Ackerblut. Andre Rober. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andre Rober
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748594956
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ins Leere zu sein, doch dann bemerkte sie eine Ver­änderung im Ausdruck ihres Gegenübers. Ein kaum wahrnehmbares Stirnrunzeln, dann wurde ihr Blick fester, so, als ob etwas ihr Interesse erregt hatte, sie aber noch nicht in der Lage war, zu erkennen um was es sich dabei handelte. Neugierig ver­folgte Anke die Nuancen im Mienenspiel des Mädchens, dessen Augen nun eindeutig etwas fixierten. Als die Un­gläubigkeit aus dem Gesicht gewichen war und sich zuneh­mend Entsetzen breitmachte, spürte Anke, dass der Teen­ager ihre Hand förmlich zerquetschte. Sie folgte dem Blick hin zu einer Stelle, die sich um die fünfundzwanzig Meter ent­fernt im Wasser des etwa anderthalb Meter tiefen Gra­bens befand. Erst konnte sie nicht erkennen, was die junge Frau derart erregte. Doch dann erkannte sie die Sohlen zwei­er Stiefel, die in ihre Richtung zeigten. Anke legte die Hand auf den Mund! Was sie zuerst für einen Ast gehalten hatte, in dem sich eine Tüte oder ein Stück Stoff verfangen hatte, identifizierte sie nun als einen Arm, der seltsam abgewinkelt an der Böschung aus dem Wasser her­ausragte. Nun war es eindeutig: Im Wasser lag, mit dem Ge­sicht nach unten, ein menschlicher Körper!

      »Thomas?« Helen Dörr, Gröbers Sekretärin und die gute Seele der Abteilung, steckte den Kopf in den Besprechungs­raum, wo immer noch Bierman, Polocek und Berner bei­sammensaßen und Sarah einen Einblick in die polizeiliche Arbeit in der Breisgaumetropole gaben. Natürlich war auch der ein oder andere Tipp zur Wohnsituation, zu Gastro­nomie oder Freizeitaktivitäten zur Sprache gekommen. Ge­ra­de hatte sich Nico Berner Sarah als ihr persönlicher Be­glei­ter für das städtische Nachtleben angeboten, als das Klop­fen Berner fürs Erste vor der Peinlichkeit einer höf­li­chen aber sehr bestimmten Abfuhr bewahrte.

      »Ja, Helen, was gibt’s?« Bierman unterbrach Berners Rede­fluss mit einer rüden Geste seiner rechten Hand.

      »Wir haben einen Todesfall bei der Großdemo am Flug­platz.« Helen betrat das Besprechungszimmer.

      »Nachdem die Situation eskaliert war und die Menge mit Was­serwerfern aufgelöst wurde, fand sich in einem der Abwas­sergräben eine männliche Leiche. Jetzt werden natürlich die Ru­fe laut, die Einsatzpolizei hätte den Tod verschuldet. Ziem­lich aufgeheizte Stimmung da draußen.«

      Nico Berner verzog das Gesicht, sagte aber nichts. Helen fuhr fort.

      »Das Einsatzteam der Schutzpolizei, das die Demo betreut hat, kommt aus Stuttgart, so dass nichts dagegenspricht, wenn wir die ersten Ermittlungen durchführen. Gröber möch­te, dass du«, sie wandte sich an Bierman, »Frau Han­sen mitnimmst und ihr zwei alles in die Wege leitet.«

      Bierman stand auf.

      »Okay.«

      Er richtete seinen Blick auf Sarah.

      »Sind Sie bereit? Fehlt noch was in Ihrer Ausrüstung?«

      Sarah erhob sich ebenfalls.

      »Meine Waffe habe ich noch nicht, die bekomme ich mor­gen. Ich muss noch auf dem Schießstand den sicheren Um­gang demonstrieren und die erforderlichen Schieß­ergeb­nisse erreichen. Ansonsten bin ich vorbereitet.«

      Sie schob ihren Stuhl an seinen Platz.

      »Aber ich glaube nicht, dass ich sie jetzt brauchen werde, oder?«

      Bierman schüttelte den Kopf.

      »Sicher nicht.«

      Er packte seine Unterlagen zusammen und steckte sie in eine speckige Ledertasche.

      »Und Sie müssen hier nochmal den Umgang mit der Schuss­waffe unter Beweis stellen, obwohl Sie schon in Schles­wig-Holstein bei der Polizei waren? Seltsam.«

      »So wollen es wohl die Vorschriften. Außerdem hatte ich in Schleswig-Holstein die Sig Sauer P225 und hier wird seit kurzem die Heckler und Koch P2000 ausgegeben.«

      Bierman zuckte mit den Schultern.

      »Habe mir auch sofort eine H&K geben lassen, auch wenn die alten P5 weiterbenutzt werden sollten.«

      Er steuerte die Tür an. Sarah folgte ihm aus dem Raum, den er, ohne sich von den anderen zu verabschieden, ver­ließ.

      Neugierig sah Sarah während

      der Fahrt aus dem Wagen. Da Thomas Bierman nicht zum Reden aufgelegt schien, stu­dierte sie die Umgebung. Sie war noch nie in Freiburg ge­wesen, und so beschränkte sich ihr Wissen über die Stadt und den Südschwarzwald auf den Text eines alten Bae­dekers, dessen Auflage ein Copyright aus den späten Acht­zigern aufwies. Die entsprechenden Wikipediaeinträge zu le­sen war ihr zeitlich nicht mehr möglich gewesen, da sie unmittelbar nach Abschluss ihres Falles in Husum die Um­zugsvorbereitungen getroffen hatte. Gestern schließlich, als sie nach nervigen Staus bei Hannover, Kassel und zu­letzt auf der A5 bei Karlsruhe erst bei Dunkelheit in Frei­burg eingetroffen war, konnte sie nicht wie erhofft etwas von der Stadt erkunden. Sie hatte sich von ihrem Garmin Naviga­tionsgerät direkt ins Park Hotel Post leiten lassen. Dies war für die nächsten knapp zweieinhalb Wochen ihre Unter­kunft, denn die hübsche Maisonette, die sie kurzer­hand ohne Besichtigung über einen Makler gekauft hatte, war noch nicht bezugsfertig. Sogar den Münsterturm, der die meisten Gebäude in der Stadt deutlich überragte, hatte sie heute Morgen auf dem Weg zum Präsidium lediglich kurz im Rückspiegel gesehen. Jetzt verrenkte sie sich schier den Hals, um sich zu orientieren, konnte aber nichts Markantes erkennen.

      »In welche Richtung fahren wir?«, fragte sie Bierman.

      »Westen, Richtung Flugplatz.«

      Seine lakonische Antwort ließ nicht auf die Aufnahme ei­ner Konversation hoffen, und so unterließ auch Sarah jeden Versuch, ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Erst als sie von der Straße auf ein sehr weitläufiges, begrüntes Areal bogen und auf eine etwa fünfhundert Meter entfernte Menschen­menge zuhielten, war es Bierman, der die Stille unterbrach.

      »Eine Demo gegen die jüngsten Beschlüsse des Bundes­tages bezüglich Datenvorhaltung, Vernetzung der interna­tionalen Polizei und so.«

      Er wies auf die etwa drei- bis viertausend Demonstranten.

      »Ein Teil von denen hat bestimmt schon bei den Wyhl-De­mos mitgemacht. Freiburg hat eine sehr ausgeprägte De­mon­strationskultur, müssen Sie wissen.«

      Sarah konnte dem Tonfall nicht entnehmen, ob das Gesagte lediglich der reinen Informationsvermittlung diente, oder ob Bierman auch eine bestimmte Wertung zum Ausdruck brachte. Sie sah ihn von der Seite an und entschied sich für ersteres. Angesichts seines fast schon rebellischen Äußeren konnte sie sich nicht vorstellen, dass er den Anliegen und Taten des eher linksalternativen Spektrums mit Res­pektlosigkeit und Sarkasmus begegnete. Ob er überhaupt politisch war? Sie konnte es beim besten Willen nicht sagen.

      Sie erreichten eine Absperrung, hinter der die sichtlich erregten Demonstranten von Einsatzkräften einer Hundertschaft in Schach gehalten wurden. Ein unifor­mier­ter Beamter winkte sie zu sich. Bierman ließ die Seiten­scheibe hinunter und streckte dem Polizisten seinen Aus­weis entgegen.

      »Dort hinten«, sagte der Kollege und deutete in Richtung eines Einsatzwagens, der mit Blaulicht etwa fünfzig Meter entfernt stand. Auf sein Zeichen hoben zwei weitere Beamte das Absperrband und Bierman steuerte im Schritttempo den Fundort an. Durch das offene Seitenfenster konnte Sa­rah auch die Sprechchöre verstehen, die die wütende Men­ge ihnen entgegenbrüllte. Von Datenschutz und Privat­sphäre war allerdings nichts zu hören. Vielmehr hallten ih­nen Sätze wie Polizisten sind Mörder und Nieder mit der Staats­gewalt entgegen. Das Geschehen hatte sich also, wie nicht anders zu erwarten, wie ein Lauffeuer verbreitet. In­nerlich zuckte sie mit den Achseln und auch Bierman schie­nen die verbalen Attacken kalt zu lassen. Von ihren Psycho­logieseminaren wusste sie, wie leicht eine Menschen­an­sammlung, die im gemeinsamen Interesse gebildet wur­de, und die einen gewissen Grad der Emotionalität erreicht hatte, durch einen kleinen Auslöser und geschickte Ver­stär­kung durch einige wenige in eine andere Richtung diri­giert werden konnte. Insofern nahm sie den einzelnen Per­so­nen die verallgemeinerten Angriffe auf sie und ihren Berufstand nicht übel,