„Ich habe nicht gesagt, dass Sie was damit zu tun haben. Der Gedanke wurde soeben von Ihnen selbst in den Raum gestellt.“
„Ich habe den Eindruck, Sie wollen mich veralbern. Na ja. Fast wäre ich auf Sie hereingefallen. Sie erinnern mich an Spürmann, der warf auch oft mit undurchsichtigen Bemerkungen um sich.“
„Ihr werdet euch doch nicht streiten“, lachte Leni. „Wir wollen heute Abend nur etwas entspannen. Lasst uns den Dienst vergessen. Reden wir von was Anderem.“
„Wovon?“, fragte Lauheim schnippisch. „Es wird ja doch alles falsch aufgefasst. Reden wir vom Hochwald-Ruwer-Radweg, werden Vorwürfe über wegeführende Schikanen laut, reden wir über leerstehende Häuser im Ort, verfolgt uns die Angst, dass eine Sekte dort einzieht.
„Wir können aber auch über den historischen Bahnhof reden“, warf Leni ein.“
„Warum gerade über den?“ Lauheim zog die Stirn in Falten und sah Leni mit zusammengekniffenen Augen an.
„Sie versprachen doch die Präsentation von ein oder zwei Waggons, die auf den Schienen vor dem Bahnhof platziert werden sollen. Wann ist es denn so weit?“
„Da kann ich Ihnen Hoffnung machen“, antwortete Lauheim und seine Stimme hatte etwas Freudiges. „In zwei bis drei Wochen stehen sie auf den Schienenteilen. Und ich habe auch schon Besonderes damit vor. Ich werde darin eine kulturelle Informations-Station einrichten. Das wird ein voller Erfolg und wieder einmal ein Fortschritt für die Gemeinde, nicht wahr, Detlef?“
„Was ist los?“ Hildebrandt schien sich in keiner Weise an dem inhaltsleeren Gespräch beteiligen zu wollen und tat zumindest so, als habe er nicht zugehört.
„Die Gemeinde, du als Ortsbürgermeister, ihr werdet ein Fest veranstalten am Bahnhof.“
„Aus welchem Grund?“
„Na, wenn die Waggons aufgestellt werden. So etwas geschieht nicht alle Tage.“
„Falls es überhaupt geschieht.“ Hildebrandt trank sein Bier aus und gab Lissy ein Zeichen, worauf sie ihm ein neues zapfte.
„Ich habe Hunger“, sagte Leni und wandte sich zu Lissy. „Hähnchen-Flügel? Hast du welche?“
Lissy grinste. „Ich nicht. Aber in der Küche liegen noch ein paar.“
Leni sah Overbeck an. „Für dich auch eine Portion? Musst du unbedingt probieren.“
„Wenn du es sagst.“
„Also zwei Mal, Lissy. Und noch zwei Bier.“
„Für mich ein alkoholfreies“, rief Overbeck in Richtung Theke und zu Leni gewandt, frotzelte er: „Oder möchtest du, dass ich heute bei dir übernachte?“
Leni verkniff sich eine Antwort und auch Overbeck erhielt keine Gelegenheit mehr, sein Angebot zu vertiefen. Pastor Schaeflein betrat das Hochwald-Stübchen.
„Sie wollen Ihre letzten Tage bei uns wohl noch auskosten“, rief Lauheim, als Schaeflein auf den Stammtisch zusteuerte.
„Vergessen Sie das mit den letzten Tagen“, antwortete Schaeflein, der sich seines schwarzen Jacketts entledigte und es über die Stuhllehne hängte. Seinen Krempenhut, ohne den man den Gottesmann kaum zu Gesicht bekam, legte er vor sich auf den Tisch.
„Vergessen?“ Lauheim verstand nicht.
„Aus den wenigen Tagen, die ich glaubte, hier noch verbringen zu müssen, ist inzwischen ein halbes Jahr geworden. Das Bistum hat kein Potential, um einen neuen Pfarrer nach hier zu beordern. Sie können froh sein, dass Forstenau so groß ist. Kleine Orte müssen heute ohne eigenen Pastor auskommen.“
„Das bedeutet …“
„Dass wir uns gegenseitig noch eine Weile ertragen müssen. Aber Sie werden es überleben.“
„Aber Herr Pfarrer! Was sollen diese Worte?“ Lissy war an den Tisch getreten, in jeder Hand einen Teller mit dampfenden Hähnchen-Flügeln haltend. „Sie wissen doch, dass jeder hier im Ort Sie mochte.“
„Sehen Sie, Sie sagen es selbst: mochte. Ich bin in Ihren Augen schon Vergangenheit.“
„Sie wissen selbst, dass das nicht stimmt“, wehrte sich Lissy und es klang ehrlich entrüstet. „Wir alle hier mögen Sie. Was darf ich Ihnen zu trinken bringen?“
„Ein Gläschen Wein, bitte. Na, die Herrschaften von der Kripo? Sie müssen der Nachfolger von Heiner Spürmann sein. Herzlich willkommen an diesem Stammtisch. Sie werden doch Stammtisch-Mitglied, jetzt, da Spürmann das Weite gesucht hat?“ Schaeflein kicherte und sogar dabei wippte sein dicker Bauch auf und ab.
Bevor Overbeck antworten konnte und darüber war er eigentlich froh, setzte Schaeflein seine Tirade fort.
„Sie kommen sicher gerade aus unserer schönen Nachbarstadt Hermeskeil. Das sind ja schlimme Dinge, die da passieren. Was ist das nur für eine Welt? Sodom und Gomorrha.“ Der Pastor schüttelte den Kopf und nahm einen Schluck aus seinem Weinglas. „Können wir hier in Forstenau sicher sein? Was ist, wenn dieser Mörder hier bei uns zuschlägt?“
„Warum sollte er weitere Morde begehen?“, fragte Leni, die sich über die Bemerkung des Pastors wunderte. Was wusste er und woher?
„Man hört so einiges“, sagte Schaeflein. Als er Lenis Blick sah, winkte er ab. „Keine Angst, ich werde keine Gerüchte verbreiten. Ich werde beten für uns alle, dass es bei dieser einen Tat bleibt.“
In die nun folgende Stille glaubte man die Gedanken Lauheims ticken zu hören. Da meldete sich Overbecks Handy. Er hörte kurz zu, was sein Gegenüber zu sagen hatte, sah Leni an und erhob sich.
„Wir müssen uns leider verabschieden. Der Dienst ruft. Kommst du, Leni?“
„Habe ich mit meiner Bemerkung etwa den Teufel herbeigerufen?“, rief Schaeflein den beiden nach. Dann schloss sich die Gaststättentür hinter ihnen.
„Was ist los?“, fragte Leni. Hat man den Täter gefasst?“
„Nein, Leni, nein. Genau das Gegenteil ist der Fall. Unser Rächer hat wieder zugeschlagen.“
Kapitel 18
„Was ist das hier für eine gottverdammte Scheiße? Will hier jemand mit uns Katz und Maus spielen“, brüllte Overbeck. „Oder ist es ein Zufall, dass genau an derselben Stelle, wo man Dellmann das Gesicht eingeschlagen hat, ein weiterer Toter liegt?“
„Wenn er nicht anders gekleidet wäre, könnte man meinen, man habe Dellmann wieder hier abgelegt“, sagte Leni, die den Blick nicht von dem Toten wenden konnte, mit einem rauen Klang in der Kehle. „Das Gesicht ist wie bei Dellmann bis zur Unkenntlichkeit eingeschlagen. Aber das bestätigt doch nur unsere These“, sinnierte sie. „Da gibt es jemanden, der sehr aktiv auf einem Rachefeldzug ist. Wir müssen diesen Menschen fassen, sonst sehen wir uns ein drittes Mal an dieser Stelle wieder.“
„Und warten auf das letzte, das vierte Opfer, ja, ja. Wir werden die beiden unter Polizeischutz stellen müssen. Kollegen gibt es ja genug“, rief Overbeck sarkastisch, als er sich über den Toten beugte und sich ein Paar Gummihandschuhe überstreifte. Dann drehte er sich wieder zu Leni um. „Und die Landespolitik will über 300 Stellen im Polizeidienst streichen. Das wäre doch auch einmal einen Rachefeldzug wert. Theoretiker, alles Theoretiker, die sich von den Menschen, die es angeht, nichts sagen lassen. Aber sie werden ihre Quittung erhalten. Solche Dinge tut man nicht ungestraft. Mangelnde Aufklärung und eingeschränkter Dienst am Bürger, das wird das Ergebnis sein. Ich darf nicht darüber nachdenken, sonst muss ich kotzen.“
„Na, nun übertreib` mal nicht“, versuchte Leni, Overbeck wieder auf den Boden der Vernunft zu holen. „Kümmern wir uns um den da. Wer hat den Toten gefunden“, fragte sie und sah um sich. Zwei junge uniformierte Kollegen der Schutzpolizei Hermeskeil -Leni hatte sie noch nie gesehen-