Die beiden Männer in dem
schwarzen Land Rover warteten geduldig, bis das Fahrzeug, das ihnen eben am Telefon beschrieben wurde, um die Ecke bog und, die Geschwindigkeitsbegrenzung von 30km/h peinlich genau einhaltend, an ihnen vorbeischlich. Erst als die Fahrerin an der nächsten Kreuzung den Blinker rechts setzte, startete der Mann hinter dem Steuer des Geländewagens den Motor und fuhr los. Nicht dass er damit gerechnet hätte, dass die Fahrerin des vorausfahrenden Wagens ihn sonst bemerkt hätte – sie war ja schließlich kein Profi – aber die Macht der Gewohnheit ließ sich nicht so leicht abschütteln. Ohne sich dem Auto weniger als fünfzig Meter zu nähern, folgte er dem Zielobjekt Richtung Süden. Das Lörracher Kennzeichen ließ darauf schließen, dass die Verfolgte entweder den Weg über den Schauinsland nach Todtnau oder über die Autobahn in Richtung Lörrach einschlagen würde. Beide Strecken boten mehrere Optionen, den Auftrag mit geringem Risiko zu erledigen. Sollte es nicht während der Fahrt gelingen, würden sie die Mitarbeiterin der Rechtsmedizin bis nach Hause verfolgen und dort einen alternativen Plan entwickeln.
»Autobahn«, sagte sein Beifahrer, als der Fiat am Basler Tor rechts auf die Ausfallstraße in Richtung Eugen-Keidel-Bad abbog. Tatsächlich fuhr der Wagen vom Zubringer Süd auf die A5 nach Basel. Außer der Verfolgten war kein Auto zu sehen. Der Fahrer fasste einen Entschluss.
»Wir nehmen eine Notausweiche. Die Rastplätze stehen um diese Zeit voll mit LKW.«
Der Beifahrer nickte und bediente das Navi in der Mittelkonsole.
»In etwa zwölf Kilometern«, sagte er und drehte sich zum Rücksitz. Er öffnete einen Koffer und entnahm ihm eine Polizeikelle. Er testete kurz die Beleuchtung und nickte dem Fahrer aufmunternd zu. Einige Minuten fuhren sie schweigend weiter, dann setzte der Fahrer zum Überholen an. Rechtzeitig vor der Nothaltebucht ließ der Beifahrer die Seitenscheibe hinunter und schwenkte die Kelle, während der Fahrer sukzessive die Geschwindigkeit verringerte. Aufmerksam beobachtete er im Rückspiegel, wie die Fahrerin des Pandas ebenfalls langsamer wurde und ihnen gehorsam über den Seitenstreifen in die Haltebucht folgte. Kaum war der Land Rover zum Stillstand gekommen, stiegen die beiden Männer aus und gingen betont langsam auf den Opel zu. Während der Fahrer so tat, als würde er auf einem Notizblock das Kennzeichen notieren, trat der Beifahrer an die Fahrertür. Das Fenster hatte die Frau bereits heruntergekurbelt, im Schein seiner Taschenlampe meinte der Mann zu erkennen, dass sie leicht nervös, jedoch nicht ängstlich war.
»Sie wissen, warum wir Sie angehalten haben?«
»Um ehrlich zu sein, weiß ich das nicht. Ich habe mich genau an die Geschwindigkeitsbegrenzung gehalten.«
»Ihr rechtes Rücklicht ist kaputt. Führerschein und Fahrzeugpapiere bitte.«
Der Mann wählte bewusst einen nicht sehr freundlichen, aber auch nicht unverschämten Ton. Die Frau nahm ihre Handtasche vom Beifahrersitz und kramte eine Weile darin herum. Schließlich fand sie ihr Portemonnaie und zückte einen rosafarbenen Euro-Führerschein, den sie dem Mann hinhielt. Während er diesen entgegennahm, versuchte Michelle Schneider, sich aus der Situation herauszureden.
»Sehen Sie, wenn ich das gewusst hätte, wäre ich natürlich an eine Tankstelle gefahren und hätte eine neue Birne gekauft. Aber ich habe das nicht bemerkt und der TÜV ist gerade mal vier Monate her. Können Sie nicht…«
»Die Fahrzeugpapiere«, unterbrach der Mann, behielt den Führerschein in der Linken und streckte die Rechte Michelle entgegen.
»Die müssen wohl im Handschuhfach sein…«, stotterte sie, löste den Sicherheitsgurt und beugte sich hinüber zum Beifahrersitz.
»Stop!«
Michelle hielt inne.
»Steigen Sie bitte aus.«
Sie zögerte einen Moment, seufzte hörbar, stieg aus, schlug die Tür zu und blieb daneben stehen.
»Hören Sie, bitte, die Papiere sind im Handschuhfach und es ist doch nur ein kaputtes Rücklicht. Ich…«
»Öffnen Sie bitte den Kofferraum.«
»Den Kofferraum? Aber ich…«
»Den Kofferraum, jetzt!«
Der scharfe Ton veranlasste Michelle sich in Bewegung zu setzen und um das Auto herumzugehen. Um die Frau nicht unnötig nervös zu machen, folgte der Mann ihr in gebührendem Abstand. Ohne zu bemerken, dass beide Rücklichter rot leuchteten, öffnete sie den Kofferraumdeckel, wandte sich dem Mann wieder zu und sagte in leicht trotzigem Ton:
»Bitte schön, wie Sie wünschen.«
Der zweite Mann, den sie über die Diskussion mit dem vermeintlichen Polizisten völlig vergessen hatte, tauchte lautlos hinter ihr auf. Noch bevor sie auch nur bemerkte, dass er hinter ihr stand, holte er mit einem Totschläger aus und traf mit dem Hartgummi präzise eine Stelle hinter und oberhalb der Ohrmuschel. Sofort sank sie bewusstlos zusammen und schlug hart auf den Asphalt. Unmittelbar darauf schritt der zweite zur Fahrertür, lehnte sich hinein und schaltete das Licht aus. Anschließend durchsuchten die beiden Männer, ohne sich abzusprechen, Kofferraum, Handtasche und Passagierraum nach Dokumenten oder Aufzeichnungen, die sie vielleicht aus der Rechtsmedizin mitgenommen hatte. Als sie nach professioneller Erledigung wieder am Heck des Wagens zusammentraten, fragte der Beifahrer:
»Raubmord oder Sexualverbrechen?«
Der Angesprochene überlegte kurz.
»Sexualverbrechen. Ist unter diesen Umständen wahrscheinlicher.«
Der Beifahrer nickte und schritt zur Tat. Er zog sich ein Paar alte Lederhandschuhe über, packte die bewusstlose Frau unter den Achseln und schleppte sie an den Rand der Parkbucht.
»Dort drüben im Gebüsch?«
Der Fahrer sah kurz auf.
»Ja, dort ist gut. Wälze sie ein wenig hin und her, die Spuren müssen auf wildes, gewaltsames Handeln hindeuten.«
Der Beifahrer legte die Frau an der bezeichneten Stelle ab, wälzte sie in die eine und in die andere Richtung, knickte einige Zweige und schleifte sie noch einige Male über den Boden. Während er in der Folge der Frau mit Gewalt die Bluse zerriss und den BH mit einem Taschenmesser aufschnitt, trat der Fahrer an den Kofferraum des Land Rover, wählte einen von drei identisch aussehenden Aluminiumkoffern aus und öffnete ihn. Er nahm eine Packung mit Kondomen, packte eines aus und stülpte es über einen sehr stattlichen Plastikpenis. So ausgerüstet ging er hinüber zu seinem Partner, der soeben einen Schuh der Frau ins Gebüsch geworfen hatte und jetzt dabei war, ihre Jeans möglichst brutal herunterzureißen.
Das grün-weiße Licht der Hinweise zu den Notausgängen reichte ihm aus, um sich in dem Gebäude zu orientieren. Das Nachtsichtgerät hatte er im Auto gelassen. Er mochte dieses Gadget nicht. Es war schwer und er musste seine Brille absetzen, um es zu tragen. Natürlich verfügte es über eine einstellbare Dioptrie-Korrektur, jedoch musste er, wenn er das Gerät absetzte, zunächst seine Brille hervorkramen und aufsetzen. Und das konnte ihn, wenn die Umstände