Der Idiot. Fjodor Dostojewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fjodor Dostojewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754188651
Скачать книгу
bei Bjelokonskis, gehabt«, rief Kolja. »Daran erinnere ich mich.«

      »Wie! Genau ebenso? Ein und dieselbe Geschichte sollte sich an zwei weit auseinanderliegenden Stellen Europas zugetragen haben, genau übereinstimmend in allen Einzelheiten, mit Einschluß des hellblauen Kleides?« sagte Nastasja Filippowna, unbarmherzig bei diesem Gegenstand beharrend. »Ich werde Ihnen die ›Indépendance Belge‹ zuschicken!«

      »Aber beachten Sie wohl«, erwiderte der General, der sich immer noch standhaft verteidigte, »daß es mir zwei Jahre früher passiert ist.«

      »Ja, das ist entscheidend!«

      Nastasja Filippowna lachte so, daß sie gar nicht wieder aufhören konnte.

      »Papa, ich bitte Sie, auf ein paar Worte mit mir hinauszukommen«, sagte Ganja mit zitternder Stimme, der man seine Seelenqual anhörte, und faßte den Vater mechanisch an der Schulter.

      Ein grenzenloser Haß loderte in seinem Blick.

      In diesem Augenblick ertönte außerordentlich laut die Klingel im Vorzimmer. Bei so gewaltsamem Läuten konnte die Klingel abreißen. Man konnte sich auf einen ungewöhnlichen Besuch gefaßt machen. Kolja lief hin, um zu öffnen.

      Im Vorzimmer wurde es plötzlich sehr geräuschvoll und lebendig. Vom Salon aus schien es, daß von draußen mehrere Menschen hereingekommen seien und ihnen immer noch andere folgten. Mehrere Stimmen redeten und schrien zugleich; auch auf der Treppe wurde geredet und geschrien; denn die Tür, die vom Vorzimmer dorthin führte, war, wie man hören konnte, nicht wieder geschlossen worden. Es war offenbar ein höchst sonderbarer Besuch. Alle sahen einander an; Ganja eilte nach dem Wohnzimmer; aber auch in das Wohnzimmer drangen schon mehrere Menschen ein.

      »Ah, da ist er ja, der Judas!« rief eine Stimme, die dem Fürsten bekannt vorkam. »Guten Tag, Ganja, du Schuft!«

      »Ja, das ist er in eigener Person!« bestätigte eine andere Stimme.

      Der Fürst konnte nicht daran zweifeln: die eine Stimme war die Rogoschins, die andere die Lebedjews.

      Ganja stand wie vor den Kopf geschlagen auf der Schwelle des Salons und sah schweigend und ohne es zu hindern zu, wie hinter Parfen Rogoschin her zehn oder zwölf Menschen einer nach dem andern in das Wohnzimmer eintraten. Die Gesellschaft war sehr buntscheckig und zeichnete sich nicht nur durch ihre Buntscheckigkeit, sondern auch durch ihr seltsames Benehmen aus.

      Einige traten so ein, wie sie von der Straße kamen, im Überzieher und Pelz. Ganz betrunken waren diese Leute übrigens nicht; jedoch machten sie sämtlich den Eindruck, daß sie stark angeheitert seien. Sie schienen alle einer des andern zu bedürfen, um den Mut zum Eintritt zu finden; jeder einzelne hätte nicht Kühnheit genug besessen, aber alle schoben sich sozusagen wechselseitig vorwärts. Selbst Rogoschin schritt nur mit großer Vorsicht an der Spitze dieses Trupps einher; aber er hatte augenscheinlich irgendwelche Absicht und schien traurig, gereizt und sorgenvoll zu sein. Die übrigen bildeten nur den Chor oder, besser gesagt, eine Hilfstruppe. Außer Lebedjew war da auch der schön frisierte Saloschew, der seinen Pelz im Vorzimmer abgelegt hatte und nun in gewandter, stutzerhafter Art eintrat, und zwei oder drei Herren von ähnlicher Art wie er, offenbar aus dem Kaufmannsstand; ferner einer in einem halbmilitärischen Paletot; dann ein kleiner, sehr dicker Mensch, der beständig lachte; ein Herr von gewaltiger Körpergröße, der gleichfalls ungewöhnlich dick war, sehr finster aussah, sich schweigsam verhielt und offenbar große Hoffnungen auf seine Fäuste setzte. Auch ein Studiosus medicinae war da und ein scharwenzelnder Pole. Von der Treppe her blickten noch zwei undefinierbare Damen ins Vorzimmer herein, wagten aber nicht einzutreten; Kolja schlug ihnen die Tür vor der Nase zu und sicherte sie durch Vorlegung des Hakens.

      »Guten Tag, Ganja, du Schuft! Na? Parfen Rogoschins Besuch hast du wohl nicht erwartet?« wiederholte Rogoschin, indem er nach dem Salon zu ging und in der Tür vor Ganja stehenblieb.

      Aber in diesem Augenblick wurde er plötzlich im Salon, sich gerade gegenüber, Nastasja Filippownas ansichtig. Es schien, daß er es sich nicht hatte träumen lassen, sie hier zu treffen; denn ihr Anblick übte auf ihn eine außerordentliche Wirkung aus: er wurde so blaß, daß sogar seine Lippen eine bläuliche Färbung annahmen.

      »Also ist es wahr!« sagte er mit ganz verstörtem Gesicht leise vor sich hin. »Nun ist alles zu Ende ...! Aber ... das sollst du mir jetzt büßen!« fügte er zähneknirschend hinzu und blickte Ganja mit maßloser Wut an. »Oh ... ach ...!«

      Er konnte kaum Luft holen und redete nur mühsam. Mechanisch trat er in den Salon hinein; aber als er die Schwelle überschritt, erblickte er plötzlich Nina Alexandrowna und Warja und blieb, trotz all seiner Aufregung einigermaßen verlegen, stehen. Hinter ihm kam Lebedjew, der ihn wie sein Schatten begleitete und schon stark betrunken war, dann der Student, der Herr mit den Fäusten, Saloschew, der sich nach rechts und nach links verbeugte, und endlich drängte sich noch der kleine Dicke durch.

      Die Anwesenheit der Damen hielt sie alle noch ein wenig im Zaum und war ihnen offenbar recht störend, natürlich nur bis es »losging«, bis sich der erste Anlaß bot, ein Geschrei zu erheben und »loszulegen« ... Dann war nicht zu erwarten, daß sie sich von irgendwelchen Damen würden hindern lassen.

      »Was? Du auch hier, Fürst?« sagte Rogoschin zerstreut; er war etwas verwundert, den Fürsten hier zu treffen. »Immer noch in Gamaschen ...! Ach!« seufzte er; er hatte den Fürsten bereits vergessen, richtete seine Blicke wieder auf Nastasja Filippowna und rückte ihr, wie von einem Magnet angezogen, immer näher.

      Nastasja Filippowna betrachtete die Ankömmlinge ebenfalls mit unruhiger Neugierde.

      Endlich faßte sich Ganja.

      »Aber erlauben Sie, was soll denn das eigentlich vorstellen?« sagte er mit lauter Stimme, indem er die Eingetretenen mit strengem Blick ansah und sich vorzugsweise an Rogoschin wandte. »Sie sind hier doch nicht in einen Pferdestall hereingekommen, meine Herren; hier befinden sich meine Mutter und meine Schwester.«

      »Das sehen wir, daß deine Mutter und deine Schwester da sind«, preßte Rogoschin zwischen den Zähnen hervor.

      »Daß die Mutter und die Schwester da sind, das sieht man«, pflichtete ihm Lebedjew bei, um sich ein Ansehen zu geben. Der Herr mit den Fäusten, der wohl annahm, daß jetzt der richtige Augenblick gekommen sei, fing an, etwas zu brummen.

      »Aber das ist doch unerhört!« rief Ganja erregt und überlaut. »Erstens ersuche ich Sie alle, dieses Zimmer zu verlassen und in das Wohnzimmer zu gehen, und dann seien Sie so freundlich, sich vorzustellen ...«

      »Nun sieh einer an! Er kennt mich nicht!« erwiderte Rogoschin mit boshaftem Lächeln, ohne sich vom Fleck zu rühren. »Kennst du Rogoschin nicht mehr?«

      »Ich bin allerdings schon irgendwo mit Ihnen zusammengetroffen, aber ...«

      »Sieh mal an! Irgendwo zusammengetroffen! Ich habe ja erst vor drei Monaten zweihundert Rubel, die meinem Vater gehörten, an dich verspielt, und der Alte ist gestorben, ehe er es erfahren hat; du hast mich hingeschleppt, und Knif hat mich gerupft. Und da kennst du mich nicht? Ptizyn kann es bezeugen! Aber wenn ich jetzt drei Rubel aus der Tasche ziehe und dir zeige, dann kriechst du hinter ihnen her auf allen vieren bis zur Wasili-Insel. So ein Subjekt bist du! So einen Charakter hast du! Ich bin auch jetzt hierher ge kommen, um dich für Geld zu kaufen. Kümmere dich nicht darum, daß ich in solchen Stiefeln hereingekommen bin; ich habe Geld, lieber Freund, viel Geld, und werde dich und alles, was drum und dran ist, kaufen ... Wenn ich will, kaufe ich euch alle! Alles kaufe ich!« Er war immer hitziger geworden und schien immer mehr in die Berauschtheit hineinzugeraten. »Ach, ach!« schrie er. »Nastasja Filippowna! Jagen Sie mich nicht fort! Sagen Sie nur ein einziges Wörtchen: werden Sie ihn heiraten oder nicht?«

      Rogoschin hatte diese Frage gestellt, wie wenn er ganz wirr im Kopf wäre und wie wenn er sich an eine Gottheit wendete, aber mit der Kühnheit eines zum Tode Verurteilten, der nichts mehr zu verlieren hat. In Todesangst wartete er auf die Antwort.

      Nastasja Filippowna maß ihn mit einem spöttischen, hochmütigen Blick; aber dann