Sarah Boils Bluterbe. Nicole Laue`. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nicole Laue`
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844261509
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in diesem Moment seine Zigarette aus und schenkte mir einen fragenden Blick. Mittlerweile hatte er die Schuhe wieder an und meinte, er müsse noch schnell zu einem Kunden und ich möchte doch bitte die Rechnungen für die anderen Kunden fertig machen. Ich hatte freiwillig seine Büroarbeit übernommen. Er arbeitete draußen auf den Baustellen und ich kümmerte mich um die anderen wichtigen Dinge. Schrieb Rechnungen, nahm neue Aufträge an und kümmerte mich um die Akquise. Geistesabwesend nickte ich. Mit hochgezogenen Augenbrauen beobachtete er mich und fragte:

      „Sag mal, kriegst du deine Tage, oder warum bist du so komisch?“

      Ohne eine Antwort abzuwarten, griff er nach seiner Jacke, noch schnell einen Kuss, ein `Bis gleich` und schon war er verschwunden. Ich war endlich allein. Allein mit meinen Gedanken und mit meinen roten Fußgelenken. Ich zog das Hosenbein ein Stück hoch. Die roten Striche waren kaum noch zusehen. Ich griff nach meinem Telefon. Ich musste mit irgendjemandem reden und wählte. Am anderen Ende meldetet sich eine warme Stimme. „ Klausel und Sohn, Mary Ortwin am Apparat?“

      Ich seufzte. Wie gut es doch tat ihre Stimme zu hören. Bevor sie viel fragen konnte, sprudelten die Worte wie ein Vulkan aus mir heraus. Eine Weile war beängstigendes Schweigen in der Leitung. Bevor ich mir weitere Sorgen machen konnte, ob Mary meinen Geisteszustand ebenso wie ich anzweifelte, ergriff sie das Wort: „Sarah“, ihre Stimme klang einfühlsam, „ich will dir ja nicht zu nah treten, aber vielleicht bist du überarbeitet oder hast ein Burnout-Syndrom. Ich meine, hast du Stress mit Martin?“

      Ich schüttelte den Kopf. Mir dessen bewusst, dass sie mich nicht sehen konnte, sagte ich: „Nee, Unsinn. Ist alles in Ordnung.“

      Klasse, Mary hielt mich schon für durchgeknallt. Was war bloß los mit mir?

      „Sarah, ich bin auf der Arbeit, ich kann jetzt nicht so lange telefonieren, aber wenn du magst, lass uns doch danach treffen, oder du kommst bei mir vorbei und wir reden noch mal über alles.“

      „Weiss nicht, mal sehen. Mary, behalt es bitte für dich. Erzähl niemandem davon.“

      „Ist gut, dann bis später. Melde dich einfach, wenn du mich brauchst.“

      Ich wünschte ihr einen schönen Tag und beschloss meine Mutter anzurufen. Entweder hatte ich wirklich zu viele Horrorfilme gesehen, oder mein Verstand verabschiedete sich langsam aber sicher. Es war ja nichts neues, dass Alkohol Gehirnzellen abtötete. Aber so viel hatte ich doch nie nicht getrunken.

      Oder doch?

      Mir schwante Böses.

      Kapitel 4

      Ich wählte erst die Vorwahl von Berlin, dann die Durchwahl. Das Klingeln schien endlos, meine Finger zitterten, ich hatte das Gefühl, der Hörer nahm pro Klingeln an Gewicht zu. Meine Arme wurden schwer und müde.

      Mein Magen drehte sich und ich berechnete die genaue Geschwindigkeit, die ich bräuchte, bis ich im Notfall die Toilette erreichen würde. Ich beschloss das drückende Gefühl in meinem Inneren zu ignorieren. Vermutlich hätte ich es nicht einmal bis ins Bad geschafft, ohne den Schirmständer umzuschmeißen und mich in den Läufer, der im Flur lag, einzuwickeln.

      „Boil!“

      Ich rief aufgeregt und hektisch: „ Mom, bist du es? Oh Mom, ist das schön dich zu hören. Oh Gott Mom…“

      Nach Atem ringend flüsterte ich leise: „ Mom…. Ich werde verrückt…ich… ich weis nicht mehr weiter.“

      „ Kind, was ist denn nur passiert? “ fragte sie mit ihrer lieblichen und warmen Stimme, dass ich ihr am liebsten in diesem Moment um den Hals gefallen wäre und mich wie ein kleines Kind in ihrem Schoss verkrochen hätte.

      „Mom, bitte lass mich erst aussprechen und bitte sag mir, ob ich verrückt bin!“ Ich holte noch einmal tief Luft.

      „Ich habe diese Träume, und dieser Mann, du wirst es nicht glauben, ich meine… er sagte, du wüsstest es, wenn es soweit ist. Er kennt dich, er weiß, wer du bist. Und ich versteh das alles nicht. In meinen Träumen tauchen fremde Männer auf und es fühlt sich alles so real an. Aber dieser Kerl im Nadelstreifenanzug, der ist mir auch im Technicomarkt begegnet. Er hat diese stahlblauen Augen, eine unnatürliche Farbe und wenn ich diese Augen ansehe, dann dreht sich die Welt. Und nein, ich bin nicht verliebt in ihn. Ganz bestimmt nicht. Etwas anderes ist da. Oh Gott Mom, ich glaube ich werde gerade wahnsinnig. “

      Nun kam der schwierige Teil. Wie sollte ich ihr erklären, dass dieser Typ behauptet, er sei ein Vampir und die Welt stehe vor einer Apokalypse? Sie würde vermutlich gleich die Jungs mit den weißen Jacken schicken und ich würde mich unter starken Beruhigungsmitteln in einer Psychiatrie wiederfinden. Ich war vollkommen wahnsinnig jemandem davon zu erzählen, also schluckte ich die nächsten Worte wieder runter und hielt meine Klappe.

      „Ach Mom, ist schon gut…“

      “Sprichst du von Lionel?“ Ihre Stimme klang besorgt.

      Mein Atem stockte. Woher wusste sie von ihm? Sprach ich in diesem Moment wirklich mit ihr oder träumte ich auch das? Was war noch Realität und was war Illusion? Existierte ich überhaupt? Oder war ich die Fantasiegestalt und Erfindung eines Wahnsinnigen? Die Konturen meines Lebens verschwammen ins Unergründliche.

      Ich stotterte: „ Was? Du kennst ihn? Woher kennst du Lionel? Was ist hier eigentlich los? Wieso weißt du davon?“

      Meine Mutter schwieg einen Augenblick, unerträgliche, schmerzvolle Stille breitete umhüllte mich, wie ein schwerer Mantel aus Blei. Mit zaghafter und besorgter Stimme zugleich sagte sie: „ Sarah, ich hatte immer gehofft, dass es nie soweit kommen würde. Doch scheinbar waren alle Sicherheitsvorkehrungen die wir getroffen hatten, umsonst.“

      Was für Vorkehrungen? Und was bedeutet wir?

      Ich sah vor meinem geistigen Auge die Gestalt, die behauptet hatte, mein Vater zu sein und in mir brannte eine Frage wie glühende Kohlen, die plötzlich zu einer großen Flamme empor schossen: „Ist mein Vater wirklich bei einem Autounfall ums Leben gekommen?“

      Tödliches Schweigen. Ich hörte sie kaum atmen. Die Spannung zwischen uns war unerträglich. Es dauerte eine Weile, bis sie endlich zu erzählen begann.

      „Du erinnerst dich doch sicher, dass ich, bevor du geboren wurdest, in einer Bibliothek gearbeitet habe. Manchmal habe ich ganze Nächte dort verbracht. Ich liebte meine Arbeit und zuhause wartete niemand auf mich. Eines Nachts, ich hatte den letzten Bus verpasst, lief ich zum nächsten Taxistand, doch es war kein Wagen in Sicht. Die Straßen waren wie ausgestorben. Regen prasselte unaufhörlich auf den grauen Asphalt, es war dunkel und weit und breit war keine Menschenseele zu sehen.

      Hinter einer Häuserwand trat plötzlich ein Gestalt hervor. Sie ging langsam auf mich zu. Die Umrisse eines jungen Mannes wurden deutlicher und ich dachte, er bräuchte in jener Nacht auch ein Taxi. So machte ich mir keine Gedanken über ihn. Doch eh ich mich versah, stand er dicht hinter mir, hielt er mir ein Messer an den Hals und drohte, er würde mir die Kehle aufschlitzen, wenn ich ihm nicht sofort mein Geld und meinen Schmuck geben würde.“

      Sie stockte einen Moment. Ich schluckte schwer. Sie hatte mir nie davon erzählt. Zwischen Mitgefühl und Zerrissenheit um meiner selbst willen, bat ich sie fortzufahren. Es fiel ihr nicht leicht, ihre Stimme klang belegt und ich konnte durch das Telefon hören, dass sie mit den Tränen rang. Als sie jedoch von einem weiteren Fremden berichtete, wurde ihre Stimme wieder klarer und Euphorie machte sich bemerkbar.

      „Ein zweiter Mann tauchte aus dem Nichts auf, wie ein Schatten, plötzlich war er da. In Windeseile packte er meinen Angreifer und schlug ihm das Messer aus der Hand und verscheuchte ihn mit einem Faustschlag ins Gesicht. Ich weiß noch genau, wie schnell mein Herz vor Angst schlug, denn der Angreifer flog meterweit durch die Luft. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Mein Retter stand vor mir und blickte mich einfach nur an. Er hatte eine wundervolle beruhigende Stimme. Und in seiner Nähe fühlte ich mich unerklärlich sicher, als würde ich ihn schon ewig kennen, als hätte es ihn schon immer in meinem Leben