Sanft bis stürmisch. Rainer Zak. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rainer Zak
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847655787
Скачать книгу

      I.

      Wer hatte ihm noch diesen fantastischen Tipp gegeben? Eine grandiose Abkürzung über die Dörfer! 10 Kilometer gespart!

      Herold trat fluchend auf die Bremse. Auch wenn er sich im Verdacht hatte, die entscheidenden Hinweisschilder übersehen zu haben. Eher wurde er sich immer sicherer, dass es hier gar keine Hinweisschilder mehr gab.

      Ein Wunder, dass die Straße nicht plötzlich endete, vielleicht an einem pompösen Hinweisschild: Hier entsteht im kommenden Jahr ein weiteres Stück Straße!

      Und dann noch dieser ununterbrochene Schnürregen, der heute den letzten Rest Tageslicht am frühen Abend auch noch verschluckte.

      Mach ich schon die Scheinwerfer an oder warte ich noch?

      An der Ortsausfahrt gab er Gas zur Geradeausfahrt und spürte plötzlich, wie die Wegstrecke rumpelig wurde; er sah gerade noch, dass er auf tief eingefahrene Spuren zusteuerte, und blieb abrupt stecken.

      „Willkommen in der Hölle“, dachte sich Herold, „das konnte ja nun wirklich nicht die Hauptverkehrsstraße sein.“

      Ein Blick aus dem Fenster machte ihm klar, dass er im größten Schlammloch weit und breit gelandet war. Ein Desaster, eigentlich ein erstklassiger Grund für ultimative Panik, - aber ihm gingen mit zunehmender Erheiterung die lustigsten Sprachbilder durch den Kopf: versackt sein, tief im Dreck stecken, bis zum Kopf im Schlammassel stecken.

      Er schätzte ab, ob es intelligenter wäre, im Wagen sitzen zu bleiben, bis eine lange Trockenperiode ihm freie Fahrt verschaffte oder mit den Beinen die Tiefe dieser Schlamm-Einöde zu vermessen und die Umgebung zu erkunden.

      Das schmatzende Geräusch beim Öffnen der Wagentür verriet ihm, dass er wohl auch im Inneren des Wagens nicht länger auf Schmutzbrühe und Schlamm verzichten brauchte. Da stieg er doch lieber gleich aus, schließlich trug er ja Stiefel.

      Danach konnte er die Tiefe des Schlammloches schon wesentlich genauer bemessen; das Wasser lief ihm von oben in den Stiefelschaft und der maß knapp 50 Zentimeter Höhe.

      Eine Bestätigung dieser ersten Schätzung erhielt er sogleich, da er beim ersten Schritt ausrutschte und auf dem Grund der Riesenpfütze zu sitzen kam.

      Fluchen oder lachen: Die Entscheidung fiel ihm nicht so schwer, wie er vermutet hatte. Der Vorrat an guter Laune aus der ersten Tageshälfte schien immer noch nicht aufgebraucht.

      II.

      Dinah war mit dem Traktor auf dem Heimweg und zuckelte die letzten hundert Meter auf den Ortseingang zu. Nicht das erste Mal im Lauf des Nachmittags verhedderte sich ihre Hose am Schalthebel, als sie eine ungeschickte Bewegung machte.

      Vielleicht sollte sie sich für die verbleibenden Wochen doch noch eine grobe Hose in ihrer Größe besorgen, statt sich mit den ausgeliehenen Mordssäcken von Trainingshosen zu behelfen, die der große Bruder ihr überlassen hatte.

      Die Ortseinfahrt war erreicht; flüchtig warf sie einen Blick nach rechts, wo der Feldweg zu den mittlerweile abgesoffenen Feldern abzweigte; als Erstes fiel ihr ein großer roter Fleck ins Auge.

      Ein roter Fleck in einem Tümpel? Sensationell für diese ereignisarme Gegend;

      sie fuhr den Traktor an die Seite.

      „Ganz niedlich“, dachte sie, „sich ausgerechnet hier einen Abstellplatz zu suchen. Halb versackt, wie der Wagen ist, dürfte das sogar ein Dauerparkplatz werden.“

      Erst danach entdeckte sie, dass der Tümpel anscheinend bewohnt war; eine Gestalt hockte neben dem Wagen im Wasser und wedelte mit einem Arm, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen.

      „Der Meisterfahrer schwenkt wohl die weiße Fahne“, dachte sie nicht ohne Häme und schlich misstrauisch ein paar Schritte heran.

      Herold witterte die Erlösung aus der ansonsten hoffnungslosen Situation, obwohl er sich einen lieblicheren Rettungsengel gewünscht hätte als einen schlampig gekleideten Bauerntrampel auf einer altersschwachen Rostmühle.

      Von der einen Sekunde zur anderen verwandelte sich seine pure Arroganz jedoch in Verblüffung. Die himbeerroten Lippen in dem jungen Gesicht, das aus dem fleckigen Arbeitskittel herauslugte, ließen ihn fast seine durchtränkte Montur vergessen. Schon ein einziger Blick aus ihren lebhaften Augen genügte, seine inzwischen versickerte Euphorie wiederzubeleben.

      „Ich schwöre“, sagte er, „ich bin sonst eine überaus imposante Erscheinung. Nur so, wie ich im Moment aussehe, habe ich furchtbar schlechte Karten. Aber können Frauen nicht mit ihrem Blick Dreckschichten durchdringen und den attraktiven Kern eines Kerls trotzdem erkennen?“

      Dinah öffnete den Mund für eine Antwort, aber verkniff sich dann doch eine böse Bemerkung.

      „Dem geht es anscheinend noch nicht dreckig genug oder er ist beim Ausrutschen mit dem Kopf auf einen Stein gefallen“, dachte sie stattdessen in einem ersten Anfall von Spott.

      In der Hoffnung, bald von Dreckkrusten und feuchter Unterwäsche befreit zu werden, lief Herold aber dann zu einer beängstigenden Form auf, sodass Dinah fast die Luft wegblieb.

      „Ich bin ein von der Bankenkrise gebeutelter verwunschener Finanzmanager und möchte mich ab sofort den zuverlässigen und stabilen Werten dieser Welt zuwenden, zum Beispiel einem ergiebigen Stück Ackerland und einer Milchkuh. Besteht da bei Ihnen möglicherweise eine Chance einzusteigen?“

      Auf den Mund gefallen war Dinah sicher nicht; sie gab ihm kräftig Kontra.

      „Was denn“, fuhr sie ihm in die Parade, „halten Sie mich denn für eine Milchkuh, in der Sie Ihre letzten Euros investieren wollen? Und, Sie verkanntes Finanzgenie, eines sag ich Ihnen gleich: Für Ihr abgesoffenes Auto könnte ich Ihnen höchstens unser ältestes Suppenhuhn anbieten.“

      Das hätte sie lieber nicht sagen sollen; denn Herold verließ die Kraft, als er in ein sich überschlagendes Lachen ausbrach, sodass er ein weiteres Stück in der Brühe versackte.

      III.

      So tief, wie die Karre im Dreck steckte, - natürlich war dies nicht ihre sondern seine trockene Art, die Situation zu beschreiben-, war an Abschleppen im Moment nicht zu denken.

      Dinahs Traktor hatte 20 Jahre auf dem Buckel; der Motor hatte die Grenze seiner Leistungsfähigkeit längst erreicht.

      Schließlich blieb ihr nichts Anderes übrig, als dem schlammgrauen Piloten des roten U-Bootes eine Generalüberholung auf ihren Hof anzubieten.

      Auf den Traktor ließ sie ihn erst hinauf, als er sich grob vom Schlamm gesäubert hatte; dazu war die Decke auf dem Rücksitz seines Autos doch noch von Nutzen. Dinah rückte ein Taschentuch heraus und entfernte eigenhändig die Dreckspritzer aus seinem Gesicht.

      „Das erleichtert die Identifizierung bei der Polizei, falls Sie sich doch noch als Trickverbrecher entpuppen“, begründete sie ihre Beharrlichkeit und Sorgfalt dabei. Sie amüsierte sich heimlich darüber, wie schweigsam er bei dieser Prozedur war. Auf einen gelegentlichen Augenkontakt über den sehr kurzen Weg aber verzichtete er nicht. Dinah fand die Gesichtszüge, die sie soeben freilegte, sehr anziehend.

      Herold hätte es für eine gewaltige Untertreibung gehalten, wenn jemand das Profil seiner Traktoristin so beschrieben hätte. Auf den seitlichen Beifahrersitz gequetscht, hatte er sie während der ganzen Fahrt im Blick und lernte dabei jedes Detail ihrer Wangen, ihrer Lippen und ihrer Stirn auswendig.

      Auf halbem Wege begann Herold erst kaum vernehmlich, dann aber mit sonorer Stimme eine Live-Reportage vom Ort de Geschehens.

      „Liebe Zuhörer in der großen weiten Welt, wo es zurzeit hoffentlich mal nicht regnet! Unsere Retterin und Gastgeberin tritt den Beweis an: die ländliche Bevölkerung hat keine Vorurteile gegenüber den hier ungeschickt auftretenden Städtern. Sie ist ganz ohne Zweifel eine der reizvollsten Frauen, die je einen Traktor gelenkt hat, obwohl