Kaum waren die Rollen verteilt und einige Gesangsproben abgehalten worden, da erkrankt Moriani so schwer!... daß alles abgebrochen wird und nicht mehr daran zu denken ist, meine Oper aufzuführen!... Nun saß ich da und trug mich mit dem Gedanken, nach Busseto zurückzukehren, als eines Morgens ein Theaterdiener der Scala zu mir kam und mich ganz brüsk fragte: „Sind Sie der Maestro aus Parma, der eine Oper für das Pio Istituto aufführen sollte?... Kommen Sie mit ins Theater, der Impresario möchte Sie sehen.“ – „Ist das möglich?. . .“, sagte ich, darauf der andere: „Ja, er hat mir befohlen, den Maestro aus Parma zu holen, der eine Oper geben sollte: Wenn Sie es sind, kommen Sie mit.“ – Und ich ging mit.
Der Impresario war damals Bartolomeo Merelli; eines Abends hatte er auf der Bühne des Opernhauses ein Gespräch zwischen Frau Strepponi und Giorgio Ronconi mitangehört, in welchem die erstere sich sehr vorteilhaft über die Musik des Oberto äußerte; dieser Eindruck wurde auch von Ronconi geteilt.
Ich stellte mich also Merelli vor, der gleich zur Sache kam und mir sagte, daß er auf Grund der günstigen Informationen, die er über meine Musik habe, sie in der kommenden Saison aufführen wolle; wenn ich einverstanden wäre, müßte ich jedoch einige Anpassungen der Tessitura[90] vornehmen, da nicht mehr alle vier Künstler vom letzten Mal zur Verfügung stünden. Das war ein schönes Angebot: Als junger, unbekannter Komponist traf ich auf einen Impresario, der das Risiko auf sich nahm, ein neues Werk aufzuführen, ohne irgendeine Sicherstellung von mir zu verlangen, eine Sicherstellung, die ich im übrigen nicht in der Lage gewesen wäre zu geben: Merelli riskierte, die gesamten Kosten für die Inszenierung aus eigener Tasche bezahlen zu müssen; er schlug mir lediglich vor, die Summe, die ich bekommen würde, wenn ich im Falle eines Erfolges die Oper verkaufte, zur Hälfte mit ihm zu teilen. Man darf nicht glauben, daß sein Vorschlag für mich belastend gewesen wäre: schließlich war es die Oper eines Anfängers!... Fest steht, daß nach dem günstigen Erfolg der Verleger Giovanni Ricordi die Rechte für zweitausend österreichische Lire erwarb.
Oberto di San Bonifacio hatte zwar keinen riesigen, aber doch recht guten Erfolg; er brachte es auf eine ansehnliche Anzahl von Aufführungen[91], die zu verlängern Merelli für angemessen hielt, indem er einige mehr gab, als im Abonnement vorgesehen waren. Die Oper wurde gesungen von der Marini[92], Mezzosopran, von Salvi, Tenor, und vom Baß Marini; wie bereits erwähnt, mußte ich die Musik aus Gründen der Tessitura teilweise abändern und eine neue Nummer schreiben, das Quartett, dessen Anordnung im Drama von Merelli vorgeschlagen wurde und das ich von Solera in Verse setzen ließ: Es ergab sich, daß dieses Quartett zu einer der besten Nummern der ganzen Oper wurde.[93]
Während der Probenzeit zu Oberto, nur wenige Tage nach Verdis sechsundzwanzigstem Geburtstag (aufgrund dieses Debut-Alters wurde er nach damaligen Begriffen als Spätstarter empfunden), setzt sich die Familientragödie mit dem Tod seines kleinen Sohnes Icilio Romano am 22. Oktober 1939 fort. Am 17. November 1839 wird der Opernerstling des Komponisten am Mailänder Teatro alla Scala uraufgeführt. Trotz der großen Publikumszustimmung ist die Aufnahme bei der Kritik gemischt: Zwar bescheinigt La Moda dem Komponisten, daß er von den marktbeherrschenden Kollegen Donizetti, Bellini, Mercadante und Rossini abgerückt sei und eigene Wege beschreite, der Korrespondent des Il Figaro aber empfiehlt Verdi, doch die Klassiker zu studieren, und die Gazzetta Previlegiata di Venezia geht so weit, ihn vor der Überschätzung des Publikumserfolges zu warnen. Die Allgemeine Musikalische Zeitung berichtet unter Abdruck der Noten des Quartetts Eleonora-Cuniza-Riccardo-Oberto aus dem 2. Akt („des besten Stückes der Oper“) ausführlich über die Neuheit.
Wiewohl aus diesem A quattro (das ebenfalls leicht zu vermeidende Oktavengänge enthält) wenig Neues und Künstliches hervorblickt, so ist es doch im ganzen hübsch, und von den beiden benannten Künstlern, von der löblich mitwirkenden Shaw, und der Scala-Stimme (ein sehr wichtiges Wort!) des Herrn Marini vorgetragen, von ungemein guter Wirkung. [...]
Hierauf folgt eine alltägliche Kabalette mit dem gewöhnlichen Schlussschlendrian, welches gegen das Uebrige so grell absticht, dass die Zuhörer in den folgenden Vorstellungen schon nach dem langsamen Tempo das Theater verliessen.
Diese ursprünglich für das Pio Istituto des Orchesters alla Scala bestimmte Oper hat nun das Glück ihres Verfassers gemacht. [...] Die Mailänder Zeitschrift Moda machte Verse, welche auf die Namen Verdi (grün) und Speranza[94] (Hoffnung) anspielen, bekannt; wobei sie Ersterem das Rührende (commovere), Letzterem das Brillante (brio) beilegt. Mercadante’s Nichtverehrer gingen so weit, zu sagen, er möchte um Gotteswillen bei Herrn Verdi in die Schule gehen!!... Vielleicht könnte man die jetzigen aktiven Maestri so ordnen: Donizetti, Mercadante, Ricci, Verdi u.s.w. Donizetti singt mehr als Mercadante und kennt die Komposizion so gut als er. Ricci ist origineller als Verdi. Ob Letzterer sich höher schwingt, steht zu erwarten; zu wünschen ist es sehr, dann könnte er all seine Kollegen übertreffen.[95]
Die Mailänder Zeitung La Fama berichtet über die Interpreten der Opernneuheit:
Die Kavatine der Marini und die von Salvi im ersten Akt, die Arie der Marini, die von Salvi sowie das Quartett des zweiten Aktes sind meisterhafte Nummern, die viel musikalisches Wissen zeigen und den Stempel der Inspiration tragen. Die Aufführung trug, ehrlich gesagt, nicht gerade dazu bei, uns deren Schönheiten auskosten zu lassen; denn mit Ausnahme der Marini, die vortrefflich sang, schienen die anderen im Falschsingen zu wetteifern. Salvi, ermüdet von einer langen Aufführungsserie, konnte die schöne Stimme, die er besitzt, nicht in ihrer ganzen Fülle zur Entfaltung bringen und traf oft nicht die gewünschte Note. Die Marini schien Blindekuh zu spielen und glücklich zu sein, wenn sie die Töne traf. Die Shaw, die zum ersten Mal auf der Bühne auftrat, hat zwar Stimme und eine gute Aussprache, doch als Anfängerin, sowohl im Gesang wie in der Bühnenpraxis, ist sie für ein so bedeutendes Theater wie das unsere noch nicht geeignet. Wenn die Sänger an den kommenden Abenden neuen Mut schöpfen und sich besser aufeinander abstimmen sollten, wird diese Oper gewiß in der Publikumsgunst steigen, die sich am Ende der Introduktion so deutlich kundtat. Wenn schließlich Ausstattung und Kostüme besser und entsprechender wären, dann wäre die Unterhaltung perfekt.[96]
E
tliches Kurioses enthält diese Rezension: Der wohl auffälligste Umstand ist das Fehlen der Besprechung der Leistung des Protagonisten, ja selbst das Fehlen seines Namens. Die Titelrolle wurde von Ignazio Marini (Tagliuno di Castelli Calepio bei Bergamo 1811 – Mailand 1873), einem der bedeutendsten Bassisten dieser Zeit, verkörpert, der sogar als Nachfolger des berühmten Luigi Lablache[97] bezeichnet wurde. Marini war von seinen Eltern ursprünglich für eine geistliche Karriere bestimmt, zog es aber vor, sich seiner Berufung als Sänger zu widmen. Er debutierte am 16. Jänner 1832 in einem Konzert in Brescia und noch im selben Jahr in Brescia in zwei Opern: Didone abbandonata von Saverio Mercadante und Gli Arabi nelle Gallie von Giovanni Pacini. Nach Auftritten in Varese und Ferrara kam er bereits 1833 an die Mailänder Scala, an der er bis 1847 engagiert war. Dort sang er u.a. 1834 den Cedrico in Pacinis Ivanhoe, den Fernando in Rossinis La gazza ladra, den Guido in der Uraufführung von Donizettis Gemma di Vergy, den Elmiro in Rossinis Otello sowie den Oroveso in Bellinis Norma, die beiden letzteren Rollen an der Seite von Maria Malibran. In diesem Jahr heiratete er die Sopranistin Antonietta Rainieri. 1835 trat er mit ihr in Donizettis Maria Stuarda auf. 1839 war er in der Mailänder Erstaufführung von Donizettis Roberto Devereux und Gianni di Parigi besetzt. Sein Spezialgebiet war anfänglich das Rossini-Repertoire, und zwar sowohl seriöse Rollen wie die Titelrolle in Mosè in Egitto, als auch komische Rollen wie der Mustafà in L’italiana in Algeri. Obwohl Marini mit Verdi immer in freundschaftlichem Kontakt blieb, kam es nach Oberto erst 1846 wieder zu einer Zusammenarbeit, und zwar in der Uraufführung des Attila. 1844 war er der Silva in der Wiener Erstaufführung des Ernani, wo er die Cabaletta des Silva „Infin che un brando vindice“ sang.
Abb.