Engelszwillinge. Laura Wille. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Laura Wille
Издательство: Автор
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Год издания: 0
isbn: 9783964640512
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Engelszwilling der Finsternis?«

      »Sag du es mir. Du bist ein Teil von ihr.«

      Oscuros Augen wurden schmal. Er schwieg.

      »Du weißt also, wo sie ist?«, fragte Lucien, doch Oscuro zuckte nur die Achseln.

      »Heaven ist wesentlich gefährlicher als Ciel. Selbst ich könnte dabei draufgehen, wenn ich ihr zu nahekomme«, knurrte Oscuro schließlich. »Sie irrt gerade vermutlich irgendwo umher und sieht zu, wie dank ihr viele Menschen ihr Leben verlieren.«

      Lucien seufzte. »Heaven leidet ebenso wie Ciel. Wir brauchen einen Plan, wie wir uns ihr nähern können, ohne von ihr getötet zu werden. Die Mädchen zusammenzubringen, ohne eine Katastrophe herbeizuführen, könnte sich als fast unmöglich erweisen. Sobald sie sich sehen, kochen die Kräfte in ihnen hoch wie bei einem Vulkan und entladen sich explosionsartig. Es könnte passieren, dass beide sterben. Das müssen wir irgendwie verhindern!« Er blickte empor zu Ciels Wohnungsfenster. »Was Ciel betrifft … Ich kann ihr nicht mehr unter die Augen treten. Sie fürchtet sich vor mir.«

      »Ich fürchte mich auch, wenn ich deine Visage sehe.« Oscuro musterte ihn angewidert. »Jedes Mal, wenn du mir unter die Augen kommst, würde ich dir am liebsten meine Faust ins Gesicht rammen. Und deine Loyalität der Königin gegenüber geht mir auf den Sack!«

      Doch Lucien hörte ihm kaum zu. Er starrte weiter schweigend zu Ciels Fenster empor, als hoffte er, dass sie zum Fenster kommen und herausschauen würde. Eine unheimliche Stille legte sich über ihn und Oscuro. Dann sagte Lucien plötzlich schweren Herzens: »Ich habe ihr die Wahrheit erzählt.«

      »Warte, du hast was getan?« Oscuro starrte ihn entsetzt an.

      »Ja, es war vielleicht ein Fehler, aber ich musste einfach etwas tun …« Doch da raste Oscuro auf ihn zu, packte ihn am Kragen und drückte ihn gegen die Hauswand.

      »Hast du den Verstand verloren, du Dreckskerl?«, zischte er zornig. Wut, so hell wie das Feuer, das die Hütte vernichtet hatte, loderte in seinen kristallblauen Augen auf.

      Lucien schloss gequält seine eigenen, als er sich daran erinnerte. Ciel hätte ihn tatsächlich fast erledigt, und mit ihm wäre es auch Oscuros Ende gewesen und das der Mission.

      »Die Königin hat gesagt, wir müssen aufpassen, was wir ihnen erzählen, da es sonst zu einer Kurzschlussreaktion kommen könnte. Und stell dir nur mal vor, Ciel rennt jetzt überall herum und plappert alles aus.«

      »Ich habe aufgepasst. Hätten meine Worte in ihr etwas ausgelöst oder gar verhindert, dass sie ihre wahre Gestalt annehmen kann, wäre ihre Reaktion eine andere gewesen.« Lucien ächzte und packte Oscuros Hände, um seinen Griff zu lockern. »Außerdem glaubt sie mir nicht. Sie glaubt kein Wort von dem, was ich ihr gesagt habe. Sie ist bloß durchgedreht und hätte mich beinahe getötet. Und wem soll sie es erzählen? Sie hat niemanden mehr. Sie ist ganz allein. Außerdem würde ihr niemand glauben.«

      Oscuro funkelte ihn mit schmalen Augen misstrauisch an. Schließlich ließ er ihn los und wich einen Schritt zurück. »Weißt du, Lucien, Menschen haben kein Existenzrecht. Die ganze beschissene Art ist von Zorn und Bosheit zerfressen. Meinetwegen können sie alle sterben. Die Königin ist naiv, wenn sie meint, dass Ciel und Heaven sie nur zu reinigen bräuchten. Ihnen könnte es dadurch zwar gelingen, die Dämonen aufzuhalten, aber das Böse lässt sich nie ganz aus den Menschen vertreiben.«

      Lucien schüttelte den Kopf. »Hör auf, das zu sagen!«

      »Gib’s zu, du bist doch auch der Meinung, dass Ciel ohne ihren beschissenen Chef besser dran ist, habe ich nicht recht?« Auf Oscuros Gesicht breitete sich ein teuflisches Grinsen aus.

      Lucien riss die Augen auf, als ihm eine schreckliche Erkenntnis kam. »Du warst es? Du hast ihn getötet? Es war gar nicht der Engelszwilling der Finsternis?«

      »Bingo!« Oscuro schnippte mit den Fingern. »Der Typ war ein widerwärtiges Monster. Ciel wäre zerbrochen, wenn sie weiter bei ihm geblieben wäre. Er hat sie wie Dreck behandelt und mit Füßen getreten. Ihr Leiden musste aufhören. Er ist einer der Gründe, weshalb es an der Zeit ist, die Menschen zurechtzuweisen und ihnen zu zeigen, dass sie sich nicht einfach aufführen können, wie sie wollen. Böse Menschen töten schwächere und werden nicht für ihre Taten bestraft.«

      Luciens Augen wurden schmal. »Was hast du getan?«

      »Nichts … außer ein paar Mal mit dem Messer auf diesen Dreckskerl einzustechen.« Oscuro strich sich die schwarzen Haare zurück und zuckte die Achseln, als sei das alles gar nicht so schlimm, wie es sich anhörte. »Er wollte mit einer Pfanne auf mich losgehen! Lächerlich! Um Gnade hat er gewinselt, als ich ihm das Messer ins Auge gestoßen habe. Hättest mal sein dämliches Gesicht sehen sollen, als er seinen letzten Atemzug getan hat. Ach ja, und um seine Leiche habe ich mich auch gekümmert. Er wird jetzt im Wald von den Tieren angeknabbert.«

      Oscuro schaute Lucien durchdringend an.

      »Dieser Kerl war doch ebenfalls nichts weiter als eine billige Schachfigur, von der Königin erschaffen, um Ciels Willensstärke zu testen. Sie wollte herausfinden, wie stark Ciel in Wirklichkeit ist, ob sich ihr Wille beugen lässt oder ob ihr Licht erlischt und sie aufgibt. So wie wir beide nichts weiter als Schachfiguren für ihre Mission sind.«

      Lucien konnte sich nicht mehr zurückhalten. Er packte Oscuro und holte mit der Faust aus, doch der war schneller. Er stieß Lucien mit voller Wucht gegen die Wand, sodass Lucien sich den Kopf anschlug und mit einem Stöhnen zu Boden sank. Er lag auf dem kalten Pflaster und wollte aufstehen, doch Oscuro stellte seinen Fuß auf Luciens Brust und verstärkte immer mehr den Druck. Lucien bäumte sich auf, als ihm fast die Luft wegblieb.

      »Auf welcher Seite stehst du?«

      Lucien sah ihn mit blitzenden Augen wutentbrannt an. Er verspürte ein schreckliches Brennen in seinen Flügelnarben. Spürte, wie sich seine Flügel von innen herauszudrücken versuchten und entfalten wollten. Der Schmerz war so stark, dass Lucien sich auf die Lippe beißen musste, um einen Aufschrei zu unterdrücken.

      »Die Königin hätte mir jemand Fähigeres an die Seite stellen sollen«, brummte Oscuro und bückte sich zu ihm hinunter. Er drückte Lucien den Fuß noch einmal kräftig in die Magengegend, und seine eisblauen Augen loderten auf. »Im Gegensatz zu dir laufe ich nicht blindlings herum und tue Dinge, die ich später noch bereuen werde. Stattdessen werde auf einen günstigen Moment warten und mir dann die beiden Mädchen schnappen.«

      »Nein! Sie werden dich töten! Lass mich dir dabei helfen«, ächzte Lucien, doch da spürte er auch schon Oscuros Faustschlag mitten im Gesicht. Lucien unterdrückte einen Aufschrei und zog sich schützend die Arme vors Gesicht, doch ein weiterer Schlag kam nicht. Das Gewicht von seiner Brust verschwand. Als er sich das Blut von der Lippe wischte und sich aufrichtete, sah er nur noch, wie Oscuro schnellen Schrittes davonging. Er verschwand in der Dunkelheit der Nacht. Nur seine Schritte hallten noch lange in Luciens Ohren wider.

      Ein Sonnenstrahl fiel auf Ciels Gesicht.

      Sie blinzelte, setzte sich auf und streckte sich. Sie fühlte sich wie neugeboren. Noch nie hatte sie so gut geschlafen. Sie fühlte sich gesund und munter und spürte, wie neue Energie ihren Körper durchströmte. Ihre sonst so triste Wohnung wurde in ein warmes Licht gehüllt.

      Ein Lächeln huschte über ihre Lippen, als sie Toivo neben sich auf der Decke schlafen sah. Sie streichelte ihren Hund, dann warf sie einen Blick auf den Wecker, und erschrak. Hastig riss sie die Decke zurück und wollte schon aufspringen, um nicht wieder zu spät zur Arbeit zu kommen – als ihr klar wurde, dass sie nie wieder ins Mamma Mia gehen konnte. Henry war tot.

      Sie ließ sich zurück auf ihre Matratze fallen und starrte an die Decke. Ja, ihr Chef war tot. Und sein Mörder lief noch immer da draußen frei herum. Plötzlich kamen ihr die Tränen, und all die Glückseligkeit und die Freude in ihr waren mit einem Schlag verflogen, als hätte man eine Kerze ausgepustet. Mit einem Mal zitterte sie unter der dünnen Decke.

      Was sollte jetzt nur aus ihr werden? Was würde geschehen, wenn herauskam, dass Henry tot war? Würde man sie etwa verdächtigen?