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Da die Geldbußen gem. § 30 OWiG häufig existenzbedrohende Ausmaße annehmen, haben die betroffenen Unternehmen teilweise bewusst versucht, sich diesen Konsequenzen durch eine gesellschaftsrechtliche Umgestaltung zu entziehen oder unterlagen innerhalb der langen Dauer solcher Verfahren einschneidenden gesellschaftsrechtlichen Veränderungen. Insofern stellte sich rechtlich die Frage der Sanktionierung des Gesamtrechtsnachfolgers des betroffenen Unternehmens. Nach der älteren Rechtsprechung des BGH war die Bußgeldhaftung des Rechtsnachfolgers nur möglich, wenn zwischen der früheren und der neuen Gesellschaft nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise eine sog. „Nahezu-Identität“ bestand.222 Diese Rechtsprechung führte allerdings dazu, dass Unternehmen sich einer gegen sie verhängten (Kartell-)Geldbuße entziehen konnten, indem sie eine Form der Umstrukturierung oder Veräußerung des Unternehmens wählten, die die Annahme einer „Nahezu-Identität“ im Sinne der Rechtsprechung ausschloss. Mit Urteil vom 5.3.2015 hat sich dann jedoch der EuGH gegen die Rechtsprechung des BGH gewandt und entschieden, dass die (im Rahmen einer Verschmelzung) aufnehmende Gesellschaft grundsätzlich für Rechtsverstöße der aufgenommenen Gesellschaft haftet.223 Da dies aber mit dem deutschen Schuldprinzip („nulla poena sine culpa“) nicht vereinbar erscheint, hat der BGH für Altfälle klargestellt, dass eine solche Auslegung des § 30 OWiG contra legem nicht zulässig sei.224 Für Neufälle hat der Gesetzgeber im Jahre 2013 eine ausdrückliche Regelung in § 30 Abs. 2a OWiG geschaffen, nach der im Falle der Gesamtrechtsnachfolge die Geldbuße gegen den oder die Rechtsnachfolger festgesetzt werden kann.225
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In der Verfolgungspraxis führen die erheblichen Unternehmensgeldbußen teilweise zu profiskalischen Begehrlichkeiten auch in der Strafjustiz mit der Folge, dass das eigentliche Strafverfahren gegen die persönlich Verantwortlichen nur noch mit geringem Engagement geführt wird und die Straftat (oder Ordnungswidrigkeit) letztlich nur noch als „Aufhänger“ für die beabsichtigte Unternehmensgeldbuße dient. Regelmäßig werden die Verfahren gegen die Unternehmen als Drittbeteiligte abgetrennt und vorgezogen, häufig werden die Verfahren wegen der Anknüpfungstaten dann sogar aus Gründen der „Prozessökonomie“ gem. § 153a StPO bzw. § 47 OWiG eingestellt. Die Verhängung einer Unternehmensgeldbuße, das eigentliche Ziel, bleibt in solchen Fällen im selbstständigen Verfahren gem. § 444 Abs. 3 StPO weiterhin möglich.226
b) Das Unternehmen als Nebenbeteiligter im Verfahren wegen § 30 OWiG
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Ist im Strafverfahren über die Festsetzung einer Geldbuße gegen ein Unternehmen oder einen Verband i.S.v. § 30 OWiG zu entscheiden, so ordnet das Strafgericht auch hier gem. § 444 Abs. 1 StPO die Beteiligung des Unternehmens oder des Verbands an dem Verfahren an, soweit es die Tat betrifft. Gem. § 444 Abs. 2 StPO wird das Unternehmen oder der Verband zur Hauptverhandlung geladen; bleibt der Vertreter des Unternehmens ohne genügende Entschuldigung aus, so kann ohne ihn verhandelt werden. Mit dem Ziel der Verhängung einer Unternehmensgeldbuße ist gem. § 444 Abs. 3 StPO auch die Durchführung eines selbstständigen Verfahrens zulässig. Örtlich zuständig ist in einem solchen Fall (auch) das Gericht, in dessen Bezirk das Unternehmen oder der Verband seinen Sitz oder eine Zweigniederlassung hat.
c) Einziehung (§ 29a OWiG)
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Schlussendlich besteht auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren gemäß § 29a OWiG die Möglichkeit, gegen den Täter oder auch das Unternehmen als begünstigten Dritten die Einziehung des Erlangten anzuordnen. Voraussetzung für die Anordnung ist auch hier die rechtswidrige Begehung einer mit Bußgeld bedrohten Handlung, aus der der Täter (oder ein Dritter) einen unmittelbaren Vorteil erlangt, der dann wie bei §§ 73ff. StGB nach dem „Bruttoprinzip“ abgeschöpft werden kann. Anders als im Strafverfahren ist die Einziehung nach § 29a jedoch ausschließlich auf die Abschöpfung eines Geldbetrages gerichtet und gegen denjenigen ausgeschlossen, gegen den bereits ein Bußgeldbescheid gem. § 30 OWiG erlassen worden ist. Wird gegen den Täter ein Bußgeldverfahren nicht eingeleitet oder wird es eingestellt, so kann auch hier die Einziehung gem. § 29a Abs. 4 OWiG selbstständig angeordnet werden.
VI. Sonstige Risiken für das Unternehmen und seine Verantwortlichen
1. Blacklisting und Vergabesperren
a) Registereintragungen
aa) Bundeszentralregister
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Rechtskräftige Strafurteile gegen natürliche Personen werden in das vom Bundesamt für Justiz geführte Zentralregister und Erziehungsregister (Bundeszentralregister) eingetragen. Da Auskünfte aus dem Bundeszentralregister auch für öffentliche Stellen jedoch nur sehr restriktiv gewährt werden, etwa für Zwecke der Strafverfolgung, beschränkt sich die Problematik hier auf den Verurteilten selbst, für den sich im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit allerdings die Notwendigkeit ergeben könnte, über etwaige Vorstrafen zu informieren. Öffentliche Stellen erhalten im Falle eines berechtigten Interesses eine Vollauskunft, der Betroffene selbst erhält ein sog. „Führungszeugnis“, das gem. § 32 BZRG jedoch nicht sämtliche Einträge erhält, insbesondere finden dort die Eintragung einer Geldstrafe von nicht mehr als neunzig Tagessätzen oder einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als drei Monaten keinen Niederschlag, wenn im Register keine weitere Strafe eingetragen ist.
bb) Gewerbezentralregister
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Gemäß § 149 Abs. 1 GewO führt das Bundesamt für Justiz ein Gewerbezentralregister, in das u.a. Entscheidungen über betriebsbedingte Verfehlungen (Straftaten und Ordnungswidrigkeiten) eingetragen werden, wenn die Ahndung eine bestimmte Grenze überschreitet.
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Nach § 149 Abs. 2 Nr. 3 GewO werden in das Gewerbezentralregister Bußgeldentscheidungen wegen einer Ordnungswidrigkeit eingetragen, die bei oder im Zusammenhang mit der Ausübung eines Gewerbes oder dem Betrieb einer sonstigen wirtschaftlichen Unternehmung oder bei der Tätigkeit in einem Gewerbe oder einer sonstigen wirtschaftlichen Unternehmung von einem Vertreter oder Beauftragten im Sinne des § 9 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) oder von einer Person, die in einer Rechtsvorschrift ausdrücklich als Verantwortlicher bezeichnet ist, begangen worden ist. In beiden Fällen ist Voraussetzung für die Eintragung, dass die Geldbuße mehr als 200,00 EUR beträgt.
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Gemäß § 149 Abs. 2 Nr. 4 GewO werden auch rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilungen wegen bestimmter Straftaten, so nach den §§ 10 und 11 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes, nach den §§ 15 und 15a des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes oder nach § 266a Abs. 1, 2 und 4 StGB, eingetragen, die bei oder im Zusammenhang mit der Ausübung eines Gewerbes oder dem Betrieb einer sonstigen wirtschaftlichen Unternehmung begangen worden sind, wenn auf Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten oder Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen erkannt worden ist.
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Soweit die Entscheidung eine natürliche Person betrifft, wird diese in das Register eingetragen. Betrifft die (Bußgeld-)Entscheidung eine juristische Person, etwa § 30 OWiG, so besteht ein übergeordnetes ordnungsrechtliches Interesse auch an einer Erweiterung des einzutragenden Personenkreises auf bestimmte abhängig beschäftigte Personen oder Vertretungsberechtigte des Unternehmens, mit der Folge, dass sich der einzutragende Personenkreis auch auf die in § 149 Abs. 2 Nr. 3 lit. b GewO genannten Personen erstreckt. Neben den in § 9 OWiG genannten Personen werden damit auch solche Personen eingetragen, die in einer Rechtsvorschrift ausdrücklich als Verantwortliche bezeichnet sind. Entscheidungen werden also nicht nur beim Gewerbetreibenden, sondern zusätzlich auch bei dem Vertretungsberechtigten