»Britany Hoilding, du unverschämte, verzogene …«, schimpft sie los, aber J.J. packt sie am Arm.
»Lass gut sein, Pippa. Das ist meine Show«, sagt sie knapp und geht langsam auf Britany zu.
Die steht neben ihrem Tisch und stemmt provozierend die Hände in die Hüften, während ihre Freundinnen albern kichern.
»Und was jetzt? Willst du mich hier vor allen Leuten durch die Luft werfen, oder was?«
Die Stimme von Britany ist schrill und laut, aber J.J. hört sie nicht. Irgendetwas in ihrem Innersten beginnt sich plötzlich zu rühren. Unbekannte, dunkle Worte schießen ihr durch den Kopf und plötzlich weiß sie, dass sie dieses Duell gewinnen wird. Ihr Blut pulsiert. Es ist ein ansteigender Takt, als würde eine Armee singender Soldaten durch ihren Körper marschieren. Zum ersten Mal sträubt sie sich nicht gegen dieses merkwürdige Gefühl.
Dann passiert etwas Unglaubliches. Als sie versucht, ihr Tablett abzustellen, reißt es sich plötzlich los und fliegt wie ein Katapult geradewegs auf Britany zu. Die schreit schrill auf und rettet sich im letzten Moment mit einem Sprung zur Seite. Das Tablett zischt nur knapp an ihrem Kopf vorbei, bevor es, von der Wand gestoppt, laut scheppernd zu Boden fällt.
»Seht ihr. Die ist total irre! Wirft mir doch glatt das Tablett an den Kopf! Pippa, dieses Mal kannst du sie nicht in Schutz nehmen! Alle haben gesehen, was passiert ist!«
Weiter kommt Britany nicht. Eine Mitschülerin reißt sie mit einem gewaltigen Ruck unter einen Tisch, bevor ein ohrenbetäubender Knall den Saal erschüttert. Erst herrscht Totenstille, dann bricht schlagartig Panik aus. Wild schreiend rennen die Schüler zum Ausgang. Manche stolpern über umgefallene Stühle, andere kriechen auf allen vieren zur Tür. Pippa zuckt zusammen und erschrickt, als sie bemerkt, dass einer der großen Leuchter heruntergefallen ist. Lediglich ein großes Loch erinnert daran, wo er vor ein paar Minuten noch hing. Zum Glück ist er genau zwischen zwei Tischen gelandet, sodass er nur die Splitter der Glühbirnen und den Deckenputz unter sich begraben konnte.
»Leute! Beruhigt euch doch bitte. Es ist alles völlig in Ordnung. Lasst uns die Sache wie vernünftige Menschen regeln!«, versucht Pippa zu beruhigen, während sie hinter der panischen Meute herläuft.
J.J. steht immer noch wie versteinert im Saal und starrt Britany mit offenen Augen an. Diese hat sich wieder aufgerappelt und starrt fassungslos auf den Leuchter, bevor sie hysterisch losschreit. Dieser Lärm holt J.J. aus ihrer Starre. Sie blinzelt kurz und schaut sich verwirrt um.
»Was ist denn hier passiert? Ein Erdbeben?«, murmelt sie verstört.
Britany stoppt mit dem Gekreische und trampelt wie eine Hexe auf sie zu. Während sie ihr den Zeigefinger unter die Nase hält, beginnt sie hasserfüllt zu fauchen.
»Du bist eine aggressive Furie!«
Dann schnappt sie theatralisch nach Luft und kreischt weiter.
»Ich werde jetzt sofort meine Eltern anrufen und ihnen sagen, dass du mich umbringen wolltest, und das vor allen Schülern! Dann wird Mrs. Rogan gar nichts anderes übrig bleiben, als dich endlich von der Schule zu werfen! Du gehörst in ein Irrenhaus!«
Noch während sie redet, streicht sie ihr geblümtes Kleid glatt und rennt an J.J. vorbei.
Die dreht sich reflexartig um und packt sie am Arm.
»Britany, ich gebe dir einen guten Rat. Halte dich von mir fern und belästige mich nie wieder!«
Britany holt tief Luft und ringt nach Worten voller neuer Gemeinheiten, als J.J. sie einfach stehenlässt und aus dem Speisesaal stürmt. Den Tumult im Gang ignoriert sie. Sie rennt zum Ausgang, da ihr plötzlich speiübel ist. Als sie endlich an der frischen Luft ist, beginnt sich im Kopf alles zu drehen.
»Mist! Was war das denn?«, japst sie leise, als sie den Schülerauflauf auf dem Vorplatz bemerkt.
Und alle starren sie mit großen Augen an! Entnervt legt sie den Kopf in die Hände und überlegt, ob sie eine Rede halten soll, um dem peinlichen Vorfall einen krönenden Abschluss zu verpassen. Aber Pippa eilt ihr voraus.
»Kommt schon, Leute. Das besessene Tablett haben wir eingefangen. Ihr könnt jetzt also wieder in den Speisesaal zurückkommen und weiteressen. Außerdem ist der Leuchter doch schon heruntergefallen, also braucht ihr vor dem keine Angst mehr zu haben!«
Sie stupst J.J. in die Seite und zwinkert ihr verschmitzt zu. Diese winkt genervt ab und geht stur zu ihrem Wohngebäude. Vor der Haustür dreht sie sich noch einmal um. Die Menge hat sich inzwischen etwas gelichtet, aber die restlichen Schüler starren ihr kopfschüttelnd hinterher.
»Das hält doch echt kein Mensch aus«, denkt sie gereizt und schließt eilig die Eingangstür auf.
Sie rennt den langen Flur entlang und sprintet hinauf in die zweite Etage. Dort, am Ende des Ganges, liegt ihr Zimmer, das sie sich seit ein paar Jahren mit Zoé teilt. Ohne sich umzusehen, knallt sie die Tür hinter sich zu und wirft ihre Tasche in die Ecke. Fassungslos schmeißt sie sich auf ihr Bett.
Zoé sitzt im Schneidersitz auf ihrem Bett und liest unberührt in ihrer Zeitschrift.
»Na, schlechten Tag gehabt?«, fragt sie, ohne von ihrer Lektüre aufzusehen.
J.J. springt hoch und schnaubt.
»Du glaubst nicht, was gerade passiert ist«, beginnt sie hektisch zu erzählen, als Zoé ihr ins Wort fällt. Sie massiert theatralisch ihre Schläfen, während sie die Augen gruselig unter den geschlossenen Lidern hin und her wandern lässt.
»Lass mich raten. Britany hat dich provoziert, worauf du dich entschlossen hast, dein Tablett nach ihr zu werfen. Weil dir das aber nicht dramatisch genug war, hast du gleich noch den Leuchter von der Decke gerissen, sodass alle Schüler in Todesfurcht aus dem Speisesaal gestürmt sind!«, orakelt sie mit hoher, leiser Stimme.
J.J. sieht sie entsetzt an und ringt nach Worten.
»Kannst du Gedanken lesen?«, fragt sie verwirrt.
Zoé lacht und legt ihre Zeitschrift zur Seite.
»Das brauche ich nicht, solange Selena an dieser Schule ist. Ungefähr zehn Sekunden nach dem Vorfall habe ich eine SMS von ihr bekommen. So wie der Rest der Schule auch.«
Seufzend steht sie auf und geht zu ihrer verzweifelten Freundin.
»Was ist eigentlich mit dir los? Ich weiß, dass Britany eine verwöhnte dumme Gans, nein, eine sehr verwöhnte dumme Gans ist. Aber diese Dinge, die dir da ständig passieren, sind schon sehr suspekt. Vielleicht sollten wir mal einen Arzt aufsuchen. Sieh mal, ich fahre in vier Tagen nach Hause, dann bist du hier ganz allein. Na gut, Pippa und ihre Töchter bleiben auch auf dem Campus. Aber hier in diesem Zimmer bist du allein! Vielleicht solltest du doch mit mir mitfahren. Ich könnte meine Eltern gleich fragen. Die freuen sich bestimmt!«
J.J. setzt sich an ihren Schreibtisch und starrt betroffen aus dem Fenster.
»Danke, Zoé. Nimm es mir bitte nicht übel, aber ich habe keine Lust auf Campingurlaub und Marathonwanderungen. Ich bleibe hier bei Pippa. Ich denke, das ist einfach nur der Stress. Wenn ich es gar nicht mehr aushalte, rufe ich dich an. Versprochen!«
Zoé winkt ab und widmet sich wieder ihrer Zeitschrift. J.J. legt sich auf ihr Bett und denkt nach.
»Was hat mich bloß so wütend gemacht? Zoé hat recht. Britany war schon immer eine richtige Nervensäge. Aber ich konnte über ihre Dummheit immer lachen! Sie hat vorhin meine Eltern erwähnt. Das war bestimmt der Grund! Es ist seltsam. In den letzten Jahren habe ich überhaupt nicht mehr an sie gedacht. Es ist irgendwie so, als hätte ich überhaupt keine eigene Familie gehabt oder sie einfach vergessen. Aber so etwas ist doch eigentlich unmöglich! Ich brauche dringend eine Limonade.«
Sie schlendert zum Kühschrank und bemerkt überhaupt nicht, dass sie schon auf dem Weg dorthin ihre Eltern wieder vergessen hat. Entschlossen setzt sie sich an den Zeichentisch, um an ihrem