Ich sollte zwar die Einzelheiten noch mit der Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein (WAK), die die praktische Ausführung des Projekts durchführte, durchsprechen, aber man würde den dortigen Mitarbeiter schon im Vorfeld über die neue Sachlage informieren, sodass dieser vorbereitet war.
Der Schwedischkurs sollte am Montag, den 18. September, losgehen. Eine Woche vorher, am Montag den 11. September, war mein Termin bei der WAK, worauf noch in der gleichen Woche die Vermittlungsbemühungen losgehen sollten.
Der Montag und der Dienstag vergingen für Carola und mich wie im Flug. Wir fuhren auch mal wieder an die Ostsee, gingen viel spazieren und besuchten unsere Stammkneipe „Carrickfergus“. Nachts genossen wir die große neue Matratze. Wir unterhielten uns intensiv darüber, dass ich alles daransetzen sollte und würde, um in Hannover einen Job zu finden. Carola hoffte und drückte die Daumen, dass unsere gemeinsame Zukunft klappen würde. Sie wollte mich nicht, genauso wie ich sie nicht, an Schweden verlieren.
Am Mittwoch früh konnte Carola ihre Abreise, sie musste wieder nach Hannover, da sie jetzt die Einrichtung der Praxisräume beenden musste, nicht mehr hinausschieben. Bereits kurz nach vier stand sie auf, duschte kurz und verabschiedete sich von mir. Es half nichts, sie musste die letzten Sachen erledigen, damit die Abnahme der Praxis, durch die entsprechende Behörde, mit Erfolg durchgeführt werden konnte. Sie gab mir, der noch im Halbschlaf im Bett lag, einen dicken Kuss, als sie die Wohnung verlassen wollte.
„Bleib doch noch.“
Carola lachte. „Das geht nicht. Ich muss nach Hannover, sonst bekommen wir keine Abnahme. Und stell dich nicht so an. Du kommst ja schon übermorgen fürs Wochenende nach Hannover. Sorge inzwischen dafür, dass die WAK keinen Mist macht.“
„Das wird schon klargehen“, murmelte ich im Halbschlaf.
Dann war Carola weg.
Bei meinem Treffen mit dem WAK-Mitarbeiter ging alles glatt über die Bühne. Man hatte sich bereits mit einem privaten Personalvermittler in Verbindung gesetzt, der für mich in Hannover auf Jobsuche gehen sollte. Eigentlich fand ich das, was man für mich hier anstellte, herausgeschmissenes Geld, also Steuerverschwendung. Man gab sich riesige Mühe, um mich in Hannover zu vermitteln. Das fand ich zwar ganz toll, aber es wurde dadurch, auch wenn die Aktion ordentlich Steuergelder kostete, kein einziger zusätzlicher Arbeitsplatz geschaffen. Bekam ich in Hannover einen Job, hieße das nur, dass man viel Geld ausgegeben hat, um mir, der in Lübeck wohnte, einen Job zu vermitteln, den sonst ein Hannoveraner, durch die völlig normale Vermittlungsbemühung der ARGE-Hannover, hätte bekommen können, und der jetzt leer ausging. Ich schätzte, dass die ganze Aktion Profil 300, es wurde, sich ja nicht nur um mich gekümmert, sicher einige Hunderttausend Euro kosten würde. Dafür hätte man in Lübeck schon den einen oder anderen Meter Straße sanieren können, und damit nicht nur echte Arbeitsplätze geschaffen, bzw. sichern können, sondern man hätte auch etwas sehr dringendes geleistet. Lübeck hat es wirklich bitter nötig, dass die Straßen saniert werden, damit die notwendige kommunale Infrastruktur erhalten bleibt.
Aber ich wollte mich nicht beschweren. Der Topf war nun einmal bereitgestellt, und wenn ich nicht aus ihm schlabbern würde, würde es ein anderer tun. Und egal, wie ich über den Sinn und Unsinn der Ausgaben dachte, am Freitag fuhr ich mit dem Zug nach Hannover und freute mich schon darauf Carola in die Arme zu nehmen und ihr freudestrahlend zu erzählen, dass sich alle nur noch damit beschäftigten, mich in Hannover unterzubringen, und niemand sich mehr um Schweden kümmerte.
Auf dem Bahnsteig des Hauptbahnhofs Hannover, wo Carola mich abholen wollte, war keine Carola zu sehen. Auch in der großen Halle, ich wusste ja nun schon bereits, dass Carola stürmische Begrüßungen am Bahnsteig, direkt am Zug, nicht unbedingt mochte, fand ich keine Carola. Zum Glück war diesmal wenigstens mein Handy aufgeladen. Ich klingelte sie an:
„Ich steh hier heulend, einsam und verlassen, mitten auf dem großen Bahnhof. Ich weiß nicht wohin, und es ist keine Tante da, die mich abholt.“
„Wo bist du“, fragte Carola lachend.
Ich schaute mich schnell um.
„ÄÄhh. Moment mal. Hinter mir ist ein Mc.Donalds.“
„Dann weiß ich, wo du bist. Warte mal da. Wir sind gleich bei dir.“
Schon kurz drauf sah ich Carola, freudestrahlend über alle vier Backen grinsend, mit ihrer Tochter in meine Richtung laufen. Man sah ihr an, dass sie mich vermisst hat, auch wenn sie selbst noch am Mittwoch gelästert hatte, dass wir uns doch schon in zwei Tagen wieder sehen würden. Die Begrüßung war stürmisch. – Wow, es ging also doch. Carolas Tochter verdrehte die Augen, als Carola und ich uns gegenseitig die Zunge in den Mund steckten. Ich nahm meinen Rucksack, den ich vor dem Telefongespräch abgesetzt hatte, und wir bummelten Hand in Hand zu ihrem Wagen.
Bei ihr zu Hause stellte Carola mich ihrer Mitbewohnerin und Partnerin, der im Werden befindlichen Praxis, Britta vor. Wir verbrachten einen gemütlichen Küchen-Rotwein-Abend, der aber nicht bis in die Puppen ging, da am nächsten Tag noch in der Praxis gearbeitet werden musste.
Carola wollte mir unbedingt, voller Stolz die Praxis zeigen, die ich na klar auch sehen wollte. Außerdem musste an Nachmittag noch für das Wochenende eingekauft werden. Die Wände der Praxis waren bereits frisch tapeziert und angemalt. Jetzt hieß es, die Räume ihrer Bestimmung entsprechend einzurichten.
Auch wenn ich das alles ganz toll fand, irritierte mich Carolas Verhalten. Sie war völlig anders als in Lübeck, oder wie sie es auch noch gestern, bei der Begrüßung im Bahnhof gewesen war. In Lübeck war sie nicht nur für jede Zärtlichkeit, die ich ihr gegenüber zeigte, zu haben gewesen. Sie selbst hatte oft von sich aus, auch in kleinen Gesten, Zärtlichkeit gezeigt und gesucht. Wollte meine Hand halten, streichelte mit geschlossenen Augen, nur um ihn zu spüren, meinen Kopf, gab Küsschen. Oft kleine „zufällige“ Berührungen, wollte oft in den Arm genommen werden. Hier in der Praxis, wie auch bereits in ihrer Wohnung war sie sehr zurückhaltend. Ich hatte das gleich gespürt, als wir gestern in der Wohnung eingetroffen waren. Am Bahnhof und auf der Fahrt zur Wohnung war Carola richtig aufgekratzt gewesen. Sobald wir in der Wohnung angekommen waren, wurde sie zurückhaltend, ja richtig distanziert. Wobei auch schon in Lübeck Carola immer so distanziert gewesen war, wenn Bekannte von ihr sich in Sichtweite aufhielten. Als ob Carola sich scheute, vor ihnen ihre Gefühle mir gegenüber zu zeigen, sie sich ihrer Gefühle schämte.
Am Abend gab es wieder einen gemütlichen Küchenabend mit Rotwein. Zum Ausgehen hatte niemand Geld über, und wir wollten außerdem auch früh ins Bett. Am nächsten Tag feierte Britta Geburtstag, da musste noch einiges vorbereitet werden, und wer weiß, wie lange die Feier dann dauern würde. Etwas vorschlafen war da gar nicht so falsch.
Den Samstagvormittag verbrachten wir hauptsächlich damit Brittas Geburtstagsfeier vorzubereiten, bis dann am Nachmittag die ersten Gäste kamen. Das erste Paar war, wie ich erfuhr, auch erst relativ kurz zusammen. Sie war von Britta und Carola eine nähere Freundin, die die beiden in den letzten Monaten hier gefunden haben, er war sozusagen, wie ich, ein Anhängsel, der, außer seiner eigenen Freundin, niemand kannte. Sobald die beiden eingetroffen waren, wurde Carola mir gegenüber noch zurückhaltender, als sie es sowieso schon gewesen war. Jetzt verhielt sie sich mir gegenüber, als ob ich nur ein entfernter Bekannter von ihr wäre, den sie, da ich nun einmal zufällig in der Nähe gewesen war, einfach mal so kurz, weil die Kaffeemaschine sowieso gerade lief, auf einen Kaffee eingeladen hat. Da hatte es der neu Angekommene besser. Auch wenn die drei Frauen miteinander quatschten, bekam er seine regelmäßigen Streicheleinheiten und leicht angedeutete Zuneigung von seiner neuen Freundin, während Carola mich kaum beachtete,