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Eine untreuerelevante Pflichtwidrigkeit kann im Einzelfall allerdings ausgeschlossen sein, wenn eine wirksame Einwilligung der Vermögensinhaber vorliegt.157 Bei juristischen Personen tritt an die Stelle des Vermögensinhabers dessen oberstes Willensorgan für die Regelung der inneren Angelegenheiten, im Fall einer GmbH also die Gesamtheit ihrer Gesellschafter. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt jedoch nur dem Einverständnis sämtlicher Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft oder einem (Mehrheits-)Beschluss, wenn die Minderheitsgesellschafter jedenfalls gehört worden sind, tatbestandsausschließende Wirkung zu.158 Bei einer Aktiengesellschaft ist Voraussetzung für ein strafrechtlich bedeutsames Einverständnis, dass es entweder von dem Alleinaktionär oder von der Gesamtheit der Aktionäre durch einen Beschluss der Hauptversammlung über die Verwendung des Bilanzgewinns erteilt worden ist, nicht gegen Rechtsvorschriften verstößt oder aus sonstigen Gründen ausnahmsweise als unwirksam zu bewerten ist.159 Die Herbeiführung einer rechtswirksamen Einwilligung ist mithin schwierig und stellt compliance-technisch aufgrund der problematischen Verwendungsabsicht ohnehin keine Lösung dar.
b) Zahlung von Bestechungsgeld
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Die Zahlung von Bestechungsgeld, sei es unmittelbar als Barzuwendung oder als Vermittlungsprovision bzw. Beraterhonorar, kann sich ebenfalls als untreuerelevant darstellen. Widerspricht die Hingabe von Vermögenswerten zum Zwecke der Bestechung bereits dem Willen des Vermögensinhabers, liegt unzweifelhaft ein pflichtwidriges Verhalten i.S.v. § 266 StGB vor. Ein solcher entgegenstehender Wille kann sich im Unternehmensbereich insbesondere aus dahingehenden Compliance-Erklärungen (sog. Compliance Commitments) ergeben.160
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Erfolgt die Bestechungshandlung jedoch mit Einwilligung des Vermögensinhabers, ist das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit i.S.v. § 266 StGB zweifelhaft, soweit etwa aufgrund des Einsatzes des Bestechungsgeldes ein gewinnbringender Auftrag generiert wird. Erfolgt die Gegenleistung (der gewinnbringende Auftrag) nicht, liegt ein Vermögensschaden vor. Erfolgt die Gegenleistung jedoch, liegt prima vista zwar kein Vermögensschaden i.S.v. § 266 Abs. 1 StGB vor, die Gegenleistung ist dann aber immer noch mit dem Risiko der Anfechtbarkeit und dem Risiko strafprozessualer Maßnahmen, etwa der Einziehung des Erlangten gem. § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB, behaftet.161 Die Gegenleistung ist somit um das Entdeckungsrisiko gemindert.162 Nicht nur, da diese Rechtsfrage in der Rechtsprechung des BGH sowie des BVerfG in hohem Maße umstritten ist,163 sondern insbesondere, da eine Konstellation, in der ein Bestechungsgeld nicht der Strafdrohung der §§ 299, 331ff., 335a StGB unterliegt, kaum mehr denkbar ist, kann ein dahingehendes Einverständnis unter Compliance-Aspekten ohnehin nicht erteilt werden.
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Nach der Rechtsprechung des BGH liegt auch bei der Vereinbarung von Schmiergeldzahlungen in Form eines prozentualen Preisaufschlags regelmäßig ein Nachteil i.S.d. § 266 Abs. 1 StGB vor.164 Diese Rechtsprechung beruht auf der Erwägung, dass jedenfalls mindestens der Betrag, den der Vertragspartner für Schmiergelder aufwendet, auch in Form eines Preisnachlasses dem Geschäftsherrn des Empfängers hätte gewährt werden können.165 Bei der Auftragserlangung durch Bestechung im geschäftlichen Verkehr bildet deshalb der auf den Preis aufgeschlagene Betrag, der lediglich der Finanzierung des Schmiergeldes dient, regelmäßig die Mindestsumme des beim Auftraggeber entstandenen Vermögensnachteils i.S.v. § 266 Abs. 1 StGB. Inwieweit andere Anbieter noch teurere Angebote eingereicht haben, soll, so der BGH, demgegenüber unerheblich sein.166
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Die Erbringung von korruptiven Zahlungen (vulgo: Schmiergeld) stellt sich damit ebenso wie die Entgegennahme von Bestechungsgeld regelmäßig als Treuepflichtverletzung gegenüber dem eigenen Unternehmen dar. In (fast) jedem Korruptionssachverhalt findet sich daher auch eine Untreuestrafbarkeit gem. § 266 Abs. 1 StGB. Die Untreue dient in der Praxis nicht selten als Auffangtatbestand in Fällen mangelnder strafrechtlicher Relevanz i.S.d. §§ 331ff. StGB oder auch in Fällen mangelnder Beweisbarkeit.
3. Steuerverkürzung (§§ 370ff. AO)
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Die Verkürzung von Unternehmenssteuern stellt nicht nur als solche ein erhebliches Compliance-Risiko dar, gerade hier befindet sich das Einfallstor für die Aufdeckung anderweitiger im Unternehmen schlummernder Compliance-Risiken.
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Im Hinblick auf die Hauptproblemfelder einer Steuerverkürzung im Unternehmensinteresse, mithin dem eigentlichen steuerlichen Compliance-Risiko, so in erster Linie der Umsatzsteuerverkürzung, der Lohnsteuerverkürzung sowie der Körperschaftssteuerverkürzung, kann auf die ausführliche Darstellung im Kapitel 25 Tax Compliance verwiesen werden. Die Tatsache, dass die vorsätzliche oder auch nur leichtfertige Verkürzung von Unternehmenssteuern im (vermeintlichen) Unternehmensinteresse per se ein Compliance-Risiko darstellt, dürfte auf der Hand liegen. Im Falle einer vorsätzlich begangenen Steuerhinterziehung droht den Unternehmensverantwortlichen gem. § 370 Abs. 1 AO ein Strafmaß von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe, in besonders schweren Fällen sogar Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein solcher besonders schwerer Fall liegt in der Regel bereits vor, wenn der Täter Steuern „in großem Ausmaß“ verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile in entsprechender Höhe erlangt hat (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO). Ein großes Ausmaß ist nach der Rechtsprechung des BGH mittlerweile bei jeder Steuerhinterziehung über 50.000,00 EUR erreicht.167 Die frühere Unterscheidung zwischen Gefährdung des Steueranspruchs durch Verschweigen steuerpflichtiger Einkünfte und Umsätze (Wertgrenze 100.000,00 EUR) und echtem Vermögensverlust durch Erschleichen ungerechtfertigter Erstattungen (Wertgrenze 50.000,00 EUR) wurde durch den BGH ausdrücklich aufgehoben. Das Erreichen der Schwelle des „großen Ausmaßes“ ist allerdings für jede einzelne Tat im materiellen Sinne, also etwa für jeden Erklärungszeitraum, gesondert zu bestimmen.168 Infolge der zunehmend restriktiver werdenden Rechtsprechung des BGH in Steuerstrafsachen ist bei Erreichen eines Verkürzungsbetrages von 1 Mio. EUR konsequent auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen mit der Folge, dass dann gem. § 56 Abs. 2 StGB auch eine Strafaussetzung zur Bewährung nur noch sehr ausnahmsweise bei Vorliegen besonders gewichtiger Milderungsgründe in Betracht kommt.169 Aufgrund der in der Steuerverkürzung liegenden Verletzung unternehmensbezogener Pflichten und der Absicht der Bereicherung des Unternehmens droht dem Unternehmen neben der (Nach-)Zahlung der verkürzten Steuern, der Hinterziehungszinsen i.H.v. 0,5 % pro Monat170 und der Bestrafung der Verantwortlichen zusätzlich die Einbeziehung in das Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren und die Verhängung einer Unternehmensgeldbuße gem. § 30 OWiG.
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Weniger spektakulär aber umso gefährlicher ist die Aufdeckung weniger offensichtlicher Steuerverkürzungen, die ihrerseits auf andere, nicht-steuerrechtliche Compliance-Verstöße, insbesondere Korruptionssachverhalte, zurückzuführen sind. Da Korruptionssachverhalte regelmäßig auf Verdunklung angelegt sind, liegt es nahe, dass die Zahlungswege und Beziehungsgeflechte auch gegenüber den Steuerbehörden nicht offenbart werden sollen, die im Fall ihrer Kenntnisnahme einer Mitteilungspflicht an die Staatsanwaltschaft unterliegen und Amtshilfe leisten würden. Da die Aufwendung von Bestechungsgeldern jedoch bei oberflächlicher Betrachtung als betriebsnützlich angesehen werden kann, wollen Unternehmen jedoch häufig nicht ohne Weiteres auf die steuermindernde Geltendmachung dieser Posten als Betriebsausgaben verzichten. Dies ist jedoch nicht mehr möglich.
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Bis 1999 war die steuermindernde Geltendmachung von im Ausland aufgewendeten sog. „Nützlichen Aufwendungen“ (also Bestechungsgeldern)