»Selbstverständlich, Mama, wenn wir mit ihm keine Umstände zu machen brauchen«, sagte Alexandra, die Älteste. »Überdies wird er von seiner Reise hungrig sein; warum sollen wir ihm da nicht etwas zu essen geben, wenn er nicht weiß, wo er bleiben soll?«
»Und obendrein ist er das reine Kind; man kann mit ihm noch Blindekuh spielen.«
»Blindekuh spielen? Wieso?«
»Ach, Mama, hören Sie doch, bitte, auf, sich so anzustellen!« unterbrach Aglaja sie ärgerlich.
Die Mittlere, Adelaida, ein lachlustiges Ding, konnte sich nicht länger halten und lachte los.
»Rufen Sie ihn her, Papa; Mama erlaubt es«, entschied Aglaja. Der General klingelte und gab Befehl, den Fürsten zu rufen.
»Aber nur unter der Bedingung, daß ihm jedenfalls eine Serviette um den Hals gebunden wird, wenn er sich an den Tisch setzt«, erklärte die Generalin. »Ruft Fjodor oder Mawra ... es soll einer hinter ihm stehen und auf ihn aufpassen, wenn er ißt. Verhält er sich denn wenigstens ruhig, wenn er seine Anfälle bekommt? Schlägt er nicht mit den Armen um sich?«
»Er ist sogar im Gegenteil sehr wohlerzogen und hat sehr gute Manieren. Etwas zu naiv ist er manchmal ... Aber da ist er ja selbst! Hier stelle ich euch den Fürsten Myschkin vor, den Letzten dieses Geschlechts, einen Namensvetter und vielleicht sogar Verwandten; nehmt ihn freundlich auf! Es findet gleich das Frühstück statt, Fürst; erweisen Sie uns also die Ehre ...! Mich aber entschuldigen Sie, bitte; ich habe mich schon verspätet und muß mich beeilen ...«
»Man weiß schon, wohin Sie es so eilig haben«, sagte die Generalin würdevoll.
»Ich muß eilen, ich muß eilen, liebe Frau; ich habe mich schon verspätet. Gebt ihm auch eure Alben, mesdames, damit er euch etwas hineinschreibt; er ist ein Kalligraph, wie man ihn selten findet, ein wahres Talent! Dort bei mir in meinem Arbeitszimmer hat er in altertümlicher Schrift geschrieben: ›Der Abt Pafnuti hat dies eigenhändig unterzeichnet‹ ... Nun, auf Wiedersehen!«
»Pafnuti? Abt? So warten Sie doch, warten Sie doch, wohin wollen Sie denn, und was ist das für ein Pafnuti?« rief die Generalin eigensinnig, ärgerlich und beinah in Aufregung ihrem davoneilenden Gatten nach.
»Ja, ja, liebe Frau, das war so ein Abt in alten Zeiten ... Aber ich muß zum Grafen; er wartet auf mich, schon lange; und vor allen Dingen: er hat mir die Zeit selbst bestimmt ... Auf Wiedersehen, Fürst!«
Der General entfernte sich mit schnellen Schritten.
»Ich weiß, zu welchem Grafen er es so eilig hat!« bemerkte Lisaweta Prokofjewna in scharfem Ton und lenkte gereizt ihre Blicke auf den Fürsten. »Ja, was war doch gleich?« begann sie, indem sie sich mürrisch und ärgerlich zu erinnern suchte. »Wovon redeten wir nur? Ach ja: was war das für ein Abt?«
»Mama!« begann Alexandra, und Aglaja stampfte sogar mit dem Füßchen.
»Stören Sie mich nicht, Alexandra Iwanowna!« schalt die Generalin, »ich will das auch wissen. Setzen Sie sich, Fürst, da auf diesen Sessel mir gegenüber; nein, hierher, rücken Sie mehr in die Sonne, ins Licht, damit ich Sie sehen kann! Nun also, was war das für ein Abt?«
»Der Abt Pafnuti«, antwortete der Fürst höflich und ernst.
»Pafnuti? Das ist interessant; also was war mit ihm?«
Die Generalin fragte ungeduldig, schnell, in scharfem Ton, ohne die Augen von dem Fürsten wegzuwenden, und als der Fürst antwortete, nickte sie zu jedem seiner Worte mit dem Kopf.
»Der Abt Pafnuti lebte im vierzehnten Jahrhundert«, begann der Fürst. »Er stand einem Kloster an der Wolga vor, in unserem jetzigen Gouvernement Kostroma. Er war durch sein frommes Leben weit und breit bekannt; er reiste auch zur Goldenen Horde, half die damals schwebenden Angelegenheiten ordnen und unterzeichnete ein Schriftstück; von dieser Unterschrift habe ich ein Faksimile gesehen. Die Schrift gefiel mir, und ich übte mich in ihr. Als der General vorhin sehen wollte, wie ich schriebe, um mir eine passende Stellung anzuweisen, schrieb ich einige Sätze in verschiedenen Schriftgattungen nieder und unter anderem auch den Satz ›Der Abt Pafnuti hat dies eigenhändig unterzeichnet‹ in der eigenen Schrift des Abtes Pafnuti. Das gefiel dem General sehr, und so hat er es denn jetzt erwähnt.«
»Aglaja«, sagte die Generalin, »merke es dir: Pafnuti! Oder notiere es dir lieber; ich vergesse dergleichen sonst immer. Übrigens hatte ich gedacht, die Sache würde interessanter sein. Wo ist denn diese Unterschrift?«
»Ich glaube, sie ist im Arbeitszimmer des Generals geblieben, auf dem Tisch.«
»Schickt doch gleich jemand hin und laßt sie herholen!«
»Ich werde sie Ihnen lieber noch einmal schreiben, wenn es Ihnen recht ist.«
»Gewiß, Mama«, sagte Alexandra, »aber jetzt wäre es das beste, wenn wir frühstückten; wir sind hungrig.«
»Auch das«, erwiderte die Generalin. »Kommen Sie, Fürst; haben Sie großen Hunger?«
»Ja, ich habe jetzt allerdings großen Hunger und sage Ihnen meinen besten Dank.«
»Das ist sehr nett, daß Sie so höflich sind, und ich finde, daß Sie überhaupt nicht so ein ... Sonderling sind, wie man Sie uns geschildert hat. Kommen Sie! Setzen Sie sich hierher, mir gegenüber!« sagte sie, als sie ins Eßzimmer gekommen waren, geschäftig und nötigte den Fürsten zum Sitzen, »ich möchte Sie gern ansehen können. Alexandra, Adelaida, sorgt ihr beide für den Fürsten! Nicht wahr, er ist gar nicht so ... krank? Vielleicht ist auch die Vorsichtsmaßregel mit der Serviette nicht nötig ... Hat man Ihnen beim Essen eine Serviette umgebunden, Fürst?«
»Früher, als ich etwa sieben Jahre alt war, hat man das wohl getan; aber jetzt lege ich mir die Serviette gewöhnlich auf die Knie, wenn ich esse.«
»So ist das auch in der Ordnung. Und Ihre Anfälle?«
»Anfälle?« fragte der Fürst ein wenig verwundert. »Anfälle kommen jetzt bei mir nur sehr selten vor. Übrigens, ich weiß nicht, es wird mir gesagt, das hiesige Klima werde mir schädlich sein.«
»Er spricht gut«, bemerkte die Generalin, zu ihren Töchtern gewendet; sie nickte immer noch zu jedem Wort des Fürsten mit dem Kopf, »ich hatte das gar nicht erwartet. Es war also wie gewöhnlich nur dummes Zeug und Unwahrheit. Essen Sie, Fürst, und erzählen Sie, wo Sie geboren und wo Sie erzogen sind! Ich möchte alles wissen; Sie interessieren mich ganz außerordentlich.«
Der Fürst bedankte sich, und während er mit großem Appetit aß, begann er von neuem all das mitzuteilen, wovon er an diesem Morgen schon mehrmals zu reden Anlaß gehabt hatte. Die Generalin zeigte sich immer mehr befriedigt. Auch die jungen Damen hörten recht aufmerksam zu. Man suchte die Verwandtschaft festzustellen, wobei sich herausstellte, daß der Fürst seinen Stammbaum ziemlich gut im Kopf hatte; aber trotz aller Bemühung wollte sich zwischen ihm und der Generalin keinerlei Verwandtschaft ergeben. Nur zwischen den beiderseitigen Großvätern und Großmüttern hätte sich allenfalls eine entfernte Verwandtschaft annehmen lassen. Dieser trockene Gesprächsstoff gefiel der Generalin ganz ausnehmend, da sie fast nie Gelegenheit hatte, von ihrem Stammbaum zu sprechen, obwohl sie es sehr gern tat, und als sie vom Tisch aufstand, befand sie sich infolgedessen in angeregter Stimmung.
»Wir wollen alle in unser sogenanntes Klublokal gehen«, sagte sie, »und auch der Kaffee soll dorthin gebracht werden.« »Wir haben ein solches gemeinsames Zimmer«, wandte sie sich an den Fürsten, den sie führte, »es ist ganz einfach mein kleiner Salon, wo wir, wenn kein Besuch da ist, uns zusammenfinden und eine jede von uns sich in ihrer Weise beschäftigt: Alexandra hier, meine älteste Tochter, spielt Klavier oder liest oder stickt; Adelaida malt Landschaften und Porträts (sie wird nur leider mit nichts fertig), und Aglaja sitzt da und tut nichts. Mir geht die Arbeit ebenfalls nicht vonstatten; es kommt nichts Ordentliches dabei heraus. Nun, sehen Sie, da sind wir; setzen