»Aber es stimmt.«
Zum Beweis trank ich einen großen Schluck des wirklich köstlichen, schwarzen Kaffees. Als ich die Tasse absetzte, fixierte ich Drake mit ernstem Blick. Da ich noch atmete, schien der Prinz mich nicht tot sehen zu wollen. Eine ehrliche Erleichterung.
»Ich brauche deine Hilfe.«
»Wie kann ich dir helfen?«
Ich holte tief Luft und erklärte Drake meinen Plan. Meinen ganzen Plan, nicht die Fetzen, die ich ihm bei unserer ersten Begegnung entgegengeworfen hatte. Als ich geendet hatte, sah er mich aufrichtig verstört an.
»Das ist Irrsinn.«
»Nein, es ist Fortschritt«, verbesserte ich ihn sanft. Diese Worte hatte ich schon einmal gesprochen und ich wiederholte sie jederzeit gerne. Egal wie oft, denn mit einem gewissen Widerstand hatte ich durchaus gerechnet.
»Narcos gehört nicht auf diesen Thron, Drake. Das weißt du ebenso gut wie ich.«
»Und du weißt, wie gefährlich dein Vorhaben ist«, erwiderte er, sichtlich unter Schock. »Weiß Lucan davon?«
Ich presste meine Lippen aufeinander. Wieso zur Hölle wollte jeder wissen, was Lucan davon hielt? Ich war eine eigenständige Frau, verflucht nochmal.
»Das werte ich als Nein.« Drake atmete hörbar aus. »Du hast dir das gut überlegt?«
»Ja. Scio, Olli und ich haben es durchgesprochen und wir sind uns einig. Es ist der einzige Weg.«
»Magister Scio?«
Ich unterdrückte eine patzige Antwort und nickte. Kannte er etwa noch einen Scio?
»Du hast also bereits mit den Gelehrten darüber gesprochen.«
»Was meinst du, von wem ich den Tipp habe, hm? Ich mag in den letzten Wochen viel gelernt haben, aber nicht so viel. Die Gelehrten stehen ab sofort nicht nur unter meinem Schutz und dem Alliandoans, sondern sie unterstützen mein Vorhaben zu einhundert Prozent. Scio ist einer meiner wichtigsten und engagiertesten Berater.«
»Das ist … groß.«
»Groß?« Lachend sah ich Drake an.
»In Ermangelung eines besseren Wortes, ja. Die Gelehrten zurück in die Gesellschaft zu führen, sie nach Alliandoan zu holen und auf ihr Wissen zuzugreifen ist groß, Lilly. Und irrsinnig.«
»Und mutig«, gab ich zu bedenken.
»Mut und Dummheit liegen manchmal sehr nah beieinander. Beides erfordert Courage, das Endergebnis ist nur ein anderes.«
»Dennoch versucht man es. Ich glaube an mein Vorhaben, Drake, ebenso wie ich an die Anderswelt glaube. Und an dich.« Ich griff erneut nach meiner Tasse. »Also, wie entscheidest du dich Drake Careus, Herrscher von Vesteria. Hilfst du mir?«
Er seufzte dramatisch und sah mich an. Dann jedoch breitete sich ein überschwängliches Grinsen auf dem Gesicht des Formwandlers aus.
»Ich helfe dir, Prinzessin Lillianna Callahan, Thronerbin der Anderswelt und Herrscherin von Alliandoan. Meine Königin …«
Erleichterung durchfuhr mich bei seinen Worten.
»… unter einer Bedingung.«
»Die da wäre?«
»Ein Kuss.«
Ich erwiderte Drakes nun feurigen Blick fassungslos.
»Das kann nicht dein Ernst sein.«
»Und ob es das ist. Meine einzige, und wie ich befürchte, letzte Chance dich zu küssen, Hoheit, und deine Meinung zu ändern.«
»Drake, ich …«
»Mehr verlange ich nicht. Für einen Verrat an Narcos und deine Chance, nach Crinaee zu reisen. Ein simpler Kuss.«
Nichts an Drake war simpel. Aber ich sah ihm an, dass er es ernst meinte. Ein Teil von mir wollte es ihm einfach befehlen. Immerhin war ich seine zukünftige Königin und Drake schuldete mir Treue. Diese wollte ich mir jedoch verdienen und sie mir nicht einfach nehmen. Und vielleicht, gestand ich mir ein, ganz vielleicht, war ein kleiner Teil von mir auch neugierig, wie es sich anfühlte, ihn zu küssen. Seit ich in diese Welt gekommen war, hatte es für mich nur Lucan gegeben. Lucan war der erste Mann gewesen, den ich seit Monaten, wenn nicht sogar Jahren geküsst hatte und bis jetzt war er auch der einzige.
»Ein Kuss?«
»Ein Kuss.«
»Also gut.«
Ich nickte bestätigend.
Drakes Augen blitzten auf und mit einer eindeutigen Geste lehnte er sich näher zu mir. Ein nervöses Flattern ging durch meinen Magen und ich erinnerte mich daran, dass ich Lucan damit nicht betrügen würde. Wir waren nicht vereint. Wir waren kein Paar. Dennoch fühlte es sich seltsam falsch an, als Drake sich weiter vorlehnte und mich, eine Hand an meinem Hinterkopf, sanft an sich zog.
Unsere Lippen berührten sich, erst zaghaft und dann forscher. Es war ein angenehmer Kuss. Entschlossen, aber zärtlich und ich spürte, dass Drake es ernst meinte. Er wollte mich küssen und schuldete ich es ihm dann nicht, wenigstens gedanklich voll dabei zu sein?
Wie von selbst schlossen sich meine Augen und ich gab nach. Drake gab ein zustimmendes Stöhnen von sich und zog mich noch dichter. Seine Zungenspitze schnellte vor und berührte spielerisch die meine. Der Formwandler war ein hervorragender Küsser, aber ehrlich gesagt hatte ich nichts anderes erwartet. Mit Sicherheit hatte er eine Menge Übung. Nach einer Weile lösten wir uns voneinander und mit leicht geröteten Wangen begegnete ich dem hungrigen Blick aus Drakes jetzt komplett bernsteinfarbenen Augen. Macht vibrierte zwischen uns und Magie knisterte in der Luft. Drakes Magie, erkannte ich, und wandte leicht verlegen den Blick ab. So angenehm der Kuss auch gewesen war, er hatte nichts in mir ausgelöst. Keine Funken, keine Leidenschaft und erst recht keine Magie. Verglichen mit dem Chaos, das Lucans und mein Kuss in Aflys ausgelöst hatte, war es beinahe enttäuschend. Und offensichtlich empfand nicht nur ich so. Drake ließ meinen Kopf los und lehnte sich mit geschlossenen Augen in seinem Stuhl zurück.
»Verdammt, Lilly.«
»Es tut mir leid«, flüsterte ich und meinte es auch so. Mein Leben wäre um einiges leichter, wenn ich für Drake das empfinden würde, was der Formwandler-Prinz offensichtlich mir gegenüber empfand oder empfinden wollte.
»Dir muss nichts leidtun. Du suchst dir deine Gefühle ja auch nicht aus und das Herz liebt, wen es nun mal liebt, nicht wahr?«
Als ich nichts erwiderte, fluchte Drake leise. »So weit ist es zwischen euch also schon?«
»Drake …«
»Schon gut.«
Abwehrend hob er beide Hände und schenkte mir ein gequältes Lächeln. Gern hätte ich ihm die ganze Wahrheit gesagt, aber niemand außerhalb meiner eigenen vier Wände sollte wissen, dass ich Lucans Gefährtin war. Dieses Wissen war viel zu sensibel, um damit hausieren zu gehen. Auch wenn ich Drake nach heute wirklich zu vertrauen begann.
»Du wirst sie finden, deine Gefährtin, eines Tages, Drake, aber ich bin es leider nicht.«
»Ich weiß.«
Grüne Funken seiner Magie explodierten um uns herum und auf dem Tisch vor uns erschienen zwei Schnapsgläser mit einer mir gut bekannten Flüssigkeit.
»Rhys?«
»Ich brauche gerade etwas Stärkeres als Kaffee.« Er hielt mir eins der Gläser hin.
»Trinkst du mit mir?«
»Worauf?«
»Selbsterkenntnis?«
Ich schnappte mir eins der Gläser und lachte leise auf.
»Lass uns lieber auf Freundschaft trinken, okay?«
Das letzte Mal, als ich auf die Selbsterkenntnis getrunken hatte, war der Moment gewesen, in dem ich mich