Du weißt doch, Frauen taugen nichts. Berthold Kogge. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Berthold Kogge
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844254457
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Einwohnern, Touristen nicht eingerechnet, war der Ort auch übersichtlich. Trotz der geringen Einwohnerzahl war Jokkmokk mit Einrichtungen gesegnet, wie sie ein Ort dieser Größe in Deutschland nicht hat. In Lappland gehört Jokkmokk zu den „großen“ Orten. Jokkmokk ist sozusagen ein Schwerpunktort.

      Am nächsten Morgen fuhr der Bus so früh in Richtung Gällivare, dass ich nicht mehr die Zeit hatte, auf gut Glück einfach mal bei der örtlichen „Arbetsförmedling“ vorbei zu schauen, um mich schon einmal unverbindlich nach Arbeitsmöglichkeiten zu erkundigen. Aber ich packte die Zeitung „Framtid i Jokkmokk“ ein. Mal sehen, was die Mitarbeiter des Projektes „Profil 300“ dazu sagen würden.

      Aber wie wird das dann mit Carola? Jokkmokk lag in Nordschweden, da war es schon von vornherein klar, dass die Beziehung nicht halten würde. Bei dem Gedanken wurde mir mulmig im Magen. Egal wie ich mich entscheiden würde, ich würde etwas verlieren. Entschied ich mich für Schweden, wenn es denn überhaupt klappen würde, würde ich Carola verlieren.

      Entschied ich mich für Carola, müsste ich die Aktion bei der ARGE abblasen. Mit welchen rechtlichen Konsequenzen, sollte ich mich auf einmal quer stellen, gerade nachdem ich auch noch so gedrängt hatte, um in das Projekt hereinzukommen, war mir auch nicht klar.

      Durfte ich überhaupt wegen einer Beziehung, die gerade einmal, wenn man die Urlaubsreise nicht mit rechnete, drei Wochen existierte, meine berufliche Zukunft infrage stellen?

      Das hier war Jokkmokk, und nicht Seattle. Ich war auch nicht Tom Hanks, der seinem leicht überaktiven kleinen Sohn nach New York hinterher flog, um eine durchgeknallte Reporterin auf dem Empire State Building in die Arme zu schließen.

      Und ich war auch nicht Harrison Ford als abgehalfterter Pilot, der nur noch Interesse an Alkohol und eine schnelle Nummer hatte, und dann mit einer überkandidelten Modedesignerin eine Bruchlandung auf einer einsamen Insel hinlegt, sechs Tage und sieben Nächte sich gegen die Frau und gegen Piraten wehren muss, und danach, schlabberig, wie er war, auf dem Flugplatz die durchgestylte Tussi in die Arme nimmt, und erklärt, sein ganzes Leben für sie ändern zu wollen.

      In Hollywood wurde dann immer mit einem großen „Ende“ abgeblendet. Und niemand erfuhr, ob die Sache, trotz der verschiedenen Welten in der die Teilnehmer lebten, wirklich gut ging.

      Und das hier war nicht Hollywood. Hier wurde nicht nach einer tollen Urlaubsreise, die Frau auf dem Bahnhof in die Arme genommen, die Drehbuchautoren von „Schlaflos in Seattle“ und „Sechs Tage sieben Nächte“, wären von der Szene begeistert gewesen, beide schworen, sich niemals mehr zu trennen, nicht einmal getrennt in den Urlaub zu fahren, um sich dann dort auf dem Bahnsteig, eng umschlungen ab zu knutschen, während die Kamera langsam zurück, über den Bahnsteig aus dem Bahnhof fährt, und dann in einen blauen Himmel schwenkt, wo, in Form eines weißen Wolkengebildes, ein großes „Ende“ erscheint.

      Anderseits stellte sich aber auch die Frage genau in die andere Richtung. Konnte ich mich von Carola ganz bewusst trennen, und mit Liebeskummer in Jokkmokk eine neue Zukunft aufbauen? Könnte ich mich dort vernünftig auf einen neuen Arbeitsplatz konzentrieren, mich in die Umgebung einleben, wenn mir Carola fehlen würde.

      Wie dachte eigentlich Carola darüber? Sie hatte mir E-Mails geschickt, die ganz klar zeigten, dass sie mich haben wollte. Anderseits war sie begeistert, dass die ARGE mir die Möglichkeit einräumte, mit ihrer Unterstützung mich in Schweden zu bewerben. War Carola nicht bewusst, dass beides, Schweden für mich, und für sie eine Beziehung mit mir, nicht machbar ist? Oder hatte sie das Problem, genauso wie ich bis jetzt, einfach verdrängt?

       Wie schon geschrieben. Ich war weder Tom Hanks noch Harrison Ford, und niemand schrie „Schnitt“. Aber die wahre Bahnhofszene hätten wir sowieso noch einmal wiederholen müssen. Carola hat sie nämlich versaut. Aus dem gleichen Grund, der sie dazu veranlasste, in der Öffentlichkeit nie ihre Gefühle zu zeigen. Aber noch war es nicht so weit, da der Bahnhof von Lübeck noch fern war. Noch saß ich in Jokkmokk in dem Bus, um nach Gällivare zu fahren.

      Auch in Gällivare musste ich noch einmal im örtlichen „Vandrarhem“ übernachten. Die Reiseplanung litt eindeutig dadurch, dass ich mir die Zugverbindung nicht selbst aus dem Internet zusammengesucht hatte, sondern beim Kauf der Tickets es dem Mann am Schalter überlassen habe die Züge auszusuchen. Aber das war jetzt nicht mehr zu ändern.

      Zumindest war ich wieder zurück in der Zivilisation. Also holte ich mein Handy aus dem Rucksack, setzte mich in der Nähe des Vandrarhem ins Grüne und versuchte Carola zu erreichen, ihr mitzuteilen, dass ich noch lebe, nicht in einem Fluss ertrunken, von keinem Berg gestürzt, und auch nicht von Lemmingen zerfleischt worden bin. Ich schnupperte schon wieder Zivilisation und war auf dem Weg zu ihr. Leider erzählte mir mein Handy, dass ich nicht mehr genug Guthaben auf meiner Handykarte, für einen Anruf nach Deutschland hatte. Ich hatte versäumt, mir vor der Fahrt noch genügend Nachschlag zu kaufen. Also musste ich mit einem Lebenszeichen warten, bis ich sie in die Arme nehmen konnte. Das würde noch ungefähr achtundvierzig Stunden dauern.

      Gällivare, Boden, Stockholm, Malmö, Kopenhagen, die Sundfähre von Rödby nach Puttgarden. Alles klappte, obwohl der Zug von Boden nach Stockholm fast eine viertel Stunde Verspätung hatte, und mein planmäßiger Aufenthalt in Stockholm daher von fünfundzwanzig Minuten, auf gerade einmal zehn Minuten schrumpfte, und ich, auf dem Stockholmer Bahnhof ankommend, noch nicht einmal wusste, auf welchem Gleis, in diesem weitverzweigten Bahnhof, mein Zug nach Malmö abfahren sollte.

      Endlich näherte ich mich Lübeck. Am Bahnhof eingetroffen, nahm ich meinen Rucksack, der Knuddelelch schaute aus der oberen Rucksacktasche hervor, nur halb auf den Rücken, eilte aus dem Zug, schmiss den Rucksack auf den Bahnsteig, und schaute mich sehnsuchtsvoll, in Erwartung, dass man mich gleich stürmisch umarmen und abknutschen würde, um.

      Aber es war niemand Bekanntes zu sehen, niemand stürmte auf mich zu.

      Puh. Damit hatte ich nicht gerechnet. So stand das nicht in meinem persönlichen Drehbuch. Sie wollte mich hier doch empfangen. War etwas dazwischen gekommen? Wo war sie?

      Enttäuscht schulterte ich meinen Rucksack, ging zur Treppe, die nach oben zu der Bahnsteigüberquerung führte, und schaute mich weiter nach Carola um. Endlich sah ich sie. Sie stand auf dem oberen Treppenabsatz und lachte mir zu. Mit einem breiten Grinsen stürzte ich auf sie zu, umarmte und küsste sie.

      „Da bist du ja. Und ich dachte schon, du hättest mich versetzt“, grinste ich sie an.

      „Wieso?“

      „Na ja, eigentlich hatte ich mir vorgestellt, dass du gleich auf mich zu stürmst, sobald ich aus dem Zug gestiegen bin, und mich ordentlich abknutscht.“

      „So was mach ich in der Öffentlichkeit nicht.“

      „Schade. Hast du mich wenigstens vermisst?“

      „Ganz doll.“

      Na das war doch wenigstens etwas. Ich nahm sie bei der Hand, schlenkerte ihren und meine Arm voller Übermut nach vorne und hinten, während wir zum Ausgang gingen.

      Zum Glück war Carola mit ihrem Wagen zum Bahnhof gekommen. Mit dem Rucksack und mit meinem, sicher nicht ganz zivilisierten Aussehen, wollte ich nicht unbedingt durch die Lübecker Altstadt laufen. Ich war nicht mehr in Jokkmokk, Gällivare oder auf dem Bahnhof von Stockholm, wo man am Anblick von leicht verschmutzten Wanderern, die gerade aus der Wildnis kamen, gewöhnt war. Und außerdem hatte ich inzwischen das dringende Bedürfnis schnell unter meine Dusche zu springen.

      Wir fuhren in meinen Stadtteil. Die paar Meter, vom Parkplatz zu meiner Wohnung, wollte Carola unbedingt meinen Rucksack tragen. Obwohl kaum noch Lebensmittel in ihm steckten, wog er sicherlich noch so seine zwanzig Kilo, also ein ganz anderes Kaliber, als ihr Rucksack, der nur Klamotten enthielt, wenn sie aus Hannover zu kommen pflegte. Aber ihr Wunsch war mir Befehl, und zu gehen, ohne das Gewicht des Gepäcks auf den Rücken zu spüren, hatte ich in den letzten Wochen nur sehr selten genießen können.

      Zu Hause angekommen gab es noch einmal, ohne Zuschauer, eine kräftige Begrüßung unter uns. Dann stopfte ich schnell die erste Runde dreckiger und stinkiger Wäsche in die Waschmaschine, damit deren