Am 18. Juni 1840 stirbt Verdis Gattin Margherita Barezzi[102] an Enzephalitis. Verdi kehrt mit seinem Schwiegervater nach Busseto zurück und verlangt in seinem Schmerz von Merelli die Auflösung des Vertrages, doch dieser lehnt das Ansinnen ab. Nach zwei Monaten kehrt Verdi nach Mailand zurück:
In diesem furchtbaren Kummer mußte ich, um die eingegangene Verpflichtung zu erfüllen, eine komische Oper schreiben und fertigstellen!!... Un giorno di Regno gefiel nicht: sicher war die Musik zum Teil daran schuld, zum Teil aber war es die Aufführung.[103]
Verdi schreibt die Oper also aus Pflichtbewußtsein. Obwohl er es vorgezogen hätte, eine opera seria zu schreiben, wie ursprünglich geplant, beugt er sich dem Willen Merellis, der aus Spielplangründen eine buffa benötigt und nimmt eine Arbeit in Angriff, die aufgrund der Form und des Inhalts des alten Romani-Librettos bereits veraltet ist.[104] Er schreibt sie trotz der widrigen Umstände nicht unwillig, aber er schreibt sie im Schatten des übermächtigen Genies für komische Opern, Gioachino Rossini, und im Wissen um die Präsenz eines anderen großen Könners dieses Genres, Gaetano Donizetti, der 1832 das Meisterwerk L’elisir d’amore, ebenfalls auf ein Libretto Romanis, vorgelegt hat. Er schreibt sie mit ersten Ansätzen jener einflußnehmenden Sorgfalt, für die er später berühmt werden sollte: Er verändert, möglicherweise unter Mitarbeit Soleras, die Struktur des Textbuches und setzt Striche und Änderungen durch. Auch die Änderung des Titels von Il finto Stanislao[105] zu Un giorno di regno stammt von ihm.[106]
Die Uraufführung am 5. September 1840 erleidet einen glatten Durchfall. Das Publikum johlt und pfeift, zischt und miaut, obwohl es die Umstände, unter der die Oper entstanden ist, kennt, und geht nach Hause, offenbar zutiefst von dem befriedigenden Bewußtsein durchdrungen, Gerechtigkeit geübt zu haben. Die Ursachen für die Publikumsreaktion, über die man sich aus heutiger Sicht nur wundern kann, sind zwei: einerseits die Lustlosigkeit der Sänger, andererseits starke Konkurrenzopern auf dem Spielplan (allein von Donizetti in dieser Saison: Belisario, Lucrezia Borgia, Marin Faliero, Anna Bolena, La figlia del reggimento sowie die Erfolgsoper der Saison, Nicolais Templario mit 46 Aufführungen.
Un giorno di regno bedeutet kompositonstechnisch einen Fortschritt im Vergleich zu Oberto, und ist wesentlich besser als ihr Ruf. Man kann an ihr nur eines bemängeln: sie ist zu lang. Die Sänger der einzigen Vorstellung dieser Oper, die von Merelli sofort vom Spielplan abgesetzt wird, sind der Bariton Raffaele Ferlotti[107], die Mezzosopranistin Luigia Abbadia sowie die Sopranistin Antonietta Rainieri-Marini und der Tenor Lorenzo Salvi, beide mit Oberto-Erfahrung. Sie tragen eindeutig Mitschuld an dem Mißerfolg.
Mailand, Teatro alla Scala. – Un giorno di regno – neue Opera buffa[108] von Maestro Verdi (5. Sept.) – Maestro Verdi, dem Verfasser des Oberto di San Bonifazio, dem so gefeierten, mit Beifall bedachten jungen Debutanten des vergangenen Jahres, ließen die Zuschauer unseres großen Theaters vorgestern abend eine eindringliche Warnung zukommen. Seine neue Opera buffa Un giorno di regno wurde ganz anders aufgenommen als seine erste. Das Publikum schwieg oder mißbilligte das Urteil derer, die Applaus für angebracht hielten. Die Ouverture, zwei Duette zwischen zwei Bässen im ersten und im zweiten Akt und die Arie der Abbadia wurden gelobt; alles andere fiel durch, und es besteht wenig Hoffnung, daß sich an den folgenden Abenden an diesem harten Urteil etwas ändern wird, es sei denn, die Sänger wären bereit, mit einer korrekteren Aufführung einige der Schönheiten hervorzuheben, die Experten in den Musiknummern erkannt haben.
Das ist natürlich Pech für Verdi, doch darf es ihn nicht verbittern; er soll sich vielmehr von dem neuen Weg, den er beschritten hat, verabschieden und wieder zu den leidenschaftlichen Inspirationen des ernsten Dramas zurückkehren; der Komponist des Oberto möge sich nicht selbst aus der Welt der Zuneigung, der Liebe, der ergreifenden und zarten Kantilenen verbannen, die ihm seine erste Schlacht gewannen, um sich in dieses Labyrinth veralteter Formen, abgedroschener Phrasen, einer kalten und knechtischen Nachahmung allzu willfähriger Motive zu wagen. Die Zukunft steht ihm noch offen, die Zukunft betrügt niemand, der sich nicht selbst betrügt.
Die Aufführung dieser Oper gibt uns Gelegenheit, einige der derzeitigen Sänger unseres Theaters darauf aufmerksam zu machen, daß sie, gleich welche Aufnahme sie bei den Zuschauern finden werden, gleich welcher Dämon der Rivalität oder des Neids an ihrer Künstlerseele nagen mag, die öffentliche Meinung weder herausfordern noch verachten dürfen, daß ihre Verhaltensweise stets dem strengsten Respekt und jenem Anstand untertan sein muß, der jeden Gedanken an Ungebührlichkeit ausschließen müßte, um keine härteren Worte zu wagen. Außerdem kann man noch hinzufügen, daß selbst dann, wenn die Oper nicht gefällt, die Darsteller sie dennoch dem Publikum mit unverändert gutem Willen darbieten müssen, denn aufzuhören zu singen oder nur die Lippen bei den Musiknummern zu bewegen, beweist eine schuldhafte Unkenntnis der eigenen Pflicht; denn das Publikum gibt kein Geld für die Bühnenhelden aus, damit sie nur nach Lust und Laune in den von ihnen bevorzugten Augenblicken singen; und schließlich kann die Gleichgültigkeit und die Lässigkeit eines Sängers auch in einer nicht genehmen Oper als eine Hauptursache für deren Durchfall angesehen werden.[109]
Wie sich wenige Jahre später herausstellen wird, ist das Urteil des Publikums aber keineswegs endgültig:
Möchtest Du etwas zum Lachen haben? Die Opera buffa, die ich vor vier Jahren für die Scala geschrieben habe und die durchgefallen ist, hat in Venedig einen aufsehenerregenden Erfolg erlebt. Das Theater ist doch wirklich etwas Komisches.[110]
In seinem Autobiographischen Bericht erinnert sich Verdi an eine lange Phase, in der er das Komponieren aufgeben und von Musik partout nichts mehr wissen wollte. Auch hier überwiegt die subjektive Erinnerung vor der objektiven Realität: Zu den für Un giorno di regno geplanten Terminen setzt Merelli Oberto-Vorstellungen an, die Verdi selbst dirigiert. Da statt des Bassisten Marini nur der Bariton Raffaele Ferlotti zur Verfügung steht, der für die abgesetzte Oper engagiert worden ist, sieht sich Verdi vor die Aufgabe gestellt, die Partie des Oberto an dessen stimmliche Mittel anzupassen. Außerdem schreibt er zwei neue Stücke, eine Kavatine für Cuniza und ein Duett Cuniza-Riccardo.
In der Karnevalssaion 1841 wird Oberto in Neapel gespielt. Verdi ist nicht anwesend, wieder singt die Rainieri-Marini die Leonora, die Cuniza ist diesmal ein echter Alt, weshalb wieder die Partitur der Uraufführung herangezogen wird. Dem Werk ist in Neapel kein besonderer Erfolg beschieden.
Ebenfalls in der Karnevalssaison wird die Oper in Genua aufgeführt. Hier betreut Verdi die Produktion selbst, wiederum komponiert er neue Musik.
Der Oberto ging Samstag in Szene und wurde kühl aufgenommen. Beifall gab es für die Ouverture, für die Introduktion sogar heftigen Applaus mit Herausrufen für Catone und auch für mich und Applaus für die Kavatine der Marini. Das Duett zwischen Ferlotti und der Marini kühl aufgenommen (es ist ein neues Stück). Bei dem darauffolgenden Chor, der ebenfalls neu ist, kühle Aufnahme (anzumerken ist, daß ich bei dieser Oper