Sarah Boils Bluterbe. Nicole Laue`. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nicole Laue`
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844261509
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mich nie wieder an!“

      Das Blau in seinen Augen wich langsam dem goldgelben Ton seiner Iris und seine Lippen öffneten sich leicht. Ich sah seine spitzen Eckzähne bereits aufblinken. Das erste Mal fühlte ich die Welle seiner Macht über mich einbrechen. Ein seltsam beklemmendes Gefühl machte sich in meiner Brust breit. Ich zuckte zurück. Das Atmen fiel mir zunehmend schwerer und ich keuchte.

      Nein, nicht schon wieder, ich halte das nicht mehr aus.

      Reflexartig umklammerte ich mit beiden Händen schützend meinen Hals und starrte ihn an. Weil mir nichts passendes einfiel, die Traurigkeit des Tages sich unter meine Wut mischte, stotterte ich leise: „Ich…nein..das siehst du ja vollkommen falsch, es ist nur, weil ich doch einfach nicht mehr weiß…..“

      Ich hielt inne. Unsere Blicke klebten aneinander, die Zeit stand wieder einmal still, keiner von uns beiden regte sich. Die Welle seiner Gestalt erfasste meinen Körper und über mich brach eine ungestillte Sehnsucht herein, die ich nie zuvor so stark empfunden hatte. Ähnlich musste es sich anfühlen, wenn man zwei Magneten von einander trennte und sie jeden Weg suchten, um wieder zueinander zu finden. Lionel wirkte genauso perplex und überrascht wie ich.

      Sag was, beiß mich, schlag mich, aber reagiere doch endlich.

      Stattdessen zogen sich langsam seine Zähne zurück, seine Augen nahmen wieder normale Farbe an, er ließ mich los und drückte das Gaspedal durch. Mit quietschenden Reifen lenkte er den Wagen in einem Affenzahn durch das kleine Stadtviertel.

      Ich hielt es für angebracht, einfach mal meine Klappe zu halten.

      Lionel fuhr die Neusser Straße hinunter und bog dann links, in eine kleine Seitenstraße ab. An der nächsten Kreuzung trat er abrupt auf die Bremse, rollte rechts ran und parkte den Wagen vor einer Doppelgarage.

      „ Ich denke es ist besser, wenn ich dich nicht vor der Türe rauslasse.“

      „Ja, ist wohl besser……..Martin freut sich eh, wenn ich um die Zeit nach hause komme.“

      Mein provokanter Tonfall war ihm nicht entgangen und er verdrehte die Augen.

      Verdammt, fragt mal jemand nach meinem Befinden?

      Ich wusste, er las in diesem Moment meine Gedanken, das Stechen in meinem Kopf wurde langsam zur Gewohnheit. Da ich seit Stunden an leichten Kopfschmerzen litt, tat er es vermutlich schon den ganzen Abend, was mich zur Weißglut brachte. Wieso reagierte er dann nicht, wie ich es erwartete. Ich suchte Reaktion in seinem Gesicht, irgendwo musste doch ein Funke Mitgefühl für mich sein, doch wie immer wirkte sein Ausdruck verschwiegen und neutral. Kein einziges Anzeichen einer Gefühlsregung. Nichts. Kein Zucken mit den Augenbrauen, keine Bewegung in seinen Mundwinkeln, nicht mal eine minimale Bewegung seiner Pupillen. Sein Gesicht wirkte wie das einer Porzellanpuppe, starr und unbeweglich. Eine gewisse Form der Enttäuschung machte sich in mir breit, sorgte dafür, dass ein Gefühl der Verletzlichkeit durch meine Eingeweide kroch und sich in irgendwo in meiner Brust ausbreitete und sich festkrallte. Ich war allein. Allein mit all den Dingen, die ein Mensch gar nicht alleine bewältigen konnte. Nicht zu vergessen, ich war vermutlich auch noch `verrückt`. Plötzlich holten mich alle Emotionen dieses Tages ein.

      Wie eine Flutwelle ergriffen sie mich, zogen mich in die aufschäumenden Wellen und peitschten mich durch das Meer, bis sie die letzte Faser meines Seins in die Tiefe zerrten. Ich stieg wie benebelt aus dem Wagen, schlug die Türe zu und nickte ihm noch einmal verwirrt zu. Ich drehte mich in eine andere Richtung, blieb mitten auf dem Gehweg stehen und starrte auf den grauen Asphalt. Ich fühlte mich, wie der plattgetretene Kaugummi, der auf dem Boden klebte und vor sich hin ranzte. Dann brach es aus mir heraus. Ohne zu fragen, ohne es aufhalten zu können. Tränen unaufhörlich und versickerten in meinem Sweatshirt. Ich schluchzte und stand steif wie eine Laterne mitten in der Nacht auf einem leeren Gehweg und heulte. Ich nahm die Welt um mich herum nicht mehr wahr. Machtlosigkeit, Angst und Lähmung klammerten sich an mir fest und meine Beine hatten zu zittern begonnen. Hinter mir schlug eine weitere Autotür zu. Ich nahm es nur noch beiläufig wahr. Erst als jemand seine Hand auf meine Schulter legte und leise sagte: „Hey, das wird schon wieder,“ schluchzte ich noch lauter auf.

      „Nichts wird wieder,“ jammerte ich unter Tränen, wandte mich ihm hilflos zu und klammerte mich, bevor er sich versah, an ihn. Ich schmiss mich gnadenlos in seine Arme. Lionel legte verwirrt und völlig perplex wiederum seine Arme um mich. Meinen Kopf platzierte ich auf seiner harten Brust. Der Geruch seines Aftershaves drang mal wieder in meine Nase und das Beben seines atmenden Brustkorbes beruhigte mich ein wenig. Unbeholfen strich er mir übers Haar und knurrte:„Hey, das ist alles gar nicht so schwer. Veränderungen sind auf diesem Planeten einfach Standard. Du wirst dich schon noch daran gewöhnen.“

      Ich blickte zu ihm hoch. Sein Kopf neigte sich leicht zu mir und er sah mich an. In seinen Augen sah ich das erste Mal einen warmen, fast schon besorgten und fürsorglichen Ausdruck. Fragend und überrascht flüsterte ich: „Kannst du meine Gefühle auch empfinden?“

      „Nein, aber ich kann sie riechen, glaube ich,“ zischte er durch die Zähne. Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, veränderte sich sein Gesicht in rasender Geschwindigkeit.

      Ich wollte gerade noch erwähnen, dass er eigentlich gar kein so schlechter Kerl war, da schossen erneut seine Zähne aus dem Kiefer und seine Augen leuchten goldener, als je zuvor, auf. Er schubste mich mit einem kräftigen Stoß von sich und ich schlug schmerzhaft mit dem Rücken gegen einen Betonfeiler. Seine vorher noch raue und beruhigende Stimme verwandelte sich plötzlich in ein dunkles Brummen und Knurren. Ich stöhnte auf. Mein Schulterblatt war geprellt und ich japste nach Luft.

      „Was tust du da?“

      Mit aufgerissenen Augen stand ich ihm gegenüber. Die Bestie in ihm, zog den linken Mundwinkel hoch und drohte mit einem beängstigen Grollen: „Versuche nie wieder meine Emotionen zu wecken. Ich bin kein Seelentröster für meine Beute. Wenn du mir noch einmal zu nah kommst und mich mit deinen Gefühlen überschwemmst, dann vergesse ich mich und du bist tot.“

      Ich? Gefühle? Er ist wohl nicht ganz bei Trost.

      „Lionel,“ hauchte ich entsetzt und suchte in der Leere seines Blickes, nach jenem letzten kleinen Stück Leben, dass man Seele nennt. Jenes Gefühl, dass eben noch in seinem Blick lag. Es war verschwunden. Fort!

      Ich machte langsam und unbeholfen einen Schritt zur Seite und begann plötzlich zu laufen. So schnell wie meine Beine mich trugen, preschte ich durch die dunkle Seitenstraße, vorbei an den parkenden Autos und dem langen Gitterzaun der den kleinen Friedhof umsäumte. An der nächsten Straßenecke schaute ich noch einmal zurück. Er war fort. Ich lief die letzten Meter nach Hause und kramte den Schlüssel aus der Tasche. Dann schlich ich auf Zehenspitzen durch den kleinen Flur direkt ins Badezimmer. Dort riss ich mir die Klamotten vom Leib und schmiss sie allesamt in die Badewanne. Zum Duschen war es längst zu spät. Ich würde Martin nur unnötig auf mich aufmerksam machen. So verschwitzt wie ich war, tapste ich auf Zehenspitzen ins Schlafzimmer und legte mich vorsichtig neben ihn ins Bett. Ich schaute wie jedem Abend aus dem Fenster. Der Himmel war in dieser Nacht bewölkt. Das trübe Grau zog über die Wipfel der Bäume hinweg.

      Was für eine Nacht.

      „Wo kommst Du her?“

      Martins Stimme ließ mich zusammenzucken.

      „Du bist noch wach,“ stammelte ich und suchte krampfhaft nach eine Ausrede. Sein Schweigen machte es mir nicht einfacher.

      „Du glaubst ja nicht, was mir heute passiert ist,“ und so begann meine erste Lüge. Er öffnete leicht die Augen, hob den Kopf an und gähnte: „Da bin ich ja mal gespannt.“

      „Es war ne Menge los heute am Rhein, vor meinen Augen ist eine Frau kollabiert, ich habe sie ins Krankenhaus gebracht und gewartet bis ihre Familie kam. Ich wollte anrufen, aber mein Akku war leer und du weißt doch, dass ich mir keine Nummern merken kann.“

      Ich