»Auch ich würde eine Menge reden, wenn ich Sie wäre«, antwortete ihm der Fürst lachend. »Ihr Bild, das ich vor kurzem sah, hat auf mich einen starken Eindruck gemacht«, fuhr er, zu Nastasja Filippowna gewendet, fort. »Dann habe ich mit Jepantschins von Ihnen gesprochen ... und schon heute früh, noch ehe ich in Petersburg ankam, hat mir Parfen Rogoschin viel von Ihnen erzählt ... Gerade in dem Augenblick, als ich Ihnen die Tür öffnete, hatte ich an Sie gedacht, und da standen Sie plötzlich vor mir.«
»Aber woher wußten Sie denn, wer ich war?«
»Nach dem Bild und ...«
»Und woher noch?«
»Außerdem deswegen, weil ich Sie mir gerade so vorgestellt habe ... Auch mir ist, als hätte ich Sie schon irgendwo gesehen.«
»Wo denn? Wo denn?«
»Ich habe die Empfindung, als hätte ich Ihre Augen schon einmal irgendwo gesehen ... aber es ist unmöglich! Ich bilde es mir nur so ein ... Ich bin nie hier gewesen. Vielleicht daß ich im Traum ...«
»Bravo, Fürst!« rief Ferdyschtschenko. »Nein, ich nehme mein se non è vero zurück. Übrigens ... übrigens sagt er das ja alles in reiner Unschuld!« fügte er bedauernd hinzu.
Der Fürst hatte jene wenigen Sätze mit unruhiger Stimme gesprochen, mehrfach stockend und häufig dazwischen Atem holend. Sein ganzes Wesen bekundete eine hochgradige Erregung. Nastasja Filippowna blickte ihn neugierig an, lachte aber nicht mehr. In diesem Augenblick ertönte plötzlich hinter der Gruppe, die dicht geschart um den Fürsten und Nastasja Filippowna herumstand, eine neue, kräftige Stimme, schob sozusagen die Gruppe in zwei Hälften auseinander und schuf in ihr eine Gasse. Vor Nastasja Filippowna stand das Oberhaupt der Familie selbst, General Iwolgin. Er hatte den Frack und ein reines Vorhemd angelegt und sich den Schnurrbart frisch gefärbt.
Das war mehr, als Ganja ertragen konnte.
Selbstsüchtig und eitel bis zur Nervosität, bis zur Hysterie, hatte er diese ganzen zwei Monate lang nach Mitteln gesucht, sich ein anständigeres, vornehmeres Air zu geben. Er fühlte, daß er auf dem erwählten Weg noch ein Neuling sei und vielleicht nicht imstande sein werde, ihn dauernd einzuhalten. In seiner Verzweiflung war er schließlich dazu gelangt, zu Hause, wo er der reine Despot war, sich ganz brutal zu benehmen, wagte dies aber nicht in Gegenwart Nastasja Filippownas zu tun, die ihn bis zu diesem Augenblick immer in Verwirrung gesetzt und ihn erbarmungslos tyrannisiert hatte. Einen »ungeduldigen Bettler« hatte sie selbst ihn genannt, eine Bezeichnung, die ihm hinterbracht worden war, und er hatte sich heilig zugeschworen, ihr das alles später einmal heimzuzahlen, obwohl er gleichzeitig manchmal in kindlicher Weise davon geträumt hatte, alles in gute Ordnung zu bringen und alle Gegensätze zu versöhnen. So stand die Sache, und nun mußte er jetzt noch diesen schrecklichen Becher leeren, und noch dazu gerade in einem solchen Augenblick! Eine unvorhergesehene, aber für einen eitlen Menschen ganz besonders furchtbare Folter sollte er erdulden: die Qual, für seine Angehörigen bei sich zu Hause erröten zu müssen!
In diesem Augenblick ging ihm der Gedanke durch den Kopf: ist denn schließlich der in Aussicht stehende Preis all diese Mühe und all diese Schmerzen wert?
Jetzt vollzog sich dasjenige, was ihm während dieser zwei Monate nur nachts in beängstigenden Träumen vor das geistige Auge getreten war und ihn mit eisigem Schreck, mit glühender Scham erfüllt hatte: es fand endlich im Familienkreis ein Zusammentreffen zwischen seinem Vater und Nastasja Filippowna statt. Er hatte manchmal in spöttischer Selbstverhöhnung versucht, es sich auszumalen, was für eine Figur der General bei der Trauung machen werde, hatte aber nie vermocht, sich das qualvolle Bild vollständig zu vergegenwärtigen, sondern es immer rasch wieder beiseite geschoben. Vielleicht machte er sich von dem ihm erwachsenden Schaden maßlos übertriebene Vorstellungen; aber so geht es eitlen Menschen stets. In diesen zwei Monaten hatte er sich die Sache überlegt, seinen Entschluß gefaßt und sich fest vorgenommen, seinen Vater um jeden Preis irgendwie aus dem Weg zu schaffen, wenn auch nur auf einige Zeit, und ihn womöglich sogar aus Petersburg verschwinden zu lassen, mochte nun die Mutter damit einverstanden sein oder nicht. Als vor zehn Minuten Nastasja Filippowna eingetreten war, hatte ihn das dermaßen überrascht und betäubt, daß er an die Möglichkeit des Erscheinens seines Vaters auf der Bildfläche mir keinem Ge danken gedacht und keinerlei Anordnungen in dieser Hinsicht getroffen hatte. Und nun stand der General auf einmal da, vor aller Augen, und noch dazu in feierlicher Toilette, im Frack, und gerade zu einer Zeit, wo Nastasja Filippowna nur eine Gelegenheit suchte, um ihn und seine Angehörigen mit ihrem Spott zu überschütten. Denn daß dies ihre Absicht war, davon war er überzeugt. Und in der Tat, welche andere Bedeutung hätte ihr jetziger Besuch haben können? War sie gekommen, um mit seiner Mutter und mit seiner Schwester Freundschaft zu schließen, oder um sie in seinem eigenen Hause zu beleidigen? Aber nach der Haltung, welche beide Parteien eingenommen hatten, war kein Zweifel mehr möglich: seine Mutter und seine Schwester saßen abseits wie entehrt, und Nastasja Filippowna schien ganz vergessen zu haben, daß beide sich mit ihr in demselben Zimmer befanden ... Und wenn sie sich so benahm, so hatte sie sicherlich dabei ihre Absicht!
Ferdyschtschenko faßte den General bei der Hand und führte ihn näher heran.
»Ardalion Alexandrowitsch Iwolgin«, sagte der General würdevoll und verbeugte sich lächelnd, »ein alter unglücklicher Soldat, der Vater dieser Familie, die sich glücklich fühlt in der Hoffnung, ein so reizendes neues Mitglied in ihren Schoß ...«
Er konnte den Satz nicht zu Ende sprechen; Ferdyschtschenko schob ihm schnell von hinten einen Stuhl hin, und der General, der um diese Nachmittagsstunde etwas unsicher auf den Beinen war, setzte sich oder fiel vielmehr mit dumpfem Geräusch auf den Stuhl nieder, was ihn übrigens nicht weiter verlegen machte. Er saß Nastasja Filippowna gerade gegenüber und führte mit einer anmutigen Gebärde ihre feinen Finger langsam und effektvoll an seine Lippen. Überhaupt war es recht schwer, den General in Verlegenheit zu setzen. Sein Äußeres war, von einer gewissen Nachlässigkeit abgesehen, immer noch ziemlich anständig, was er selbst recht wohl wußte. Er hatte früher Gelegenheit gehabt, in sehr guter Gesellschaft zu verkehren, aus der er erst vor zwei, drei Jahren endgültig ausgeschlossen worden war. Seitdem hatte er sich allerdings widerstandslos seinen Schwächen hingegeben; aber seine gewandten, angenehmen Manieren hatte er sich immer noch bewahrt. Nastasja Filippowna schien über das Erscheinen Ardalion Alexandrowitschs, über den sie natürlich schon manches gehört hatte, außerordentlich erfreut zu sein.
»Ich habe gehört, daß mein Sohn ...«, begann der General.
»Ja, Ihr Sohn! Aber Sie sind mir auch nett, Papachen! Warum lassen Sie sich nie bei mir sehen? Verstecken Sie sich selbst, oder versteckt Sie Ihr Sohn? Sie wenigstens können doch zu mir kommen, ohne jemanden zu kompromittieren.«
»Die Kinder des neunzehnten Jahrhunderts und ihre Väter ...«, fing der General wieder an.
»Nastasja Filippowna«, sagte Nina Alexandrowna laut, »lassen Sie doch, bitte, meinen Mann für einen Augenblick fortgehen; es fragt jemand nach ihm.«
»Fortgehen lassen? Aber ich bitte Sie, ich habe so viel von ihm gehört und schon so lange gewünscht, ihn persönlich kennenzulernen! Und was kann er denn zu tun haben? Er befindet sich ja doch im Ruhestand? Sie werden mich doch nicht verlassen, General, werden doch nicht fortgehen?«
»Ich gebe Ihnen mein Wort, daß er Ihnen bald einen Besuch machen wird; aber jetzt bedarf er dringend der Ruhe.«
»Ardalion Alexandrowitsch, es wird behauptet, Sie bedürften dringend der Ruhe!« rief Nastasja Filippowna mit unzufriedener, schmollender Miene, wie ein launisches kleines Mädchen, dem man sein Spielzeug wegnimmt.
Der General benutzte die Gelegenheit, sich noch weiter närrisch zu gebärden.
»Liebe Frau, liebe Frau«, sagte er vorwurfsvoll, indem er sich würdevoll zu ihr hinwandte und die Hand aufs Herz legte.
»Wollen Sie nicht hinausgehen, Mama?« fragte Warja laut.
»Nein, Warja, ich will bis zu Ende hierbleiben.«
Nastasja Filippowna mußte