1830 schließt Verdi seine Schulausbildung ab. In diesem Jahr kommt es zur öffentlichen Aufführung einiger Erstlingswerke, anläßlich derer ihm Provesi eine große Zukunft prophezeit. 1831 zieht Verdi in das Haus von Antonio Barezzi ein. Dieser ist nicht nur ein angesehener, wohlhabender Kolonialwarengroßhändler, der das Geschäft der Eltern Verdis beliefert, sondern auch ein dilettierender Musikenthusiast in Busseto (als solcher ist er Präsident und Mäzen der örtlichen Società filarmonica, der Philharmonischen Gesellschaft, in der er auch als Instrumentalist tätig ist). Dessen ältester Tochter Margherita gibt Verdi seit dem Vorjahr Klavier- und Gesangsunterricht. Barezzi wird rasch zum väterlichen Freund und tatkräftigen Förderer Verdis, der ihm ein Leben lang in Dankbarkeit verbunden bleibt. Da sich Verdis Vater außerstande erklärt, ihm ein Studium an der Universität Parma zu ermöglichen, erhält Verdi 1832 auf Betreiben Barezzis und seines Vaters, der sich zur Erreichung dieses Zieles an die Herzogin Marie Louise wendet, vom Monte di Pietà e d’Abbondanza di Busseto (Leihhaus und Bankinstitut) ein Vierjahresstipendium von monatlich 25 Francs und bewirbt sich um Aufnahme am Mailänder Konservatorium. Die kommissionelle Prüfung aus Komposition besteht Verdi, er wird aber als Ausländer, aus Altersgründen (er hatte das Höchstalter von vierzehn Jahren längst überschritten) und wegen schlechter Handhaltung beim Klavierspiel abgewiesen. (Dasselbe Konservatorium besaß später genug schlechten Geschmack, sich trotz Verdis Weigerung: „Jung wollten Sie mich nicht haben, alt können Sie mich nicht haben“, nach dem berühmten Komponisten zu benennen.) Da die erstmalige Auszahlung des Stipendiums ein Jahr auf sich warten läßt, wird Verdi der Betrag von Barezzi vorgestreckt.
Abb. 1 – Antonio Barezzi (1787-1867), Verdis Förderer und Schwiegervater
Er verläßt Busseto und nimmt, von Barezzi, dem er freilich alles wieder zurückzahlen wird, finanziell unterstützt, in Mailand privat Kompositionsunterricht bei Vincenzo Lavigna, einem ausgezeichneten Kontrapunktisten und Dirigenten am Teatro alla Scala. Neben den Kontrapunktstudien läßt Lavigna seinen Schüler alte und moderne Partituren (darunter Werke von Corelli, Haydn, Mozart usw.) studieren und analysieren und empfiehlt ihm den Besuch von Opernvorstellungen: Im Mai 1833 hört Verdi an der Scala Maria Malibran als Norma und als Desdemona in Rossinis Otello. (1871 wird sich Verdi, nicht ganz gerecht, darüber beklagen, er habe bei Lavigna drei Jahre lang nur Kanons und Fugen zu schreiben gelernt, nicht aber Orchestration oder operndramatische Technik – dies ist einer von Verdis Versuchen, sich den Nimbus eines Autodidakten zu geben.) Während seiner Studienzeit in Mailand lernt Verdi W.A. Mozarts Sohn Karl Thomas kennen, der als Beamter der lombardischen Regierung arbeitet. Er spielt ihm mehrmals auf dem Klavier den Don Giovanni vor.
Im Dezember 1833 bewirbt Verdi sich erfolglos um die Nachfolge des am 26. Juli 1833 verstorbenen Provesi in Busseto. Wegen der Vergabe des Postens kommt es in Busseto zu einem Streit zwischen der Geistlichkeit und dem örtlichen Philharmonischen Orchester. 1834 springt Verdi auf Empfehlung seines Lehrers in Mailand bei zwei Aufführungen von Haydns Schöpfung erfolgreich als Dirigent ein, was ihm einen – allerdings nicht honorierten – Kompositionsauftrag für eine Kantate durch den Grafen Borromeo einträgt. Während eines kurzen Urlaubs in Busseto erhält Verdi die Gelegenheit, mehrmals das Orchester der Società Filarmonica zu dirigieren. Am 12. Oktober findet in Busseto eine Akademie statt, bei der mehrere Kompositionen Verdis zur Aufführung gelangen. Am 14. November 1834 hört er in Parma Niccolò Paganini spielen. Er wird sich noch Jahre später daran erinnern, wie der große Ton von Paganinis Instrument das Orchester übertönte.
Im April 1835 dirigiert Verdi im Mailänder Teatro Filodrammatico Rossinis La cenerentola. Im Juli beendet er seine Kompositionsstudien in Mailand und kehrt nach Busseto zurück. In Erwartung der Entscheidung in Busseto bewirbt er sich vergeblich um den Posten eines Maestro di cappella in Monza. Am 6. Jänner 1836 spielt er unter großem Publikumszulauf zum ersten Mal die Orgel in der Franziskaner-Kirche in Busseto. Am 5. März wird er als Nachfolger Provesis zum Städtischen Musikdirektor ernannt, was auch die Tätigkeit als Organist und Dirigent des Philharmonischen Orchester umfaßt. Seit Jänner des Jahres arbeitet er an seiner ersten Oper, von der später abwechselnd als Lord Hamilton oder Rocester (nach einem Libretto von Antonio Piazza) die Rede sein wird, und von der bis heute nicht restlos geklärt ist, ob es sich dabei um ein und dasselbe Werk handelt und ob oder wie weit es in Oberto verwendet wurde.
Am 4. Mai 1836 heiratet der Dreiundzwanzigjährige seine Schülerin Margherita Barezzi. In diesem Jahr komponiert Verdi eine Ode, Il cinque maggio, auf einen Text von Alessandro Manzoni, sowie ein Tantum ergo für Singstimme und Orchester. Am 26. Mai 1837 wird die Tochter Virginia geboren. In diesem Jahr bietet Verdi seinen Opernerstling erfolglos der Oper in Parma und der Mailänder Scala an. Im Februar 1838 dirigiert Verdi drei Akademien in Busseto, jedes Mal bringt er eigene Kompositionen zur Aufführung. Am 11. Juli 1838 kommt der Sohn Icilio Romano zur Welt, einen Monat später stirbt die Tochter Virginia. Nochmals versucht Verdi ergebnislos, den Rocester an der Scala aufführen zu lassen. Es kommt zur Veröffentlichung seiner ersten überlieferten Komposition. Es ist dies ein Liederzyklus, Sei romanze, für Singstimme und Klavier, der heute zusammen mit weiteren, später entstandenen Romanzen gedruckt und in verschiedenen Einspielungen vorliegt. Die bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen Werke sind verschollen. Er beendet im Oktober seine Tätigkeit als Musikdirektor in Busseto und übersiedelt im Februar 1839 mit Margherita und dem kleinen Icilio in die Musikmetropole Mailand, wo dieser im Oktober stirbt. In dieser psychisch belasteten Zeit arbeitet Verdi an Oberto conte di San Bonifacio.
Oberto conte di San Bonifacio
D
ie Enstehungsgeschichte dieser Oper, anhand derer erstmals die starke Wechselwirkung zwischen Komponist und Sängern ersichtlich wird, beschreibt Verdi im Detail so:
Massini[82], der anscheinend Zutrauen zu dem jungen Maestro [Verdi] hatte, schlug mir damals vor, eine Oper für das von ihm geleitete Teatro Filodrammatico zu schreiben und übergab mir ein Libretto, aus welchem dann, zum Teil von Solera[83] abgeändert, der Oberto di San Bonifacio[84] wurde.
Ich nahm das Angebot mit Freuden an und kehrte nach Busseto zurück, wo ich als Organist angestellt war. Ich blieb etwa drei Jahre in Busseto; sobald die Oper fertiggestellt war, unternahm ich abermals die Reise nach Mailand und brachte die ganze Partitur schon fix und fertig mit, da ich mir die Mühe gemacht hatte, alle Gesangspartien selbst herauszuschreiben und abzuschreiben.[85]
Doch hier begannen die Schwierigkeiten: Massini war nicht mehr Direktor des [Teatro] Filodrammatico: es war daher nicht mehr möglich, meine Oper dort aufzuführen. Doch entweder hatte Massini wirklich Vertrauen zu mir, oder er wollte mir gegenüber auf irgendeine Art seine Dankbarkeit beweisen, weil ich ihm nach der Schöpfung noch mehrmals geholfen hatte, indem ich mehrere Opernaufführungen (darunter La cenerentola) für ihn einstudiert und dirigiert hatte, ohne jemals ein Honorar dafür zu verlangen, er ließ wegen dieses Zwischenfalls den Kopf nicht hängen, sondern sagte mir, er würde alles nur Erdenkliche versuchen, um meine Oper anläßlich des Benefizkonzerts des Pio Istituto [Filarmonico] an der Scala aufführen zu lassen. Graf Borromeo und der Rechtsanwalt Pasetti versprachen Massini ihre Unterstützung, der Wahrheit zuliebe muß ich aber sagen, daß es mir in keiner Weise festzustehen scheint, daß diese Unterstützung aus mehr als ein paar Empfehlungsworten bestand. Im Gegensatz dazu gab sich Maestro Massini große Mühe; er wurde dabei tatkräftig vom Cellisten Merighi unterstützt, der mich kennengelernt hatte, als er noch Mitglied des Orchesters des Teatro Filodrammatico war, und anscheinend Vertrauen in den jungen Maestro hatte.
Schließlich kam es so weit, daß alles für das