Gefährliche Liebschaften. Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750203433
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zu veranlassen, der, da er die Straße nicht verlassen durfte, oft springend einen Weg dreimal so lang wie der meine machen mußte. Wie ich so den Burschen trieb, wurde mir selber so warm, daß ich mich unter einen Baum setzte. Hatte der Kerl nicht die Frechheit, sich keine zwanzig Schritte von mir unter ein Gebüsch zu legen? Einen Augenblick hatte ich Lust, ihm einen Schuss aus meiner Flinte zu schicken, der, wenn es auch nur eine Schrotladung war, ihm doch eine Lektion über die Gefahren der Spionage erteilt hätte. Zum Glück für ihn fiel mir ein, daß er für meinen Plan nötig, ja höchst nötig sei, und das hat den Burschen gerettet.

      Ich komme ins Dorf und bemerke einen Aufruhr, trete näher, und man erzählt mir den Vorfall. Ich lasse den Steuereinnehmer kommen und zahle mit meinem großmütigsten Mitleid und nobel fünfundsechzig Livres, um derentwillen man fünf Personen auf Stroh und Verzweiflung legen wollte. Nach dieser so einfachen Sache hätten Sie den Chor von Segenswünschen hören sollen, den alle Umstehenden anstimmten! Tränen der Dankbarkeit liefen dem alten Familienoberhaupte aus den Augen, und machten das Gesicht dieses Patriarchen schön, das vorher in der Verzweiflung fast häßlich war. Ich betrachtete noch das Schauspiel, als ein anderer etwas jüngerer Bauer mit einer Frau und zwei Kindern hervortrat, zu denen der Alte sagte: »Fallen wir vor diesem Ebenbild Gottes zu Füßen,« und im selben Augenblick lag diese Familie anbetend zu meinen Füßen. Ich wurde wirklich schwach, und meine Augen wurden naß: ich fühlte eine unwillkürliche aber angenehme Rührung. Ich war ganz erstaunt über das hübsche Gefühl, das man empfindet, wenn man wohltut, und ich möchte glauben, daß diese Leute, die wir nächstenliebende Leute nennen, nicht halb so viel Verdienst bei ihrer Tugend haben, als man uns glauben machen will. Sei das wie immer, ich fand es nur recht und billig, diesen Leuten das Vergnügen zu zahlen, das sie mir soeben bereitet hatten. Ich hatte gerade noch zehn Louis bei mir und gab sie ihnen. Jetzt fingen die Dankeshymnen von neuem an, aber sie hatten schon nicht mehr die gleiche pathetische Höhe: das Nötige hatte den starken echten Effekt verursacht, das übrige war nur einfacher Ausdruck der Dankbarkeit und des Erstaunens über ein Geschenk, das aus dem Überfluss kam.

      Ich sah inmitten dieser Segnungen der redseligen Familie wohl recht einem Theaterhelden ähnlich in der entscheidenden Szene. Natürlich war der treue Spion auch inmitten der Menge, und mein Zweck war erfüllt. Ich riß mich los und ging aufs Schloß zurück. Alles in allem gratuliere ich mir zu meinem Einfall. Und die Frau ist die viele Mühe wirklich wert, die ich mir ihretwegen mache –diese Mühe wird einmal mein Anspruch sein. Und indem ich sie auf diese Weise sozusagen im voraus bezahlt habe, werde ich das Recht haben, nach meiner Laune über diese Frau zu verfügen, ohne mir Vorwürfe machen zu müssen.

      Ich vergaß Ihnen zu sagen, daß ich, um allen Vorteil daraus zu ziehen, die guten Leute noch bat, Gott um den Erfolg meines Vorhabens zu bitten. Sie werden gleich sehen, wie ihre Gebete schon zum Teil erhört wurden ... Ich werde soeben zum Abendessen gerufen, und es würde zu spät für die Post werden, wenn ich den Schluß bis nachher aufheben wollte. Also den Rest am nächsten Posttag. Es tut mir leid, denn dieser Rest ist das Beste: Adieu, meine schöne Freundin. Sie stahlen mir eine Minute »ihres« Anblicks!

       Schloß . . ., den 20. August 17..

      22

      Zweiundzwanzigster Brief

      Die Präsidentin von Tourvel an Frau von Volanges

      Sie werden sich gewiß freuen, gnädige Frau, von einem Zug des Herrn von Valmont zu hören, der, wie mir scheint, um vieles verschieden von der Art ist, wie man ihn Ihnen dargestellt hat. Es ist so unangenehm, unvorteilhaft von irgend jemandem zu denken, so betrübend, nur Laster bei jenen zu finden, die alle nötigen Eigenschaften besitzen, die Tugend zu lieben. Sie üben doch so gerne Nachsicht, und Ihnen Grund zu geben, von einem zu strengen Urteil zurückzukommen, heißt doch Sie verbinden. Herr von Valmont scheint mir wie geschaffen dazu, diese Gunst, – ich möchte fast sagen diese Gerechtigkeit – von Ihnen zu erhoffen, und worauf ich das gründe, ist dies:

      Er machte heute früh einen jener Spaziergänge, die bestimmte Pläne seinerseits in der Umgebung vermuten ließen, so wie Sie einmal voraussetzten, und ich muß mich anklagen, diese Ihre Vermutung mit allzu vieler Lebhaftigkeit geteilt zu haben. Zum Glück für ihn und auch für uns, –weil es uns davor bewahrt, ungerecht zu sein, –mußte einer meiner Leute denselben Weg wie er gehen, und auf diese Weise wurde meine sträfliche aber glückliche Neugierde befriedigt. Er brachte uns die Nachricht, daß Herr von Valmont im Dorfe S. eine unglückliche Familie angetroffen habe, deren Möbel verkauft werden sollten, weil sie die Steuer nicht bezahlen konnte; und daß er den Leuten nicht nur den Betrag der Steuern, sondern auch noch eine ansehnliche Summe geschenkt hatte. Mein Diener war Zeuge dieser tugendhaften Handlungsweise und erzählte weiter, daß die Bauern unter sich und zu ihm davon sprachen, daß gestern ein Diener ins Dorf gekommen wäre, um Erkundigungen über jene Bauern einzuziehen, ein Diener, den sie näher beschrieben, und den der meinige als den des Herrn von Valmont erkannte. Wenn dem so ist, so ist das kein gewöhnliches, durch die zufällige Gelegenheit veranlaßtes und vorübergehendes Mitleid, und ist vielmehr die vorgefaßte Absicht, Gutes zu tun; und das ist die schönste Tugend der schönsten Seelen. Aber, sei es nun Zufall oder Absicht, es bleibt immer eine lobenswerte und ehrliche Tat, deren Beschreibung mich schon zu Tränen rührte. Ich füge noch hinzu, und das immer noch aus dem Gefühl der Gerechtigkeit, daß, als ich mit ihm darüber sprach, er selbst kein Wort davon erwähnte, anfangs sogar leugnete und dann, als er es eingestand, so wenig Wert darauf legte, daß seine Bescheidenheit sein Verdienst verdoppelte. Jetzt sagen Sie mir, meine ehrwürdige Freundin, ob Herr von Valmont wirklich ein unverbesserlicher Wüstling ist, und wenn er das ist und sich so benimmt, was für die anständigen Menschen noch zu tun bliebe? Können denn die Bösen mit den Guten die heilige Freude des Wohltuns teilen? Gott würde erlauben, daß eine tugendhafte Familie die Hilfe, deren Dank sie der ewigen Vorsehung schuldet, aus den Händen eines Verbrechers empfängt? Und könnte es ihm gefallen, aus reinem Munde die Segnungen eines Verworfenen zu hören? Ich glaube nein. Ich will lieber glauben, daß seine Verirrungen langdauernde, aber nicht ewige sind, und ich kann mir nicht denken, daß derjenige, der Gutes tut, ein Feind der Tugend ist. Herr von Valmont ist vielleicht nur ein Beispiel mehr für die Gefahren, die in diesen verwerflichen Liaisons liegen. Ich bleibe bei diesem Gedanken, der mir gefällt, und wenn er dazu beitragen kann, Herrn von Valmont in Ihren Augen zu rechtfertigen, so dient er mir auch anderseits dazu, die Freundschaft mehr und mehr kostbar machen, die mich fürs Leben an Sie bindet.

      In Ehrerbietung Ihre usw.

      P.S. Frau von Rosemonde geht jetzt mit mir diese ehrliche und unglückliche Familie besuchen, um etwas verspätet unsere Hilfe derjenigen des Herrn von Valmont beizufügen. Wir nehmen ihn mit uns und werden den guten Leuten wenigstens die Freude machen, ihren Wohltäter wiederzusehen, was, glaube ich, alles ist, das er uns zu tun übrig ließ.

       Schloß . . ., den 20. August 17..

      23

      Dreiundzwanzigster Brief

      Der Vicomte von Valmont an die Marquise von Merteuil

      Wir blieben bei meiner Rückkehr ins Schloß unterwegs stehen; ich nehme meinen Bericht wieder auf.

      Ich hatte gerade noch Zeit, Toilette zu machen und begab mich in den Salon, wo meine Schöne an einer Stickerei saß, während der Pfarrer des Ortes meiner alten Tante die Zeitung vorlas. Ich setzte mich neben den Stickrahmen. Noch sanftere Blicke als gewöhnlich, ja fast zärtliche Blicke ließen mich bald erraten, daß der Diener schon seinen Bericht erstattet hatte. Und wirklich konnte meine süße Neugier nicht länger das Geheimnis halten; und unbekümmert, einen ehrwürdigen Priester zu unterbrechen, dessen Vorlesen mehr eine Predigt war, sagte sie: »Ich habe auch meine Neuigkeit,« und erzählte mein Abenteuer, und mit einer Genauigkeit, die der Intelligenz ihres Berichterstatters alle Ehre macht. Sie können sich denken, wie ich alle meine Bescheidenheit paradieren ließ, – aber kann man eine Frau hindern, die ohne es zu wissen, das Lob dessen singt, den sie liebt? Ich ließ sie also erzählen. Man hätte meinen können, sie trüge das Loblied eines Kirchenheiligen vor. Währenddem beobachtete ich nicht ohne Hoffnung alles, was