„Sie stört der Geruch?“ Schneider drehte sich zu Overbeck herum. „Ist doch noch erträglich. Die Verwesung hat begonnen, die Zersetzung der Eiweißmoleküle ist nun mal mit Geruch oder auch Gestank verbunden.
Overbeck brannte eine Frage auf den Lippen.
„Was ist, wenn es KO-Tropfen waren? Ich habe irgendwo gelesen, dass ein Nachweis nicht geführt werden kann.“
„Schmarren.“ Schneider wischte die Frage mit einer energischen Handbewegung weg. „Im Blut sind die Stoffe zwar maximal acht Stunden nachweisbar, im Urin 20 Stunden“ referierte er. „Aber die Substanzen können auch noch nach langer Zeit über die Haare nachgewiesen werden. Das Schlimme an den Tropfen ist eigentlich, dass es sich um eine farblose Flüssigkeit handelt, die fast allen Getränken untergemischt werden kann, ohne dass das Opfer dies bemerkt.“
„Also sind sie auch geschmacksneutral.“
Schneider überhörte die Frage. „Verantwortlich dafür ist die Substanz Gammahydroxybuttersäure, kurz GHB genannt. Sie wirkt einschläfernd und muskelentspannend und ihre Wirkung setzt schon nach wenigen Minuten ein. Bei einer geringen Dosis wirken sie berauschend und enthemmend. Bei einer höheren Dosis hingegen wirken die Substanzen einschläfernd, machen erst willenlos und dann bewusstlos!
„Die Verabreichung der Tropfen wird ja nicht am Tatort erfolgt sein“, murmelte Overbeck vor sich hin. Laut fragte er: „Wie lange hält die Wirkung an?“
„Grobe Schätzung? Etwa eine Stunde würde ich sagen. Hängt auch mit der Person des Opfers zusammen. Dieser Mann dort“ -er zeigte auf Dellmann-, „hat eine kräftige Konstitution. Bei ihm wird die Wirkung maximal eine Stunde angehalten haben. Eher weniger.“
„Gehen wir einmal davon aus, dass eine Frau als Täterin infrage kommt, rein hypothetisch, wäre sie in der Lage, ihr willenloses Opfer innerhalb einer gewissen Zeit zu dem späteren Tatort zu bringen? Ich meine, wäre das Opfer in der Lage, sich dagegen zu wehren?“
„Herr Overbeck, Sie wissen doch selbst aus Ihrer dienstlichen Erfahrung, wie es den Frauen ergeht, denen man nachgewiesenermaßen in Diskotheken diese Tropfen verabreicht hat. Bei einer gewissen Dosis wurden sie willenlos, das bedeutet nicht, dass sie bewusstlos wurden. Genauso wird es hier gewesen sein. Die Dosis war offensichtlich ausschlaggebend.“
„Wenn sich der Verdacht auf KO-Tropfen bestätigt“, fügte Overbeck nachdenklich hinzu. Er sah ungeduldig auf seine Uhr. „Sie werden Verständnis haben, dass ich meine Kollegin unterstützen muss“, sagte er schließlich. „Wenn Sie auf mich verzichten können …“
„Ja, gehen Sie nur“, antwortete Schneider und wieder hatte er den väterlichen Blick im Gesicht. „Die Todesursache scheint klar. Tod durch Zerschmettern des frontalen Schädels durch mehr als einen Hieb mit einem offensichtlich abgerundeten Gegenstand. Sie erhalten meinen Bericht.“
Wieder an der frischen Luft atmete Overbeck tief durch und sog den Sauerstoff in seine Lungen. Es war 16 Uhr und immer noch sehr warm. Er wollte Leni anrufen.
„Verdammter Mist. Kein Empfang.“
Er überlegt kurz. Dann machte er sich auf den Weg zum Polizeipräsidium.
Kapitel 11
Die Eigentümer des Hauses, hinter dem Dellmann ermordet wurde, waren keine große Hilfe für Leni und Gehweiler.
„Das Haus steht seit drei Jahren zum Verkauf an“, sagte die Eigentümerin, eine Frau Gelhausen. „Einige Makler haben sich bereits daran versucht. Es ist nicht einfach, in der heutigen Zeit ein Haus zu verkaufen, zumal es nicht den heutigen Ansprüchen genügt. Natürlich wissen wir, was damals dort passiert war. Aber wir haben die Familie Thompson nicht gekannt. Deren Nachbesitzer hat das Haus an mich und meinen Mann verkauft“, antwortete Ehemann Gelhausen auf Lenis Frage. „Der Kaufvertrag müsste noch irgendwo sein. Wollen Sie ihn einsehen?“
Frau Gelhausen machte sich auf die Suche und kam einige Zeit später mit dem Vertrag zurück.
„Friedrich Landauer, ein Industrieller aus dem Ruhrgebiet“ sagte die Frau. „Soweit ich mich erinnern kann, hatte er die Jagd hier irgendwo gepachtet und hat das Haus nur an Wochenenden bewohnt.“
„Sagen Sie“, begann Gehweiler seine Frage langsam und bedächtig, „das Nachbarhaus ... ja, ich weiß, es liegt ein gutes Stück von dem Anwesen entfernt … haben Sie die Leute dort gekannt?“
„Nachbarhaus ist gut. Es liegt fast einen Kilometer entfernt. Aber nein. Die Leute wohnten zu diesem Zeitpunkt nicht mehr dort. Wie man sagte, seien sie nach Amerika ausgewandert. Es tut uns leid, dass wir Ihnen nicht mehr sagen können.“
„Was wissen Sie über die Täter von damals?“
„Was wir über die Täter wissen? Nicht mehr, als die Zeitungen berichtet haben. Hermeskeil ist zwar eine Stadt, aber irgendwo immer noch ein Dorf, verstehen Sie? Die Polizei wird darüber sicherlich mehr wissen. Sie sind doch die Polizei.“
Es klang irgendwie ungeduldig und den beiden war anzusehen, dass sie das Gespräch am liebsten beenden würden. Momentan gab es auch nicht mehr zu klären, deshalb verabschiedeten sich Leni und Gehweiler.
„Jetzt sind wir so weit wie vorher“, sagte Gehweiler resigniert, als sie im Auto saßen. „Was tun wir als Nächstes?“
„Wir sollten die restlichen drei Täter von damals unter die Lupe nehmen“, schlug Leni vor.
„Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist“, wehrte Gehweiler ab. „Bisher ist es doch nur eine Vermutung, dass die Tat in Zusammenhang mit den Morden von vor 18 Jahren steht. Wer weiß, was geschieht, wenn wir jetzt in ein Wespennest stechen. Ich bin der Meinung, dass sich der Tod von Dellmann bis zu seinen ehemaligen Komplizen rundspricht. Wenn sie einen Zusammenhang mit ihren Taten sehen, werden sie sich danach richten.“
„Möglich.“ Leni lehnte sich im Polster des Beifahrersitzes zurück. „Wir können nur hoffen, dass du in diesem Punkt Recht hast.“
Kapitel 12
Hans Satorius hatte sich einen Plan zurechtgelegt. Wenn er über einen längst zu den Akten gelegten journalistischen Fall wieder zum Leben erwachen lassen wollte, dann musste er zurück in die Vergangenheit. Er musste genau wissen, was damals passiert war. Er musste mit Zeitzeugen sprechen, die Artikel seiner Zeitung hinzuziehen und vielleicht würde er ja den einen oder anderen Tipp von der Polizei bekommen. Schließlich war der Fall abgehandelt, die Täter verurteilt und wenn er die Akten richtig studiert hatte, mussten sie inzwischen wieder auf freiem Fuß sein.
Satorius nippte an seinem Kaffee und sah zum Fenster seines Büros hinaus. Im Westen bildeten sich dunkle Wolken. Es würde bald regnen. Die Schwüle der vergangenen Tage forderte ihren Tribut.
Er griff zum Telefon.
„Hauptkommissar Spürmann, bitte.“
Enttäuschung macht sich auf seinem Gesicht breit, als er seinem Gegenüber zuhörte.
„Nein, danke. Schon gut“, sagte er schließlich und legte auf. Spürmann gab es nicht mehr beim Trierer Polizeipräsidium, hatte man ihm zu verstehen gegeben. Zu ihm hatte er stets gute Kontakte gepflegt und man war respektvoll miteinander umgegangen, was im Verhältnis Polizei zur Presse nicht immer der Fall war.
Satorius überlegte kurz. Dann wählte er die Nummer der Kollegin Spürmanns. Marlene Schiffmann hatte er kennengelernt, als er in der Kantine des Polizeipräsidiums zu Mittag gegessen hatte, was hier und da