Der Idiot. Fjodor Dostojewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fjodor Dostojewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754188651
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Sie entschieden sich dafür, es zuerst mit den mildesten Mitteln zu versuchen und sozusagen nur die edelsten Saiten in Nastasjas Filippownas Herzen anzuschlagen. Beide fuhren zu ihr, und Tozki begann geradezu mit der Erklärung, seine Lage sei ihm unerträglich geworden; er gestand, daß er selbst an allem schuld sei, sprach es offen aus, daß er nicht umhin könne, sein früheres Verhalten gegen sie zu bereuen; aber er sei eben ein eingefleischter Genußmensch und habe sich selbst nicht in der Gewalt. Jetzt aber wolle er sich verheiraten, und das ganze Schicksal dieser im höchsten Grade wohlanständigen, noblen Ehe liege in ihren Händen; kurz, er erwarte alles von ihrem Edelmut. Dann begann in seiner Eigenschaft als Vater General Jepantschin zu reden; er sprach verstandesmäßig, unter Vermeidung des rührende Elements, erwähnte nur, daß er durchaus ihre Berechtigung anerkenne, über Afanasi Iwanowitschs Schicksal zu entscheiden, und paradierte geschickt mit seiner eigenen Demut, indem er darauf hinwies, daß das Schicksal seiner Tochter, ja vielleicht auch das seiner beiden anderen Töchter, jetzt von ihrer Entscheidung abhänge. Auf Nastasja Filippownas Frage, was man denn eigentlich von ihr verlange, gestand ihr Tozki mit der gleichen, ganz unverhüllten Offenheit wie vorher, er habe vor fünf Jahren einen solchen Schreck über sie bekommen, daß er sich auch jetzt nicht eher ganz beruhigen könne, als bis sich Nastasja Filippowna selbst mit irgend jemand verheirate. Er fügte sogleich hinzu, diese Bitte würde von seiner Seite natürlich ungehörig sein, wenn er nicht in betreff derselben gewisse Unterlagen hätte. Er habe sehr wohl bemerkt und wisse mit Bestimmtheit, daß ein junger Mann von sehr guter Herkunft, der mit seinen höchst achtungswerten Angehörigen zusammenlebe, nämlich Gawrila Ardalionowitsch Iwolgin, den sie ja ebenfalls kenne und bei sich empfange, sie schon seit langem mit aller Kraft der Leidenschaft liebe und gewiß sein halbes Leben für die bloße Hoffnung, ihre Neigung zu erwerben, hingeben würde. Dieses Geständnis habe ihm, dem Redenden, Gawrila Ardalionowitsch selbst gemacht, und zwar schon vor längerer Zeit, aus Freundschaft und im Drang seines reinen, jugendlichen Herzens; auch Iwan Fjodorowitsch, der ein Gönner des jungen Mannes sei, wisse darum schon lange. Ja, auch ihr selbst sei, wenn er, Afanasi Iwanowitsch, nicht irre, die Liebe des jungen Mannes schon längst bekannt, und es scheine ihm sogar, daß sie diese Liebe wohlwollend ansehe. Selbstverständlich sei es ihm ganz besonders peinlich, von alledem zu reden. Aber wenn sie seiner Versicherung Glauben schenken wolle, daß in seinem Herzen neben dem egoistischen Wunsch, sein eigenes Glück zu zimmern, auch der Wunsch für ihr Wohlergehen lebendig sei, dann werde sie begreifen, daß er schon lange mit Befremden und mit schmerzlicher Empfindung ihre Vereinsamung gesehen habe; sie bewege sich da in einem undefinierbaren Dunkel und wolle nicht an eine mögliche Erneuerung ihres Lebens glauben, das doch in der Liebe und im Familienglück eine Auferstehung erfahren und auf diese Weise ein neues Ziel gewinnen könne. So, wie sie jetzt lebe, werde sie ihre vielleicht glänzenden Fähigkeiten zugrunde richten; sie liebäugle aus freien Stücken mit ihrem Gram und gebe sich einer romanhaften Überspannung hin, die weder ihres klaren Verstandes noch ihres edlen Herzens würdig sei. Er wiederholte noch einmal, niemand könne es peinlicher sein, davon zu reden, als ihm, und schloß, er könne nicht die Hoffnung aufgeben, daß Nastasja Filippowna ihm nicht mit Verachtung antworten werde, wenn er ihr seinen aufrichtigen Wunsch ausspreche, ihr Geschick für die Zukunft sicherzustellen, und ihr eine Summe von fünfundsiebzigtausend Rubeln anbiete. Er fügte zur Erklärung hinzu, die Summe sei ihr unter allen Umständen bereits in seinem Testament zugedacht; kurz, es handle sich hier ganz und gar nicht um irgendwelche Entschädigung. Warum wolle sie schließlich nicht glauben, daß er den vom menschlichen Standpunkt verständlichen Wunsch habe, wenigstens irgendwie sein Gewissen zu erleichtern, usw., usw. Und so brachte er alles vor, was eben in ähnlichen Fällen über dieses Thema gesagt zu werden pflegt. Afanasi Iwanowitsch sprach lange und mit Aufgebot seiner ganzen Redekunst; dabei ließ er noch so en passant die interessante Bemerkung einfließen, daß er von diesen fünfundsiebzigtausend Rubeln jetzt zum erstenmal habe ein Wort fallenlassen, und daß selbst der hier danebensitzende Iwan Fjodorowitsch bisher nicht davon gewußt habe; kurz, daß niemand etwas davon wisse.

      Nastasja Filippownas Antwort setzte die beiden Freunde in Erstaunen.

      Da war nicht die geringste Spur von ihrer früheren Spottlust, Feindseligkeit und haßerfüllten Gesinnung, keine Spur von jenem früheren Lachen, von dem immer noch bei der bloßen Erinnerung dem armen Tozki ein kalter Schauer über den Rücken lief. Nein, ganz im Gegenteil: sie schien sich sogar darüber zu freuen, daß sie endlich mit jemand offenherzig und freundschaftlich reden könne. Sie gestand, daß sie selbst schon lange gewünscht habe, um einen freundschaftlichen Rat zu bitten; nur ihr Stolz habe sie davon zurückgehalten; aber jetzt, wo das Eis gebrochen sei, könne ihr nichts erwünschter sein. Anfangs mit einem traurigen Lächeln, dann aber mit heiterem, munterem Lachen gestand sie, daß von ihrem früheren stürmischen Wesen jedenfalls nichts mehr übrig geblieben sei; schon längst habe sie ihre Ansichten über die Dinge teilweise geändert, und obwohl sie im Herzen dieselbe geblieben sei, so müsse sie doch sehr vieles als vollendete Tatsache anerkennen; was geschehen sei, sei geschehen; was vergangen sei, sei vergangen; daher erscheine es ihr sogar seltsam, daß Afanasi Iwanowitsch immer noch ängstlich sei. Dann wandte sie sich an Iwan Fjodorowitsch und erklärte ihm mit einer Miene, die die größte Hochachtung zum Ausdruck brachte, sie habe schon längst sehr viel von seinen Töchtern gehört und sei schon lange gewohnt, sie aufrichtig hochzuschätzen. Schon der bloße Gedanke, daß sie imstande sei, ihnen irgendwie zu nützen, mache sie glücklich und stolz. Es sei richtig, daß sie sich jetzt sehr bedrückt und einsam fühle, sehr einsam; Afanasi Iwanowitsch habe ihre Empfindungen erraten; sie habe allerdings den Wunsch, wenn auch nicht durch die Liebe, so doch durch den Besitz einer eigenen Familie ein neues Leben zu beginnen und sich eines neuen Ziels bewußt zu werden; aber was Gawrila Ardalionowitsch angehe, so könne sie in die ser Hinsicht fast noch gar nichts sagen. Es habe ja freilich den Anschein, daß er sie liebe, und sie fühle, daß es ihr möglich sein würde, auch ihrerseits ihn liebzugewinnen, wenn sie auf die Beständigkeit seiner Zuneigung vertrauen dürfe; aber auch wenn sie an seine Aufrichtigkeit glauben wolle, sei er doch noch sehr jung; da sei es für sie schwer, einen Entschluß zu fassen. Was ihr übrigens am meisten an ihm gefalle, sei, daß er eifrig arbeite und allein die ganze Familie unterhalte. Sie habe gehört, daß er ein energischer Mann sei, der seinen eigenen Wert kenne, Karriere machen und sich vorwärtsbringen wolle. Sie habe auch gehört, daß Nina Alexandrowna Iwolgina, Gawrila Ardalionowitschs Mutter, eine vortreffliche, höchst achtungswerte Frau sei und seine Schwester Warwara Ardalionowna ein sehr interessantes, energisches Mädchen; sie habe viel über sie von Herrn Ptizyn gehört. Sie habe gehört, daß die beiden Damen ihr unglückliches Schicksal heldenmütig ertrügen; sie wünsche sehr, ihre Bekanntschaft zu machen; aber es sei noch die Frage, ob diese sie freudig in ihre Familie aufnehmen würden. Alles zusammengefaßt, sage sie nichts gegen die Möglichkeit dieser Ehe; aber das bedürfe noch längerer Überlegung, und sie wünsche nicht, daß man sie dränge. Was die fünfundsiebzigtausend Rubel anlange, so habe sich Afanasi Iwanowitsch unnötigerweise soviel Mühe gegeben, darüber zu reden. Sie kenne selbst den Wert des Geldes und werde die Summe natürlich annehmen. Sie danke Afanasi Iwanowitsch für sein Zartgefühl, daß er nicht nur Gawrila Ardalionowitsch gegenüber, sondern auch dem General gegenüber nicht davon gesprochen habe, wiewohl eigentlich kein Grund vorhanden sei, weshalb der erstere davon nicht vorher Kenntnis haben solle. Wenn sie in seine Familie eintrete, so habe sie keinen Anlaß, sich dieses Geldes zu schämen. Jedenfalls beabsichtige sie nicht, irgend jemand wegen irgend etwas um Verzeihung zu bitten, und wünsche, daß das alle wüßten. Sie werde Gawrila Ardalionowitsch nicht eher heiraten, als bis sie die Überzeugung gewonnen habe, daß weder er noch seine Angehörigen irgendwelche verheimlichten Ansichten über sie hegten. Jedenfalls meine sie, daß sie an nichts eine Schuld trage; und es wäre sehr gut, wenn Gawrila Ardalionowitsch erführe, in welcher Art sie diese ganzen fünf Jahre hindurch in Petersburg gelebt, in welchen Beziehungen sie während dieser Zeit zu Afanasi Iwanowitsch gestanden und ob sie viel Vermögen angesammelt habe. Wenn sie schließlich das Kapital jetzt annehme, so sehe sie es durchaus nicht als eine Bezahlung für den Verlust ihrer jungfräulichen Ehre an, an dem sie keine Schuld trage, sondern einfach als eine Entschädigung für das Leben, das ihr dadurch verdorben worden sei.

      Sie geriet sogar (was übrigens nur natürlich war) bei all diesen Auseinandersetzungen so in Hitze und Erregung, daß General Jepantschin sehr zufrieden war und die Sache für erledigt hielt; aber Tozki, der nun einmal ängstlich geworden war,