»Noch vor der KTU?«, fragte der nächststehende Beamte mit einem etwas süffisanten Unterton. Sarah spürte deutlich, wie sich Biermans Körper anspannte und er tief die Luft einsog. Davon überzeugt, dass die Reaktion ihres neuen Partners alles andere als erfreulich sein würde, kam sie Bierman kurzerhand zuvor. Aber auch sie wollte der schnippischen Art des Beamten nicht mit allzu großer Freundlichkeit begegnen.
»Wir machen unseren Job, machen Sie einfach nur Ihren.« Ein verblüffter Seitenblick Biermans bestätigte ihr, dass sie den richtigen Tonfall getroffen hatte. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, steuerten sie die Leiche an, die unweit des Asphalts zwischen zwei niedergedrückten Sträuchern lag. Schweigend besahen sich die beiden den Tatort. Die Frau lag mit gespreizten Beinen auf dem Rücken. Ein schwarzer Slip hing zerrissen über einem Ast, darunter lag ein verschnürter Turnschuh. Der zweite Schuh war nicht zu sehen, die Socken hatte die Tote noch an den Füßen. Eine geöffnete Sportjacke lag unter der Frau, ihre Bluse war gewaltsam aufgerissen und hing noch in den Ärmeln der Jacke. Der schwarze Spitzen-BH war der Frau, die mit weit geöffneten Augen in den Himmel starrte, um den Hals gewickelt. Sarah wagte nur einen kurzen Blick auf die nackten Brüste und den Oberkörper, der etliche blaue Flecke aufwies. Als er kurz im Schritt des Opfers hängen blieb, konnte sie sehen, dass die Oberschenkel blutverschmiert und ebenfalls mit Hämatomen übersät waren. Sarah wandte den Kopf ab und fragte nur.
»Ist sie es?«
»Ja, das ist Frau Schneider.« Auch Bierman drehte sich weg. Schweigend begutachteten sie die Umgebung der Leiche und bekamen nicht mit, wie der Einsatzwagen, den sie kurz zuvor überholt hatten, auf dem Haltestreifen zum Stehen kam. Erst als sich hinter ihnen die Mitarbeiter der KT in ihren weißen Schutzanzügen näherten, wandte sich Bierman an Sarah.
»Kommen Sie, Frau Hansen, wir räumen das Feld und fangen Schwarz ab. Er sollte vorgewarnt sein, bevor er sie sieht.«
»Standen die beiden sich nah?« Für Sarah war die Vorstellung, einen langjährigen Kollegen auf diese Art zu verlieren, ein furchtbarer Gedanke, auch wenn sie selbst bereits schreckliche Verluste hatte erleiden müssen.
»Ich glaube nicht. Eine rein professionelle Beziehung.«
Sarah bohrte nach.
»Wie lange arbeiteten die beiden denn schon zusammen?«
Bierman zuckte die Schultern.
»Ein knappes Jahr oder so. Nicht allzu lange.«
Sie richteten den Blick auf einen Kombi, der sich mit gesetztem Blinker auf der rechten Spur dem Tatort näherte.
»Das ist er«, sagte Bierman, trat einen Schritt vor und hob den Arm. Kurz darauf kam Schwarz neben ihm und Sarah zum Stehen.
»Und, haben Sie den Täter schon verhaftet? Werden meine Dienste überhaupt noch gebraucht?«
Schwarz stieg aus und sah die beiden erwartungsvoll an. Dass Bierman auf seine laxe Begrüßung nicht einging, schien ihn zu verwirren. Stattdessen ergriff Sarah in informativem Ton das Wort.
»Herr Dr. Schwarz, bevor Sie den Leichnam in Augenschein nehmen, sollten Sie wissen, dass es sich um Ihre Kollegin Michelle Schneider handelt. Sie wurde schrecklich zugerichtet.«
Schwarz runzelte die Stirn und schwieg einen Moment.
»Ist die Identifizierung eindeutig?«, fragte er.
Bierman bestätigte.
»Ja, leider. Wir wurden schon auf der Fahrt informiert, dass sie die Halterin dieses Panda ist. Deswegen waren wir gerade schon bei der Leiche, es ist eindeutig Frau Schneider.«
Schwarz schluckte, sah zu dem Fiat und schien zu überlegen.
»Okay«, sagte er. »Dann sehe ich sie mir mal an. Morgen bei mir in der Rechtsmedizin für die Besprechung?«
»Neun Uhr bei Ihnen.« entgegnete Bierman, reichte dem Rechtsmediziner die Hand und ging in Richtung des silbernen Mercedes.
Bucur Enache musste wie immer
kräftig an dem Ganghebel rütteln, bis er die störrische Stange in die richtige Position drücken konnte und endlich der gewünschte zweite Gang eingelegt war. Den Renault R390 kannte er bestens, schließlich fuhr er den Sattelschlepper seit nunmehr fast elf Jahren. Als sein Chef die Zugmaschine seinerzeit gekauft hatte, hatte sie knapp fünfzehn Jahre auf dem Buckel und streckenmäßig den Planeten schon fast fünfundzwanzigmal umrundet. Aber sie war gut gepflegt und für die Langstrecken, die das Unternehmen bediente, bestens geeignet. Auf seinen Fahrten über den Balkan, nach Polen, Weißrussland, ins Baltikum und später auch nach Deutschland, Frankreich und Italien hatten sich zusätzliche zwei Millionen Kilometer auf dem Tacho niedergeschlagen. Aber der Renault lief. Mitunter etwas zickig und mit erhöhtem Wartungsaufwand, aber er lief. Für sein Dafürhalten sogar exzellent, jedoch hatte er feststellen müssen, dass die Behörden in Westeuropa unglaublich pingelig in Bezug auf Verkehrssicherheit waren. Zweimal schon, einmal in Deutschland, einmal in Italien, hatten sie ihn aus dem Verkehr gezogen und nach einer oberflächlichen Kontrolle das Fahrzeug zunächst stillgelegt. Der Aufwand und der Ärger, ganz zu schweigen von dem Zeitverlust, waren erheblich gewesen. Das war auch der Hauptgrund dafür, dass er jetzt nicht auf der A8 unterwegs war, sondern um die einhundert Kilometer weiter südlich auf der B31. Auf den Bundesstraßen war die Gefahr einer Kontrolle seiner Einschätzung und Erfahrung nach einfach geringer. Es fehlte meistens einfach an Platz, um eine Kontrollstation mit Waage einzurichten und die LKW herauszuwinken, ohne einen Rückstau zu verursachen. Also investierten er und sein Chef immer etwas mehr Zeit in die Planung neuer Routen, um so wenige Kilometer wie möglich auf den Autobahnen zurückzulegen. Diese Strecke kannte er allerdings schon sehr gut. So gut, dass er den erhöhten Zeitaufwand beim Einlegen der Gänge mit einkalkulierte. Im Höllental gab es so manche Stelle, bei der selbst er sich nicht sicher war, ob die betagte Druckluftbremse den vierzig Tonnen ohne die Unterstützung der Motorbremse ausreichend Kraft für eine angemessene Verzögerung würde bereitstellen können. Wenn es kritisch wurde, musste der Gang sitzen. Die fünf Sekunden, die er mitunter „herumrühren“ musste, konnten im schlimmsten Fall schon zu viel sein. Also leitete er den Schaltvorgang immer rechtzeitig ein, um kein Risiko einzugehen.
»Lassen Sie uns gleich runtergehen«, empfing Schwarz Sarah und Bierman im Eingang zur Rechtsmedizin, nachdem die beiden Polizisten kurz nach dem Arzt mit ihrem Dienstwagen auf den Parkplatz gerollt waren. Er hielt ihnen die Tür auf.
»Nehmen wir doch die Treppe«, schlug er vor und übernahm die Führung. Weder Bierman noch Sarah drängten ihn auf dem Weg zu einer Stellungnahme, und so erreichten sie die Doppeltür zum Obduktionsraum, ohne miteinander zu sprechen. Zunächst durchquerte Schwarz den Raum und holte aus einem mit Milchglas abgetrennten Büroraum einen Stapel Blätter, den er Sarah überreichte und sich im Anschluss OP-Handschuhe überzog. Er nahm einen weißen Kittel von einem Haken und knöpfte ihn wortlos zu. Dann schob er einen Edelstahlwagen zu den Kühlfächern, öffnete ein Fach und zog eine Bahre samt der mit weißem Leinen bedeckten Leiche darauf. Bierman half ihm, das Gefährt so zu platzieren, dass die Bahre auf den Obduktionstisch unter die OP-Lichter geschoben werden konnte. Schwarz deckte die Leiche ab. Frau Schneiders gestern noch geöffnete Augen hatte er offensichtlich nach der Sektion geschlossen. Er nahm Sarah den Papierstapel wieder ab und stellte sich ans Kopfende der Leiche.
»Fangen wir mit der Todesursache an. Wie Sie wahrscheinlich gestern schon vermutet haben, wurde sie mit ihrem eigenen BH stranguliert. Die Würgemale stimmen mit dem spezifischen Muster des Büstenhalters überein, ebenso