Fjodor Dostojewski: Hauptwerke. Fjodor Dostojewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fjodor Dostojewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754189153
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      »Es wäre wirklich das beste, wenn Sie sich schlafen legten«, murmelte Ptizyn, der ganz betäubt war.

      »Er droht noch!« sagte Ganja halblaut zu seiner Schwester.

      »Schlafen legen!« schrie der General. »Ich bin nicht betrunken, mein Herr; Sie beleidigen mich. Ich sehe«, fuhr er, wieder aufstehend, fort, »ich sehe, daß hier alle gegen mich sind, alle. Genug! Ich werde fortgehen ... Aber wissen Sie, mein Herr, wissen Sie ...«

      Man ließ ihn nicht zu Ende reden und veranlaßte ihn, sich wieder hinzusetzen; man bat ihn, sich zu beruhigen. Ganja ging wütend in eine Ecke. Nina Alexandrowna zitterte und weinte.

      »Aber was habe ich ihm denn getan? Worüber beklagt er sich denn?« rief Ippolit grinsend.

      »Sie hätten ihm nichts getan?« sagte Nina Alexandrowna. »Es ist von Ihnen eine besondere Schändlichkeit und Unmenschlichkeit, einen alten Mann zu quälen ... und noch dazu in Ihrer Lage.«

      »Erstens, von welcher Art ist denn meine Lage? Ich schätze Sie, gerade Sie persönlich, sehr hoch; aber ...«

      »Er ist ein Bohrer!« schrie der General; »er bohrt in meiner Seele und in meinem Herzen herum! Er will, daß ich an den Atheismus glauben soll! Wisse, du Milchbart, daß ich schon mit Ehren überschüttet war, als du noch gar nicht geboren warst! Du bist weiter nichts als ein neidischer Wurm, der in zwei Stücke zerrissen ist und hustet ... und vor Bosheit und Unglauben stirbt ... Warum hat dich Ganja bloß hierher gebracht? Alle sind sie gegen mich, von den Fremden angefangen bis zu meinem eigenen Sohn!«

      »So hören Sie doch auf mit dem falschen Pathos!« rief Ganja. »Sie sollten nicht in der ganzen Stadt Schande über uns bringen; das wäre besser!«

      »Wie? Ich bringe Schande über dich, du Milchbart? Über dich? Ich kann dir nur Ehre bringen, aber keine Unehre!« Er schrie und ließ sich nicht mehr halten; aber auch Gawrila Ardalionowitsch hatte offenbar alle Selbstbeherrschung verloren.

      »Sie reden noch von Ehre!« rief er boshaft.

      »Was hast du gesagt?« donnerte der General, der blaß wurde und einen Schritt auf ihn zu trat.

      »Ich brauche ja nur den Mund aufzutun, um ...«, schrie Ganja, ohne den Satz zu Ende zu sprechen.

      Beide standen einander gegenüber; sie zitterten vor Wut, besonders Ganja.

      »Ganja, was sprichst du da!« rief Nina Alexandrowna und stürzte auf ihren Sohn zu, um ihn aufzuhalten.

      »So ein törichtes Gerede von allen Seiten!« sagte Warja entrüstet in scharfem Ton. »Hören Sie auf, Mama!« fügte sie hinzu und faßte ihre Mutter an.

      »Ich schone Sie nur um der Mutter willen!« rief Ganja pathetisch.

      »Rede!« brüllte der General in höchster Wut. »Rede! Ich befehle es unter Androhung meines väterlichen Fluches ... Rede!«

      »Na, ich werde mich auch gerade vor Ihrem Fluch fürchten! Wer ist denn daran schuld, daß Sie seit acht Tagen wie verrückt sind? Seit acht Tagen; Sie sehen, ich weiß alles genau nach dem Datum ... Nehmen Sie sich in acht, und treiben Sie mich nicht zum Äußersten; sonst sage ich alles ... Warum haben Sie sich denn gestern zu Jepantschins begeben? Und da nennt er sich noch einen alten Mann, spricht von seinen grauen Haaren und spielt sich als Familienvater auf! Ein netter Patron!«

      »Schweig still, Ganja!« rief Kolja. »Schweig still, du Dummkopf!«

      »Aber womit habe ich, ich ihn denn beleidigt?« fragte Ippolit hartnäckig, immer noch in demselben spöttischen Ton. »Warum nennt er mich einen Bohrer, wie Sie selbst gehört haben? Er hat sich selbst an mich herangemacht; er kam soeben zu mir und fing an, von einem Hauptmann Jeropegow zu sprechen. Ich wünsche überhaupt nicht, mit Ihnen zu verkehren, General; ich bin Ihnen schon früher aus dem Weg gegangen, wie Sie selbst wissen. Sagen Sie selbst: was geht mich der Hauptmann Jeropegow an? Um des Hauptmanns Jeropegow willen bin ich nicht hierher gezogen. Ich habe ihm nur laut meine Meinung ausgesprochen, daß dieser Hauptmann Jeropegow vielleicht überhaupt niemals existiert hat. Und da hat er einen Höllenlärm gemacht.«

      »Zweifellos hat er nicht existiert!« sagte Ganja in scharfem Ton.

      Der General stand wie betäubt und blickte nur gedankenlos rings um sich. Die Worte seines Sohnes verblüfften ihn durch ihre ungewöhnliche Offenheit. Im ersten Augenblick konnte er gar keine Worte finden. Erst als Ippolit über Ganjas Antwort laut auflachte und rief: »Na, nun haben Sie es gehört, Ihr eigener Sohn sagt auch, daß es keinen Hauptmann Jeropegow gegeben hat«, erst da murmelte der Alte endlich, ganz verwirrt:

      »Kapiton Jeropegow, nicht Hauptmann ... Kapiton ... Oberstleutnant a.D., Jeropegow ... Kapiton.«

      »Auch diesen Kapiton hat es nicht gegeben!« rief Ganja, der ganz grimmig geworden war.

      »Aber ... warum soll es ihn nicht gegeben haben?« murmelte der General, dem die Röte ins Gesicht stieg.

      »So lassen Sie es doch gut sein!« sagten Ptizyn und Warja beschwichtigend zu ihm.

      »Schweig still, Ganja!« rief Kolja wieder.

      Aber der Umstand, daß sich jemand seiner annahm, hatte die Wirkung, den General wieder zu beleben.

      »Wieso soll es ihn nicht gegeben haben? Warum soll er nicht existiert haben?« fuhr er seinen Sohn zornig an.

      »Ganz einfach, weil er nicht existiert hat. Er hat eben nicht existiert und kann überhaupt nicht existiert haben. Da haben Sie es! Lassen Sie mich in Ruhe, sage ich!«

      »Und das ist mein Sohn ... das ist mein leiblicher Sohn, den ich ... o Gott! Jeropegow, Jerofei Jeropegow soll nicht existiert haben!«

      »Na, da sieht man's, bald heißt er Jerofei, bald Kapiton!« warf Ippolit dazwischen.

      »Kapiton, mein Herr, Kapiton, nicht Jerofei! Kapiton, Kapiton Alexejewitsch, hören Sie wohl, Kapiton ... Oberstleutnant ... a. D.... er heiratete Marja ... Marja ... Petrowna Su ... Su ... er war mein Freund und Kamerad ... seine Frau war eine geborene Sutugowa; er heiratete sie, als er noch Fähnrich war! Ich habe mein Blut für ihn vergossen, ihn mit meinem Leib gedeckt ... er ist gefallen. Und nun soll Kapiton Jeropegow nicht existiert haben, nicht auf der Welt gewesen sein!«

      Nach der Wut, mit der der General schrie, hätte man denken können, es handle sich um etwas weit Wichtigeres, wodurch er zu solchem Geschrei veranlaßt werde. Und wirklich hätte er zu anderer Zeit gewiß weit stärkere Beleidigungen, als es die Bemerkung über Kapiton Jeropegows Nichtexistenz war, ertragen; er hätte wohl ein bißchen Geschrei erhoben, hätte eine Szene gemacht, wäre außer sich gewesen, wäre aber doch schließlich nach seinem Zimmer hinaufgegangen, um sich schlafen zu legen. Aber das Menschenherz ist ein sonderbares Ding: jetzt traf es sich, daß gerade eine verhältnismäßig so geringe Kränkung wie der Zweifel an Jeropegows Existenz das Gefäß zum Überlaufen bringen mußte. Der Alte wurde purpurrot, hob die Arme in die Höhe und schrie:

      »Genug! Mein Fluch ... hinaus aus diesem Haus! Nikolai, bring meine Reisetasche; ich gehe ... ich will fort!«

      Eilig, im höchsten Zorn, ging er hinaus. Nina Alexandrowna, Kolja und Ptizyn stürzten ihm nach.

      »Na, was hast du jetzt angerichtet!« sagte Warja zu ihrem Bruder. »Er wird am Ende wieder dorthin gehen. Welche Schande! Welche Schande!«

      »Er hätte nicht stehlen sollen!« schrie Ganja, der beinah vor Ingrimm erstickte; plötzlich begegnete sein Blick dem Blick Ippolits, und Ganja fing fast an zu zittern. »Sie aber, mein Herr«, schrie er, »sollten nicht vergessen, daß Sie hier in einem fremden Haus sind und ... Gastfreundschaft genießen, und sollten nicht einen alten Mann reizen, der offenbar den Verstand verloren hat ...«

      Ippolit war ebenfalls zusammengefahren, hatte aber sofort die Herrschaft über sich wiedergewonnen.

      »Ich kann Ihnen doch nicht ganz zustimmen, wenn Sie meinen, daß Ihr Papa den Verstand verloren hat«, antwortete er ruhig. »Es scheint