Fjodor Dostojewski: Hauptwerke. Fjodor Dostojewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fjodor Dostojewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754189153
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ist gewiß schon geschehen«, bemerkte Ganja.

      Warja stand auf, um zu Nina Alexandrowna nach oben zu gehen, blieb aber dann noch stehen und blickte ihren Bruder aufmerksam an.

      »Wer kann es aber gewesen sein, der es ihr gesagt hat?«

      »Wahrscheinlich Ippolit. Ich denke mir, er hat sich sofort, nachdem er zu uns übergesiedelt ist, eine Freude daraus gemacht, es der Mutter zu berichten.«

      »Aber woher weiß er es denn? Das sag mir, bitte! Der Fürst und Lebedjew haben sich vorgenommen, es niemandem zu sagen; auch Kolja weiß nichts davon.«

      »Ippolit? Der hat es von selbst erfahren. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was das für eine listige Kreatur ist, was für ein Klatschweib, und was er für eine feine Nase hat, um alles Schlechte und Skandalöse zu wittern. Na, magst du es glauben oder nicht, ich bin überzeugt, daß er Aglaja schon ganz in seinen Händen hat! Und wenn es ihm noch nicht gelungen ist, so wird es ihm bald gelingen! Auch Rogoschin ist zu ihm in Beziehung getreten. Wie ist es nur möglich, daß der Fürst das nicht merkt! Und jetzt hat er die größte Lust, mich hineinzulegen! Er hält mich für seinen persönlichen Feind; das habe ich längst durchschaut. Woher nur? Und was hat er hier noch vor? Er wird ja bald sterben; ich kann es nicht begreifen! Aber ich werde ihn hinters Licht führen; du wirst sehen, daß nicht er mich hineinlegt, sondern ich ihn.«

      »Warum hast du ihn denn zu uns herübergelockt, wenn du ihn so haßt? Und ist er das überhaupt wert, daß du ihn hineinlegst?«

      »Du bist es ja gewesen, die mir geraten hat, ihn zu uns herüberzulocken.«

      »Ich glaubte, er würde uns nützlich sein; aber weißt du, daß er sich jetzt selbst in Aglaja verliebt hat und an sie geschrieben hat? Sie haben mich danach befragt ... vielleicht hat er auch an Lisaweta Prokofjewna geschrieben.«

      »In dieser Hinsicht ist er nicht gefährlich!« sagte Ganja, boshaft lachend. »Übrigens ist da sicherlich etwas nicht in Ordnung. Daß er verliebt ist, ist gut möglich; denn er ist ein unreifer Bube! Aber ... anonyme Briefe wird er der Alten nicht schreiben. Eine boshafte, wertlose, selbstzufriedene Mittelmäßigkeit, das ist seine Charakteristik ... Ich bin überzeugt, ja, ich weiß sicher, daß er mich ihr als einen Intriganten geschildert hat; das ist das erste gewesen, was er getan hat. Ich muß bekennen, ich bin zuerst dumm genug gewesen, mich etwas vor ihm aufzuknöpfen; ich meinte, er werde, schon um sich an dem Fürsten zu rächen, für meine Interessen eintreten; er ist eine so listige Kreatur! Oh, ich habe ihn jetzt völlig durchschaut. Von diesem Diebstahl aber hat er durch seine eigene Mutter, die Hauptmannsfrau, gehört. Wenn der Alte sich zu einer solchen Tat hat entschließen können, so hat er es um der Hauptmannsfrau willen getan. Der Junge hat mir auf einmal ohne äußeren Anlaß mitgeteilt, der General habe seiner Mutter vierhundert Rubel versprochen; das hat er mir ohne äußeren Anlaß gesagt und ohne alle Umschweife. Da ist mir alles klargeworden. Und dabei hat er mir mit einem ganz besonderen Genuß in die Augen gesehen; und unserer Mama hat er es sicherlich ebenfalls gesagt, nur weil es ihm Vergnügen macht, ihr das Herz zu zerreißen. Und sage mir um alles in der Welt, warum stirbt er nicht? Er hat sich doch verpflichtet, in drei Wochen zu sterben, und nun hat er hier noch angefangen, dick zu werden! Er hört auf zu husten; gestern abend hat er selbst gesagt, er habe seit zwei Tagen kein Blut mehr gehustet.«

      »Jage ihn weg!«

      »Ich hasse ihn nicht, ich verachte ihn«, erwiderte Ganja stolz. »Nun ja, ja, ich gebe zu, daß ich ihn auch hasse!« rief er dann plötzlich in maßloser Wut. »Und das werde ich ihm ins Gesicht sagen, wenn er auf seinem Sterbebett im Verscheiden liegen wird! Wenn du seine Beichte gelesen hättest – o Gott, was für eine naive Frechheit! Das ist ja der Leutnant Pirogow in der Färbung der Trägödie, und vor allen Dingen ein unreifer Bube! Oh, mit welchem Genuß hätte ich ihn damals durchgeprügelt, namentlich um ihn in Erstaunen zu versetzen! Jetzt rächt er sich an allen dafür, daß ihm sein Selbstmord damals nicht gelungen ist ... Aber was ist das? Das ist ja schon wieder Spektakel! Ja, was hat denn das zu bedeuten? Ich kann das schließlich doch nicht länger dulden. Ptizyn!« rief er dem ins Zimmer tretenden Ptizyn zu. »Was ist denn das? Wie weit wird denn dieser Unfug bei uns noch gehen? Das ... das ...«

      Aber der Lärm kam schnell näher; die Tür wurde aufgerissen, und der alte Iwolgin, vor Zorn dunkelrot und zitternd, stürzte ganz außer sich ebenfalls auf Ptizyn los. Dem Alten folgten Nina Alexandrowna, Kolja und hinter allen Ippolit.

      Ippolit war schon vor fünf Tagen in Ptizyns Haus übergesiedelt. Das hatte sich in ganz natürlicher Weise so gemacht, ohne viele Worte und ohne irgendwelches Zerwürfnis zwischen ihm und dem Fürsten; sie hatten sich nicht gezankt, sondern waren sogar äußerlich als gute Freunde voneinander geschieden. Gawrila Ardalionowitsch, der an dem damaligen Abend eine so feindliche Haltung gegen Ippolit angenommen hatte, war schon am dritten Tag nach jenem Ereignis gekommen, um den Kranken zu besuchen, wobei er sich wahrscheinlich durch irgendeinen Einfall, der ihm plötzlich gekommen war, leiten ließ. Aus irgendeinem Grund hatte auch Rogoschin angefangen, dem Kranken Besuche zu machen. Der Fürst war in der ersten Zeit der Meinung gewesen, daß es für den »armen Knaben« sogar das beste sein würde, wenn er aus seinem Haus wegzöge. Aber schon während seines Umzugs hatte sich Ippolit dahin geäußert, er siedele zu Ptizyn über, »der so freundlich sei, ihm Unterkunft zu gewähren«, und hatte wie mit Absicht niemals gesagt, er ziehe zu Ganja, obgleich gerade Ganja darauf gedrungen hatte, daß er ins Haus aufgenommen wurde. Ganja hatte das gleich damals beachtet, es übelgenommen und sich ins Gedächtnis eingeprägt.

      Er hatte recht, als er zu seiner Schwester sagte, daß der Kranke sich erholt habe. Tatsächlich ging es Ippolit etwas besser als vorher, was man ihm auf den ersten Blick ansehen konnte. Er trat langsam in das Zimmer ein, hinter den andern, mit einem spöttischen, häßlichen Lächeln auf dem Gesicht. Nina Alexandrowna sah sehr erschrocken aus. (Sie hatte sich im letzten halben Jahr sehr verändert, indem sie stark abgemagert war; seit sie ihre Tochter verheiratet hatte und zu ihr gezogen war, hatte sie fast ganz aufgehört, sich äußerlich in die Angelegenheiten ihrer Kinder hineinzumischen.) Koljas Miene war sorgenvoll und zeigte eine verständnislose Verwunderung; er begriff vieles von den »irren Reden« des Generals nicht, wie er sich ausdrückte, und das war auch natürlich, da er die Hauptursachen dieser neuen Aufregung in der Familie nicht kannte. Aber es war ihm klar, daß der Vater jetzt stündlich und überall dermaßen krakeelte und sich auf einmal so stark verändert hatte, daß man meinen konnte, er sei ein ganz anderer Mensch geworden wie früher. Es beunruhigte ihn auch, daß der Alte in den letzten drei Tagen ganz aufgehört hatte zu trinken. Er wußte, daß er sich mit Lebedjew und dem Fürsten veruneinigt und sogar gezankt hatte. Kolja war soeben mit einem halben Stof Branntwein nach Hause zurückgekehrt, das er für sein eigenes Geld gekauft hatte.

      »Wirklich, Mama«, hatte er noch oben zu Nina Alexandrowna gesagt, »wirklich, mag er lieber trinken! Er hat jetzt schon seit drei Tagen keinen Branntwein angerührt; er muß einen stillen Kummer haben. Wirklich, wir wollen ihn lieber trinken lassen; ich habe ihm ja auch ins Schuldgefängnis Branntwein gebracht ...«

      Der General öffnete die Tür sperrangelweit und stellte sich, zitternd vor Entrüstung, auf die Schwelle.

      »Mein Herr!« schrie er mit donnernder Stimme seinem Schwiegersohn Ptizyn zu. »Wenn Sie tatsächlich beschlossen haben, einen achtungswerten alten Mann, Ihren Vater, das heißt wenigstens den Vater Ihrer Frau, der seinem Kaiser treu gedient hat, so einem Milchbart und Atheisten aufzuopfern, so wird mein Fuß von dieser Stunde an die Schwelle Ihres Hauses nie wieder betreten. Wählen Sie, mein Herr, wählen Sie unverzüglich: entweder ich oder dieser ... dieser Bohrer! Ja, dieser Bohrer! Der Ausdruck ist mir zufällig in den Mund gekommen; aber dieser Mensch ist ein Bohrer! Denn er bohrt in meiner Seele herum wie ein Bohrer, ohne allen Respekt ... ja, wie ein Bohrer!«

      »Bin ich nicht eher ein Pfropfenzieher?« fragte Ippolit.

      »Nein, kein Pfropfenzieher; denn du hast einen General vor dir und keine Flasche. Ich besitze Orden und Ehrenzeichen; aber du, du hast nichts, gar nichts. Entweder er oder ich! Entscheiden Sie sich, mein Herr, sofort, sofort!«