Sarah Boils Bluterbe. Nicole Laue`. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nicole Laue`
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844261509
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leider keine Zeit, ich hab noch ein Kundengespräch vor mir. Du weißt ja, Termine, Termine Termine.“

      Die kleine Praxishelferin ließ sich nur schwer abwimmeln und quiekte seelenruhig weiter: „Komisch, Martin meinte, ich könnte anrufen, du bist auf den Weg zu Technico.“

      Blödmann? Nein, er war ein Vollidiot!

      Ich versuchte die peinliche Situation zu retten und erwiderte ebenso höflich: „Ja, da bin ich ja auch. Aber ein Kunde hat mich eben angerufen. Ich muss jetzt Schluss machen.“

      Ich atmete tief ein und aus. Der Tag versprach richtig gut zu werden.

      Ich stand vor einem schwarzen, abgenutzten, mit Bedienungsanleitung beklebten Automaten, drückte die Taste B für Reklamation und hielt zwei Sekunden später einen Zettel mit Nummer in der Hand. Rechts über mir prangte an der Wand eine schwarze Tafel, auf der der Reihenfolge nach die Nummern in grüner Leuchtschrift angezeigt wurden.

      Ich schlenderte an den bereits besetzten Stühlen vorbei und steuerte den letzten freien Stuhl an. Vor mir befanden sich fünf Annahmestellen, jedoch war lediglich eine besetzt. Das kleine, dicke Kerlchen mit fettiger Sturmfrisur wetzte ständig in das Lager linker Hand und kam mit irgendwelchen Austauschgeräten zurück. Jedes Mal, wenn er hechelnd den langen Gang zurück gelaufen kam, rief er den wartenden Kunden mit piepsiger Stimme zu: „Noch einen Augenblick Geduld, wir sind unterbeseeeeeetzt.“

      Das letzte Wort zog er so schrecklich in die Länge, dass ich Angst hatte, seine Lungen würden kollabieren. Irgendwie tat er mir sogar leid. Die Schweißperlen, auf seiner Stirn wischte er ständig mit dem Ärmel seines Pullovers ab und ich hoffte, dass er mir nicht gleich die Hand zum Gruße reichen würde. Ich blickte auf die Uhr und seufzte.

      Das kann ja noch dauern!

      Neben mir saß ein junger Freak mit eisernen Ohren. Ähnlich wie bei einem Mutanten, glitzerten seine Ohrmuscheln, als hätte er sie gerade frisch auf dem Schrottplatz einbauen lassen. Ich konnte die vielen Ringe nicht zählen ohne ihn endlos lang anzustarren. Seine Hände waren mit ebenso vielen Ringen bestückt, dass sie aussahen wie gruselige Totschläger eines Bandenmitgliedes aus einer Gettogang. Mit schmutzigen und verklebten Fingernägeln musste er ein ganzes Fußballfeld umgegraben haben. Schwarze Ränder und abgebrochene Ecken und Kanten hinterließen ein Bild des Grauens. Der Gestank von altem Schweiß und Körperfett verteilte sich langsam wie eine Wolke um die wartende und genervte Menschenmenge. Schmatzend kaute er lautstark auf einem grünen Kaugummi herum und machte knallende Geräusche. Mir jagte ein Schauder nach dem anderen über den Rücken.

      Wie kann jemand so leben?

      Ich rutschte soweit ich konnte, auf die linke Kante meines Sitzplatzes.

      Gut, dass ich noch nicht gefrühstückt habe.

      Die Luft war stickig und die Zahlen auf der Tafel veränderten sich nicht im Wesentlichen. Es drohte der absolute Freitagskoller, meine Nerven lagen blank. Ich beobachtete den Eingangsbereich und versuchte mir und meinen Augen ein neues Bild zu schenken. Eine dicke Frau mühte sich vor mir mit einem großen Karton ab, wobei ihr fettiges und strähniges Haar ständig in ihr Gesicht fiel und ihre verquollenen Augen verdeckte. Ihre pink geschminkten Lippen plusterten sich immer wieder flatternd auf und die ungepflegten Haarsträhnen klatschten regelrecht von links nach rechts und blieben auf ihrer Stirn kleben. Dann betrat ein Angestellter des Technicomarktes mit einem Kunden den Wartebereich, indem ich saß und Trübsal blies. Er schob einen Einkaufswagen vor sich her, auf dem sich ein Plasma-Bildschirm befand. Gefolgt von einem jungen, attraktiven Mann im Nadelstreifenanzug.

      Na, das war doch mal ein schmuckes Kerlchen!

      Sein Körper passte brillant in das schöne Stöffchen. Meist hatten Anzüge bei Männern nicht wirklich überall einen guten Sitz, entweder waren die Beine zu kurz, oder die Arme zu lang. Dieser schien jedoch auf seinen Körper maßgeschneidert zu sein. Sein dunkles Haar trug er recht kurz und jede Strähne saß nahezu perfekt. Fast schon zu perfekt. Ich schätze ihn auf Ende dreißig. Sein Profil wirkte recht markant und die hohen Wangenknochen waren stark ausgeprägt. Seine Augen waren blau. Ein seltsames, sehr intensives, helles Blau. Seelenruhig unterhielt er sich mit dem Fachangestellten über sein defektes Gerät, wobei seine Mimik merkwürdig ausdruckslos wirkte. Er war trotz der sichtbar schlechten Laune des Verkäufers die Ruhe in Person. Seine Körperhaltung war grazil und seine Bewegungen waren harmonisch und viel zu sexy.

      Selten. Wirklich sehr selten.

      Ich warf einen Blick auf die Nummerntafel. Mittlerweile schien es etwas schneller voran zu gehen. Das Zifferblatt rollte stetig weiter. Ein zweiter und ein dritter Schalter öffnete sich. Noch siebzehn Nummern und ich war endlich an der Reihe. Ich verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. Aus den Augenwinkeln nahm ich plötzlich einen Schatten wahr, er schoss dieses Mal direkt auf mich zu und ich kniff irritiert die Augen zusammen.

      Vielleicht sollte ich heute Nachmittag doch noch in die Praxis fahren? Langsam wird es bedenklich!

      Eine Stimme neben mir ließ mich überrascht die Augen wieder öffnen und ich blickte in zwei Aqua blaue Kristalle. Mr. Nadelstreifenanzug hatte auf dem freien Stuhl neben mir Platz genommen und betrachtete mich eingehend: „ Ich darf doch?“

      Um nicht unhöflich zu wirken, erwiderte ich: „Ja, sicher, ist ja nicht mein Stuhl.“

      Für einen Augenblick war ich wie erstarrt. Das war nicht echt. Nicht real. Irgendetwas stimmte hier nicht. Er sah von nahem aus, wie eine fertige Wachspuppe, viel zu schön und viel zu makellos. Er strahlte eine schier unglaubliche Gelassenheit und Beherrschtheit aus. Seine Augen leuchteten hellblau wie das Meer an seichten Stellen, wenn der Ozean die letzte Welle im Sonnenlicht mit der Brandung schickte und diese im Sand verschwand. Nie zuvor hatte ich solche Augen gesehen. Und seine Haut war poliertes Elfenbein.

      Er schenkte mir ein strahlendes Lächeln und fragte: „Sitzen sie hier schon lange?“ Seine Augen musterten mich von oben bis unten und sein durchdringender Blick ließ mich unwillkürlich frösteln. Seine weißen, in Reih und Glied stehenden Zähne blitzten auf.

      Mit mir flirtest du nicht einfach so. Den Zahn ziehe ich dir, Bursche.

      „Sieht so aus.“

      Erwiderte ich betont gelangweilt, und mein klebte Blick an ihm wie zähes Kaugummi. Er lächelte und zwang mir charmant ein Gespräch auf. Seelenruhig spielte er mit seiner goldenen Uhr. Seine Finger waren schlank und gepflegt. Sie wirkten jung und kraftvoll. Er lächelte beruhigend und sprach mit einer sanften und untypisch warmen. Männlichen Stimme: „Manchmal denke ich, in der heutigen Zeit entwickeln sie technische Geräte sehr vorausschauend. Frei nach dem Motto, wenn es nur zwei Jahre hält, umso besser, dann kauft der Mensch einfach mehr. Das hätte es früher nicht gegeben. Ich musste gestern Abend in meinem Wohnzimmer fernsehen, weil mein LCD-Gerät auf einmal nicht mehr funktionierte. Dabei ist es gerade mal zwei Monate alt.“

      Zustimmend antwortete ich: „Scheint so, ich bin leider auch öfter hier.“

      Er war nicht unsympathisch, im Gegenteil. So kamen wir ins Gespräch und fast hätte ich meinen eigentlichen Grund vergessen, warum ich hier war. Um nicht verlegen zu wirken, schenkte ich ab und an meinen Blick jemand anderem und beobachtete abwechselnd die Nummern auf der Tafel. Dabei streifte ich unabsichtlich mit meinen Augen seinen Hemdausschnitt.

      Fällt doch gar nicht auf, was ist schon ein winzig, kleiner Blick?

      Die ersten drei Knöpfe trug er offen, seine glatte, helle Brust schimmerte muskulös und war unbehaart. Sein Körper wirkte jung, kraftvoll und dynamisch, sein Blick hingegen trotzte jeder Vorstellungskraft. Seine Augen waren zwar lebendig, doch sie wirkten auf eine seltsam spürbare Weise und viel älter. Dieser Mann faszinierte mich! Sein vorsichtiges Lächeln,