VII
Als der Fürst nun schwieg, blickten alle, selbst Aglaja, namentlich aber Lisaweta Prokofjewna, ihn vergnügt an. »Da habt ihr ihn ja nett examiniert!« rief sie. »Ja, meine verehrten Damen, ihr dachtet, ihr würdet ihn wie einen armen Schlucker protegieren, und nun hat er selbst euch nur zur Not für eine seiner würdige Gesellschaft erklärt und noch dazu gleich vorher angekündigt, daß er nur selten herkommen werde. Seht ihr wohl, da sind wir nun, worüber ich mich freue, die Blamierten, und am allermeisten Iwan Fjodorowitsch. Bravo, Fürst! Wir hatten vorhin die Weisung erhalten, wir sollten Sie examinieren. Was Sie aber von meinem Gesicht sagten, das ist durchaus richtig: ich bin ein Kind und weiß das. Ich habe es schon früher gewußt als Sie, und Sie haben nur meine eigene Ansicht in knapper Form zum Ausdruck gebracht. Ich meine, daß Ihr Charakter mit dem meinigen völlig übereinstimmt, und freue mich sehr darüber; die beiden sind sich ähnlich wie ein Ei dem andern. Nur sind Sie ein Mann und ich eine Frau, auch bin ich nicht in der Schweiz gewesen; das ist der ganze Unterschied.«
»Sachte, sachte, Mama!« rief Aglaja. »Der Fürst sagt ja, daß er bei all seinen freimütigen Auseinander setzungen eine besondere Absicht hatte und nicht ohne Hintergedanken gesprochen hat.«
»Ja, ja!« stimmten ihr die andern lachend bei.
»Zieht ihn nicht auf, liebe Kinder; es wird vielleicht noch so herauskommen, daß er schlauer ist als ihr alle drei zusammen. Ihr werdet ja sehen. Aber warum haben Sie nichts von Aglaja gesagt, Fürst? Aglaja wartet darauf, und ich ebenfalls.«
»Ich kann im Augenblick nichts über sie sagen. Ich werde es später tun.«
»Warum denn? Sie scheint doch eine eigenartige Persönlichkeit zu sein.«
»Oh ja, das ist sie. Sie sind eine hervorragende Schönheit, Aglaja Iwanowna. Sie sind so schön, daß man sich ordentlich fürchtet, Sie anzusehen.«
»Ist das alles? Und ihre Eigenschaften?« setzte ihm die Generalin hartnäckig zu.
»Über die Schönheit ist schwer zu urteilen; ich bin noch nicht so weit, daß ich meine Ansicht aussprechen könnte. Die Schönheit ist ein Rätsel.«
»Damit haben Sie Aglaja ein Rätsel aufgegeben«, sagte Adelaida. »Nun rate einmal, Aglaja! Aber schön ist sie, Fürst; nicht wahr?«
»Außerordentlich schön!« antwortete der Fürst lebhaft und blickte Aglaja ganz entzückt an. »Fast so schön wie Nastasja Filippowna, obwohl das Gesicht von ganz anderer Art ist ...!«
Alle sahen einander erstaunt an.
»Wie we-er?« fragte die Generalin gedehnt. »Wie Nastasja Filippowna? Wo haben Sie Nastasja Filippowna gesehen? Was für eine Nastasja Filippowna?«
»Gawrila Ardalionowitsch hat vorhin ihr Bild Iwan Fjodorowitsch gezeigt.«
»Wie? Er hat meinem Mann ihr Porträt gebracht?«
»Nur um es ihm zu zeigen. Nastasja Filippowna hatte ihm heute ihr Bild geschenkt, und da brachte er es her, um es zu zeigen.«
»Ich will es sehen!« rief die Generalin heftig. »Wo ist dieses Bild? Wenn sie es ihm geschenkt hat, so muß er es haben, und er ist gewiß noch im Arbeitszimmer. Er kommt mittwochs immer her, um hier zu arbeiten, und geht nie vor vier Uhr weg. Laßt Gawrila Ardalionowitsch sogleich herrufen! Oder nein! Ich sehne mich nicht übermäßig danach, ihn zu sehen. Tun Sie mir den Gefallen, bester Fürst, gehen Sie in das Arbeitszimmer, lassen Sie sich von ihm das Bild geben und bringen Sie es her! Sagen Sie, ich wolle es gern einmal sehen! Seien Sie so freundlich!«
»Er ist ein guter Mensch, aber doch gar zu einfältig«, sagte Adelaida, als der Fürst hinausgegangen war.
»Ja, gar zu einfältig«, stimmte Alexandra ihr bei, »so daß er sogar ein bißchen komisch erscheint.«
Die eine wie die andere schien das, was sie dachte, nicht vollständig auszusprechen.
»Mit unseren Gesichtern hat er sich übrigens gut aus der Affäre gezogen«, bemerkte Aglaja. »Er hat uns allen geschmeichelt, sogar unserer Mama.«
»Bitte, keine Spötteleien!« rief die Generalin. »Er hat nicht geschmeichelt, sondern ich fühle mich geschmeichelt.«
»Meinst du, daß er sich nur aus der Affäre ziehen wollte?« fragte Adelaida.
»Mir scheint, er ist gar nicht so einfältig«, versetzte Aglaja.
»Was redet ihr da!« ereiferte sich die Generalin. »Meiner Ansicht nach seid ihr noch komischer als er. Er ist ein schlichter Mensch und hat seinen Kopf für sich, selbstverständlich im besten Sinne. Ganz wie ich.«
»Es war gewiß eine Dummheit, daß ich mir das von dem Bild entschlüpfen ließ«, sagte sich der Fürst, während er nach dem Arbeitszimmer ging, und fühlte dabei einige Gewissensbisse. »Aber ... vielleicht habe ich gut daran getan, daß ich davon anfing ...«
Es ging ihm ein sonderbarer, noch nicht ganz klarer Gedanke durch den Kopf.
Gawrila Ardalionowitsch saß noch im Arbeitszimmer und war in seine Papiere vertieft. Er schien in der Tat sein Gehalt von der Aktiengesellschaft nicht ohne Gegenleistung zu beziehen. Er wurde furchtbar verlegen, als der Fürst nach dem Bild fragte und erzählte, auf welche Weise die Damen von diesem Bild etwas erfahren hatten. »Donnerwetter! Wozu brauchten Sie davon zu schwatzen?« rief er in grimmigem Ärger. »Sie verstehen ja nichts davon ... So ein Idiot!« murmelte er vor sich hin. »Verzeihung, ich habe es gesagt, ohne mir etwas dabei zu denken. Das Gespräch kam zufällig darauf. Ich sagte, Aglaja sei fast ebenso schön wie Nastasja