlernen.«
»Das ist nicht alles.«
»Nein«, ich trank einen Schluck Kaffee, »aber es muss für den Moment genügen.«
Ich konnte ihnen ansehen, dass sie mit meiner Antwort nicht zufrieden waren, dennoch schwiegen sie. Magister Scio hatte mir ausdrücklich geraten, so wenig Leute wie möglich einzuweihen. Zu ihrer eigenen Sicherheit. In dem Moment, in dem wir Crinaee erreichten und ich bekam, was ich wollte, würde es sowieso jeder wissen. Und bis dahin war ich dankbar, dass ich in Alina und Duncan so treue Freunde gefunden hatte, die, obwohl sichtlich unzufrieden, meine Entscheidung hinnahmen, ohne beleidigt zu sein.
»Was steht heute an?« Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es bereits nach neun war. Kein Training also. Ansonsten hätte Lucan mich Punkt acht aus dem Bett gezerrt.
»Training fällt heute aus«, informierte mich Duncan grinsend, »und jetzt weiß ich auch warum.«
Alina warf Duncan einen fragenden Blick zu. Dann jedoch sah sie zurück zum Bett und ihre Augen wurden groß.
»Oh. Oh.«
»Nichts oh«, erwiderte ich lachend. »Lucan hat hier geschlafen, ja, das war aber auch alles, was wir getan haben. Schlafen.«
»Dann hat er die Drake-Geschichte überwunden?«
»Ja, das hoffe ich zumindest«
»Und Nick?«, fragte ich sie. »Hat er sich beruhigt?«
»Ich habe vorhin mit ihm gesprochen und er schien … besänftigt.«
Gut. Ich hatte nämlich keine Lust, mich in meinem eigenen Haus wie auf einem Mienenfeld zu bewegen. Mein Blick wanderte zu Duncan. Der Assassine hob abwehrend beide Hände.
»Wenn mich einer von euch fragt, wie es Malik geht, gehe ich.« Seufzend ließ ich es sein. Die Beziehung zwischen den beiden Männern war angespannt und sie gingen sich seit Tagen aus dem Weg. Alina und ich schwiegen. Jeder von uns durfte seine Geheimnisse haben. Wenn Duncan reden wollte, dann wusste er, wo er mich fand.
»Und was machen wir dann?«
»Musst du nicht lernen?«
»Heute nicht«, antwortete sie lächelnd. »Runak ist unterwegs und ich brauche definitiv einen Tag Abstand von meinen Büchern. Ansonsten drehe ich durch.«
Wir hatten also wirklich und wahrhaftig nichts zu tun. Ich konnte Alinas Irritation gut nachvollziehen. Die letzten eher ruhigen Tage hatte ich ebenfalls mit Bücher wälzen und Pläne schmieden verbracht und auch ich konnte davon eine Pause vertragen. Hatte ich nicht schon längst darüber nachgedacht, meiner Garderobe mal ein wenig mehr Pepp zu verleihen?
»Was haltet ihr davon, wenn wir shoppen gehen?«
»Wirklich?«
Ich nickte, selbst begeistert von meiner Idee. Ich wollte etwas unternehmen, das nichts mit Politik oder der Anderswelt zu tun hatte.
»Wenn du zahlst!«
»Duncan!« Alina schlug ihm sanft auf den Arm.
»Was denn? Sie ist die zukünftige Königin und die Callahans haben mehr Geld, als sie jemals ausgeben können.«
Ich beobachtete die beiden lachend. »Wo er Recht hat.«
»Ich habe letztens diese todschicke Lederjacke gesehen …«
Während Duncan uns davon erzählte, was genau ich alles für ihn kaufen sollte, trank ich meinen Kaffee aus und genoss das Gefühl, endlich einmal frei zu haben. Wir würden shoppen gehen! Etwas Normaleres konnte ich mir aktuell nicht vorstellen.
Was ich jedoch unterschätzt hatte, war die Tatsache, wie es war, mit Geld shoppen zu gehen. Viel Geld. Unendlich viel Geld. Ein Blick auf unsere kleine Gruppe, den großen Wagen mit den abgedunkelten Scheiben, in denen zwei meiner Wachen warteten, und wir wurden behandelt wie Könige. Oder Rockstars.
Grinsend hob ich ein weiteres Glas Champagner an meine rot geschminkten Lippen und sah Duncan dabei zu, wie er diverse Hemden anprobierte. Wir hatten uns aus Sicherheitsgründen darauf geeinigt, den Tag in der Welt der Sterblichen zu verbringen. Da wir aktuell ohnehin in unserem Haus hier und nicht in Alliandoan wohnten, war die Kleidung, die wir trugen, weitestgehend normal.
Kleider wie die, die ich in Vesteria gesehen hatte, würden wir hier mit Sicherheit nicht finden.
»Wie findet ihr das?« Zum wahrscheinlich hundertsten Mal heute drehte Duncan sich vor uns im Kreis.
»Ein wenig … schrill?«
Alina musterte das korallenfarbene Hemd mit den dünnen, roten Streifen skeptisch. Ich jedoch war absolut begeistert von Duncans Wahl. Ebenso davon, wie frei der Assassine sich hier bewegte. Mit jedem weiteren Kleidungsstück war Duncan regelrecht aufgeblüht und ich fragte mich, ob er etwas so Banales wie shoppen gehen überhaupt schon einmal getan hatte. Sein Leben bestand aus Kämpfen, Regeln und Traditionen. Ich freute mich darüber, dass er zusammen mit uns eine Seite an sich ausleben konnte, die seine Waffenbrüder