Er legte auf, ohne sich zu erkennen zu geben und blätterte erneut in seinen Akten. Die Namen der Täter von damals waren darin vermerkt. Nicht aber, wo sie zu jenem Zeitpunkt wohnten. Dann fasste er einen Entschluss.
Eine Stunde später stand er einem uniformierten Polizisten der Hermeskeiler Inspektion gegenüber. Es war ein junger Kollege mit einem runden Bubigesicht, der zum Zeitpunkt der Tat vor 18 Jahren noch nicht im Dienst der Polizei gestanden haben konnte.
„Warten Sie hier“, sagte er und begab sich in einen Nebenraum.
Der Bereitschaftsraum, dachte Satorius. Kurz darauf kam der junge Beamte zurück. „Es gibt einen Kollegen auf der hiesigen Dienststelle, der mit dem Fall vertraut ist“, sagte er.
„Kann ich mit ihm reden?“, fragte Satorius und ein Funke von Hoffnung kam bei ihm auf.
„Kollege Gehweiler ist unterwegs“, sagte der Polizist mit dem Bubi-Gesicht. Satorius überlegte, ob seine Kollegen ihn wohl Babyface nannten.
„Wir hatten hier nämlich einen Mordfall, müssen Sie wissen. Aus diesem Grund ist Gehweiler mit einer Kommissarin von der Kripo unterwegs. Auf Ermittlungen“, fügte er schnell hinzu.
„Sie wissen nicht zufällig, ob es sich bei der Kommissarin um Frau Schiffmann handelt?“
„Ja, Frau Schiffmann, genau. Aber ich kann Ihnen nicht sagen, wann die beiden wiederkommen.“
„Ist schon gut.“
Satorius bedankte sich und verließ die Dienststelle. Er überlegte, ob er hier bis zur Rückkehr der beiden warten oder einige Runden durch die Stadt drehen sollte. Vielleicht würde der Zufall sie ja zusammenführen.
Er sah sich um und entdeckte ein kleines Bistro schräg gegenüber der Dienststelle. Der Inhaber hatte drei Tische mit Stühlen dort aufgebaut. Einer der Tische war besetzt. Satorius hatte sich entschieden.
Gerade, als er seinen zweiten Espresso schlürfte, fuhr ein Polizeiwagen vor. Ein Mann in Uniform und eine Frau in Jeans und heller Bluse stiegen aus.
Satorius erkannte Leni Schiffmann sofort. Er legte einen Geldschein zwischen Tasse und Untertasse und eilte über die Straße.
„Frau Schiffmann.“
Leni drehte sich nach dem Rufer um.
„Ja, bitte?“
„Sie kennen mich nicht mehr, stimmt` s? Mein Name ist Hans Satorius vom Trierischen Volksfreund. Ich habe schon in Trier versucht, Sie zu erreichen …“
„Also ist es wichtig?“ Leni zeigte sich neugierig.
„Für mich ist es wichtig. Dürfte ich Sie einen Augenblick sprechen?“
Leni sah zu Gehweiler hinüber, der das Gespräch mit anhörte.
„Ihr könnt mein Büro haben“, sagte Gehweiler. „Ich habe noch auf der Wache zu tun.“
„Was gibt es denn so Wichtiges?“, fragte Leni wenig später. „Hat die Presse also schon Wind von dem Mord bekommen?“
„Wind bekommen, ich …“
Satorius biss sich auf die Zunge. Er verstand nicht. Von einem Mord hörte er jetzt zum ersten Mal und er wusste nicht einmal, um was für einen Mord es sich handelte. In der Redaktion hatte man ihn nicht informiert.
„Von dem Mord, meinen Sie?“, fragte er drauflos.
„Ja, von dem Mord. Und nun warten Sie schon in Tatortnähe auf den nächsten, oder wie soll ich Ihre Anwesenheit hier in Hermeskeil verstehen?“
Obwohl es nicht Lenis Art war, begann sie sich zu ereifern. Diese Presseleute. Wenn sie etwas in der Nase hatten, waren sie wie Schmeißfliegen. Dann beruhigte sie sich langsam wieder. Der Mord war gestern geschehen. Natürlich hatte die Presse Kenntnis davon. Aber wer hatte über Einzelheiten geplaudert? Darüber, dass möglicherweise weitere Morde geschehen würden?
„Ich weiß nicht, was Sie meinen“, stotterte Satorius. „Ich wollte Sie eigentlich nur um Ihre Hilfe bitten.“
„Ich soll Ihnen also sagen, wie weit unsere Ermittlungen sind, wer das nächste Opfer sein wird und vielleicht wollen Sie ja auch Tatzeit und Tatort genauestens wissen und dann noch möglichst vor der Polizei am Tatort sein.“
Leni stand auf. „Unser Gespräch ist beendet. Guten Tag.“
Langsam erhob sich auch Satorius und schüttelte den Kopf. „Nein, Frau Schiffmann, nein. Nichts von alledem liegt mir im Sinn. Es ist Folgendes: Ich schreibe an einer Story, die mehrere Jahre zurückliegt. Eigentlich hat man mir den Auftrag erteilt, darüber zu schreiben, aber egal. Ich habe mir ganz einfach Hoffnungen gemacht, dass Sie mir irgendwie weiterhelfen können.“
„Wenn Sie irgendwelche Akten einsehen wollen, müssen Sie sich schon an die Staatsanwaltschaft wenden. Ich kann Ihnen da beim besten Willen nicht weiterhelfen.“
„Ich brauche keine Akten“, sagte Satorius resignierend. „Ich wollte lediglich ein paar Tipps, wo ich bestimmte Leute finden kann, die zu einem Interview bereit sind. Die Tat liegt 18 Jahre zurück, da hat sich einiges verändert. Und das Einwohnermeldeamt … Sie wissen ja, der Datenschutz.“
Satorius wandte sich schon zum Gehen, da hielt ihn Lenis Stimme zurück.
„Vor 18 Jahren, sagten Sie. Um welche Tat handelte es sich?“
Satorius Miene hellte sich auf. Schnell zog er die Unterlagen seiner Redaktion aus der Aktentasche und legte sie vor Leni auf den Schreibtisch.
„Es muss eine grauenvolle Tat gewesen sein. Vier Männer überfielen hier in Hermeskeil ein Ehepaar, wobei der Mann erschlagen wurde. Die Frau …“
„Wurde vergewaltigt und brachte sich einige Zeit danach selbst um. Diesen Fall wollen Sie neu aufrollen?“
„Ich möchte keinen Fall neu aufrollen. In der Pressebranche ist es üblich, dem Leser interessante Fälle aus vergangener Zeit wieder zu präsentieren. Zum Beispiel unter dem Motto Was macht eigentlich … oder in ähnlicher Form.
„Wen genau wollen Sie interviewen?“
Lenis Interesse stieg von Minute zu Minute, was Satorius nicht verborgen blieb. „In der Hauptsache die Täter. Und da war doch noch die Tochter des Ehepaares. Ihren Aufenthalt herauszufinden …“
„Die beiden waren kein Ehepaar“, sagte Leni leise. „Und wo sich diese Tochter aufhält, niemand weiß es. Damals hieß es, die Pflegeeltern seien nach Amerika ausgewandert und hätten die Kleine mitgenommen.“
Dann sah sie Satorius direkt an und sagte bestimmt:
„Suchen Sie sich eine andere Story. Ich kann und darf Ihnen nicht weiterhelfen. Um es genau zu sagen: Ich muss Sie bitten, sich von diesem Fall fernzuhalten. Sie behindern unter Umständen polizeiliche Arbeit und bringen Menschen unnütz in Gefahr.“
„Aber …“
„Auf Wiedersehen, Herr Satorius. Und denken Sie daran. Keine Exkursionen in unsere Zuständigkeiten. Es könnte Konsequenzen für Sie haben.“
Kapitel 13
„Noch einen Kaffee, Frau Kollinger?“ Maggie schrak aus ihren Gedanken und sah irritiert in das Gesicht des Wirtes. Franz Leonhard stand vor ihrem Tisch und sah sie freundlich und abwartend an.
„Entschuldigen Sie, was sagten Sie?“, fragte Maggie, die sich langsam wieder in der Gegenwart einfand. Auch dass der Wirt sie mit Frau Kollinger angesprochen wurde, irritierte sie. Es war der Name, mit dem sie sich in der Anmeldung eingetragen hatte, den sie seit 16 Jahren neben ihrem eigentlichen Namen Heidfeld als Doppelnamen führte. Ihre Pflegeeltern wollten es so. Sie selbst konnte sich mit diesem Namen nicht so recht identifizieren.
Du bist