»Mach dir um mich keine Sorgen, Prinzessin. Ich komme klar. Bin ich immer, werde ich immer.«
Alleine. Er sagte es nicht, aber ich hörte das Wort deutlich.
»Du bist nicht alleine, Drake. Du hast mich. Wir sind Freunde und ich bin für dich da. Du bist immer willkommen in meinem Haus, in meinem Leben und auch in meinem Palast in Arcadia.«
»Danke.«
Abwesend griff er nach meiner Hand und küsste sie. »Die Anderswelt hat lange auf jemanden wie dich gewartet, Liebes.«
Ich zuckte bei dem Kosenamen unwillkürlich zusammen. So hatte Lucan mich auch genannt, bei unserem Gespräch über Elisa. An jenem Tag, als ich herausfand, wer ich für ihn war. Auch wenn es irrational war, so fühlte sich mein Besuch hier immer mehr wie ein Verrat an dem Assassinen-König an.
»Ich sollte jetzt gehen.«
Drake, Gentleman der er war, begleitete mich in den Innenhof seines Palasts und sah dabei zu, wie ich das Portal mit Hilfe des kleinen Runensteins erneut öffnete.
»Ich überlege mir etwas wegen Crinaee. Du wirst zeitnah von Narcos hören, das verspreche ich dir. Ach, und Lilly?«
»Ja?«
»Vielleicht fragst du Magister Scio bei Gelegenheit, ob er bereit wäre, uns in Vesteria zu helfen, ich … ich würde gerne die Sklavenverträge mit Permata auflösen.«
Oh, Drake.
»Es wäre mir eine Ehre«, antwortete ich ernst. Dann bedankte ich mich bei ihm und verabschiedete mich mit einer letzten Umarmung.
»Lucan ist ein verdammt glücklicher Bastard. Ich hoffe, er weiß es zu schätzen.«
Nicht mal im Ansatz, aber das musste Drake ja nicht wissen.
»Mach‘s gut, Drake.«
»Gib auf dich Acht, Prinzessin.«
Mit gemischten Gefühlen trat ich durch das Portal zurück in meine eigene Welt. Ich hatte erreicht, was ich wollte. Sogar noch mehr, bedachte man, Drakes letzten Kommentar zu Permata.
Wieso, fragte ich mich, fühlte ich mich dann so mies?
Genauso lautlos wie ich verschwunden war, betrat ich unser Haus in der Welt der Sterblichen und machte mich schnellen Schrittes auf den Weg in die Küche. Ich konnte es kaum erwarten, Olli von meinem Gespräch mit Drake zu erzählen. Er würde ganz aus dem Häuschen sein!
Für sage und schreibe zehn Minuten waren wir alleine und ich hatte meine Erzählung soeben beendet, als Nick durch die Tür stürmte und sie geräuschvoll hinter sich zuknallte.
»Mir fehlen die Worte!«, donnerte er und trat drohend auf Olli und mich zu.
»Hast du eine Ahnung, was ich die letzte Stunde durchgemacht habe? Ganz zu schweigen von Malik! Ich weiß, ich habe geschworen, dir mehr Raum zu geben, aber das? Das war nicht Teil der Abmachung! Nach allem, was du bis jetzt gelernt hast, Lilly! Wie kannst du so dumm sein? So fahrlässig mit deiner eigenen Sicherheit? Wie?«
So wütend hatte ich meinen Bruder noch nie erlebt. Nicht mal, als wir blutüberströmt aus Vesteria zurückgekommen waren oder ich meine Magie gegen Minister Laurenti eingesetzt hatte. Aber ich konnte seine Wut durchaus verstehen und ich war darauf vorbereitet. Ich würde nicht zulassen, dass der heutige Tag einen Rückschritt für uns bedeutete.
»Es tut mir leid.«
»Wie kannst du … warte, was?«
»Es tut mir leid«, wiederholte ich leise, »ich weiß, dass du dir Sorgen gemacht hast, Nick, aber ich hatte etwas Wichtiges zu erledigen und das musste ich alleine tun.«
»Alina und Olli wussten davon!«
»Und Duncan«, fügte Olli wenig hilfreich hinzu.
»Warum?«
»Ich wusste, dass du versuchen würdest mich aufzuhalten.«
»Zu Recht!«
»Wahrscheinlich, ja, aber dennoch musste es getan werden.«
»Vertrau deiner Schwester, Nick.«
Nick warf uns einen ungläubigen Blick zu. »Ich schwöre, manchmal macht ihr beiden mir Angst.«
»Es wird nicht wieder vorkommen«, versprach ich ihm, die Finger hinter meinem Rücken überkreuzt. Natürlich konnte ich so etwas nicht wirklich versprechen. Ich würde alles tun, was nötig war, um mein Ziel zu erreichen.
»Woher weißt du es?«, fragte ich ihn interessiert.
»Alina ist eingeknickt«, antwortete er beiläufig. Ah. Alina war also unsere undichte Stelle. Allerdings konnte ich es meiner besten Freundin nicht verübeln. Sie liebte meinen Bruder seit einer halben Ewigkeit. Ich verstand, warum sie ihn nicht hatte anlügen wollen.
»Weiß Lucan es?«
»Nein.«
Nick musterte mich wenig begeistert.
»Dann solltest du duschen, und zwar gründlich. Ansonsten haben wir es gleich mit einem rasenden Assassinen zu tun. Du stinkst meilenweit nach Vesteria und Drake Careus.«
»Ich dachte, du glaubst nicht daran, dass zwischen Lucan und mir etwas sein könnte?«
»Glauben, hoffen, keine Ahnung.« Mein Bruder zuckte mit den Schultern. »Aber eins weiß ich, ich habe absolut keine Lust, diese Theorie mit einem Krieger wie Lucan Vale zu testen. Also gehst du besser.«
Nicks Worte waren harsch, aber ich hatte sie verdient. Immerhin hatte ich ihn belogen. Und ich hielt gewisse Dinge vor ihm geheim. Ebenso wie Olli. Der warf mir einen raschen Blick zu, den ich nur allzu gut selber kannte. Zweifel, Notwendigkeit und eine grimmige Entschlossenheit standen dem Engel ins Gesicht geschrieben. Es war ja nicht so, dass es uns Spaß machte, unser Umfeld im Dunkeln zu lassen oder zu belügen. Aber Scio hatte mir geraten, so wenig Leute wie möglich in meine Pläne einzuweihen. Die Anderswelt war ein gefährlicher Ort. Das war Fakt. Also taten wir gut daran, extra vorsichtig zu sein.
»Willst du nicht wissen, warum ich in Vesteria war?«
»Nein. Ich versuche, mein Versprechen dir gegenüber zu halten und habe Vertrauen. Auch, wenn ich dich im Moment nur anschreien möchte.«
»Ich liebe dich, Nick. Das weißt du, oder?«
Mein Bruder seufzte. »Ich weiß.« Er drückte mich kurz und fest an sich. »Ich liebe dich auch, Schwester. Aber jetzt geh duschen. Du riechst nach Tier.«
KAPITEL 6
Ein wenig erleichtertet verabschiedete ich mich und schlich mich möglichst lautlos in den ersten Stock hinauf zu meiner Suite. Ich schlüpfte durch die Tür und atmete auf. Keine Spur von Lucan, King oder den anderen. Der Balance sei Dank. Lächelnd drehte ich mich um und erstarrte mitten in der Bewegung.
»Hast du ernsthaft geglaubt, ich merke es nicht?«, fragte Lucan und ein Schatten huschte über das Gesicht des Assassinen.
Betrug.
Innerlich fluchend trat ich mit wild klopfendem Herzen näher. Lucan sah … betrogen aus. Verletzt. Wütend.
»Ich …«
»Hast du ernsthaft geglaubt«, wiederholte er, »dass ich es nicht spüren würde, wenn du diese Welt verlässt? Wenn du durch ein Portal reist?« Sein massiver Körper erhob sich von meinem Bett. »In der Sekunde, in der ich