Gefährliche Liebschaften. Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750203433
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– holte ich gleich den Brief hervor, um ihn nochmals nach Herzenslust zu lesen. Ich nahm ihn mit ins Bett und küßte ihn, als wenn ... Es ist vielleicht unrecht von mir, einen Brief so zu küssen, aber ich konnte nicht anders.

      Jetzt, meine liebe Freundin, so sehr glücklich ich mich auch fühle, so sehr bin ich auch in Verlegenheit. Soll ich auf diesen Brief antworten? Ich weiß, daß sich das nicht schickt, und doch verlangt er es von mir; und wenn ich es nicht tue, so weiß ich, wird er traurig sein. Es ist ja auch so betrübend für ihn! Was rätst Du mir? Aber Du wirst auch nicht mehr wissen als ich. Ich habe Lust, Frau von Merteuil darüber zu fragen, ich weiß, wie sehr sie mich liebt. Ich möchte ihn trösten und doch auch nichts tun, was Unrecht wäre. Man sagt uns immer, wir sollen ein gutes Herz haben, und dann verbietet man uns wieder, dem guten Herzen zu folgen, sowie es einen Mann betrifft – das ist doch nicht ganz gerecht. Ist denn ein Mann nicht auch unser Mitmensch ganz so wie eine Frau und vielleicht noch mehr? Denn man hat doch einen Vater und eine Mutter, einen Bruder und eine Schwester. Und dann ist doch auch noch der Gatte. Und doch, wenn ich etwas tun würde, was nicht ganz recht wäre, vielleicht würde Herr von Danceny selbst seine gute Meinung von mir verlieren? Da wäre es mir doch noch lieber, daß er traurig bleibt; und vielleicht bringt es die Zeit. Wenn er gestern geschrieben hat, deshalb brauche ich doch heute nicht gleich antworten. Dann sehe ich Frau von Merteuil noch heute Abend, und wenn ich dann den Mut dazu habe, so werde ich ihr alles erzählen. Wenn ich das tue, was sie mir rät, so werde ich mir nichts vorzuwerfen haben. Vielleicht rät sie mir, ihm etwas zu schreiben, damit er nicht mehr gar so traurig ist! Ich bin recht unglücklich.

      Adieu, meine liebe Freundin. Sage mir jedenfalls, wie Du darüber denkst.

       Paris, den 19. August 17..

      17

      Siebzehnter Brief

      Der Chevalier Danceny an Cécile Volanges

      Mein Fräulein! Ehe ich dem Vergnügen oder dem Bedürfnisse, Ihnen zu schreiben, nachgebe, bitte ich Sie, mich gnädig anhören zu wollen. Ich fühle, ich bedarf der Nachsicht, wenn ich es wage, Ihnen meine Gefühle auszudrücken – der Brief wäre unnötig, wenn ich sie nur rechtfertigen wollte. Was kann ich Ihnen anderes zeigen als das, was Sie aus mir gemacht haben? Was habe ich Ihnen noch zu sagen, als das, was meine Blicke, meine Erregung, mein Benehmen und selbst mein Stillschweigen Ihnen noch nicht gesagt hätten? Warum sollten Sie sich über ein Gefühl betrüben, das Sie selbst heraufbeschworen haben? Von Ihnen ist es ausgegangen, und würdig, Ihnen dargebracht zu werden; und wenn es brennend ist wie meine Seele, so ist es auch ebenso rein wie die Ihre. Ist es ein Verbrechen, Ihre entzückende Gestalt zu lieben, Ihre verführerischen Talente, Ihre bezaubernde Anmut, und jene rührende Unschuld, die allen diesen schon so wertvollen Eigenschaften noch das Wertvollste gibt? Nein, sicher nicht. Aber ohne schuldig zu sein, kann man doch unglücklich sein, und dieses ist mein Los, wenn Sie sich meine Huldigung verbieten. Sie sind die erste, der mein Herz sie darbringt. Ohne Sie wäre ich, wenn auch nicht glücklich, so doch ruhig. Ich sah Sie, und von der Stunde floh die Ruhe von mir und schwankt mein Geschick. Und doch wundern Sie sich über meine Traurigkeit und fragen nach der Ursache, ja manchmal glaubte ich, daß Sie sich darüber betrübten. Ach! sagen Sie ein Wort, und meine Seligkeit wird Ihr Werk sein. Aber, bevor Sie es aussprechen, bedenken Sie, daß ein Wort mich unglücklich machen kann. Sie halten mein Schicksal. Durch Sie werde ich auf ewig glücklich oder ewig unglücklich sein, und – in welch liebere Hände könnte ich diese große Entscheidung legen?

      Ich schließe den Brief, wie ich ihn angefangen habe: Ich bat um Nachsicht, und daß Sie mich anhören möchten; ich wage noch mehr: ich bitte Sie, mir zu antworten. Wenn Sie das nicht tun, so nehme ich an, daß Sie sich beleidigt fühlen, mein Herz aber bürgt mir dafür, daß meine Achtung meiner Liebe gleichkommt.

      P. S. Sie können mir auf dieselbe Art antworten, derer ich mich bediene, Ihnen den Brief zukommen zu lassen; sie scheint mir ebenso sicher wie bequem.

       den 18. August 17..

      18

      Achtzehnter Brief

      Cécile Volanges an Sophie Carnay

      Wie, Sophie, Du mißbilligst schon im voraus was ich tun werde? Ich hatte mir schon so genug Sorgen gemacht und nun vermehrst Du sie noch. Du sagst, es wäre ganz klar, daß ich nicht antworten dürfe. Du hast leicht reden, denn Du weißt nicht genau, worum es sich handelt; Du bist nicht da, um das alles zu sehen. Ich bin überzeugt, daß Du es genau so machen würdest wie ich, wenn Du an meiner Stelle wärst. Gewiß, für gewöhnlich soll man nicht antworten, und Du siehst aus meinem gestrigen Brief, daß ich es auch nicht wollte; aber ich glaube nicht, daß sich je irgend jemand in einer solchen Lage befunden hat wie ich.

      Dazu noch verurteilt zu sein, ganz allein einen Entschluss zu fassen! Frau von Merteuil sollte gestern Abend kommen und kam nicht. Alles kehrt sich gegen mich. Sie ist die Ursache, daß ich ihn kennen lernte, ich habe ihn beinahe immer mit ihr gesehen, und in ihrer Gegenwart habe ich mit ihm gesprochen. Ich nehme ihr das ja nicht übel; aber daß sie mich jetzt in meiner Verlegenheit im Stiche läßt ... O! wie bin ich zu bedauern! Stelle Dir vor, er kam gestern wie gewöhnlich. Ich traute mich kaum ihn anzusehen, so sehr verwirrt war ich. Er konnte nicht mit mir sprechen, weil Mama dabei war. Ich bezweifelte nicht, daß er sehr böse sein würde, wenn er die Entdeckung machen wird, daß ich nicht geschrieben hatte. Ich wußte gar nicht, wie ich mich benehmen sollte. Bald nachher fragte er mich, ob er mir meine Harfe bringen dürfte. Mein Herz klopfte so heftig, daß ich nichts anderes sagen konnte als ja. Als er zurückkam, war es noch schlimmer. Ich sah nur ganz schnell zu ihm hinüber. Er sah mich nicht an, aber er sah aus, als wenn er krank wäre. Das tat mir furchtbar leid. Jetzt stimmte er meine Harfe, und als er sie mir brachte, sagte er: O, mein Fräulein ... – Nur diese zwei Worte, aber mit einem Ton, daß ich ganz weg war. Ich spielte ohne zu wissen was ich tat. Mama fragte, ob wir denn nicht singen würden. Er entschuldigte sich mit etwas Unwohlsein, und ich, mir fiel keine Ausrede ein, und ich mußte singen. Lieber hätte ich keine Stimme gehabt! Ich suchte ein Lied aus das ich nicht konnte; denn ich war überzeugt, daß ich nicht singen könnte, und bei einem andern Lied hätte man etwas gemerkt. Glücklicherweise kam ein Besuch; sobald ich hörte, daß ein Wagen vorgefahren war, hörte ich auf und bat den Chevalier, die Harfe wieder zurückzutragen. Ich hatte Angst, daß er bei der Gelegenheit fortgehen würde, aber er kam wieder zurück.

      Während Mama sich mit dieser Dame unterhielt, wollte ich ihn ein wenig ansehen. Ich begegnete seinem Blick, und ich konnte die meinen nicht davon wegbringen. Bald darauf sah ich, daß er Tränen in den Augen hatte, und er mußte sich umdrehen, damit man es nicht sah. Da konnte ich nicht mehr an mir halten, ich fühlte, daß ich auch zu weinen anfing. Ich ging hinaus und schrieb schnell mit Bleistift auf ein Stück Papier: »Seien Sie doch nicht so traurig, ich bitte darum; ich verspreche zu antworten.« Da kannst Du doch nicht sagen, daß da ein Unrecht dabei ist; es war eben stärker als ich. Ich steckte mein Papier in die Saiten meiner Harfe, genau so, wie sein Brief gesteckt hat und kam in den Salon zurück. Ich fühlte mich ruhiger. Ich wünschte, daß die Dame schon fortginge – glücklicherweise war sie nur so eine Visite, und sie ging auch bald. Kaum war sie fort, sagte ich, daß ich meine Harfe wieder haben möchte und bat ihn, sie wieder zu holen. Ich sah ihm wohl an, daß er an nichts dachte. Aber als er zurückkam, – wie war er froh! Indem er die Harfe vor mich hinsetzte, stellte er sich so, daß Mama ihn nicht sehen konnte, und drückte meine Hand ... aber wie er sie drückte! ... Es war nur ein Augenblick, doch was ich dabei empfand, kann ich Dir nicht beschreiben. Ich zog aber meine Hand zurück und habe mir so nichts vorzuwerfen.

      Jetzt siehst Du, meine liebe Freundin, daß ich doch nicht anders kann, als ihm schreiben, da ich es ja versprochen habe; und ich will ihm auch keinen Kummer mehr machen, weil ich mehr darunter leide als er. Wenn es etwas Schlimmes wäre, würde ich es gewiß nicht tun. Worin kann das Unrecht bestehen, zu schreiben, wenn es jemanden verhindert unglücklich zu sein? Was mich etwas in Verlegenheit bringt ist nur, daß ich nicht recht weiß, wie den Brief schreiben; aber er wird schon fühlen, daß das nicht meine Schuld ist; dann glaube ich auch sicher, daß es genügt, daß