Klank, der Affe, ist mittlerweile so genervt, dass er sich die Ohren zuhält. Das würde Lincoln, der Halbtagshund, auch sehr gern tun. Allerdings muss er hinter seinem besten Freund herjagen, da er ihn beim Naschen an der Geburtstagstorte erwischt hat. Diggler, das Werschwein, rennt wie der Teufel und versucht seinem Freund zu entkommen.
»Diiigleeer! Na warte, wenn ich dich erwische!«
Lincoln spurtet zwischen dem Festkomitee hindurch und flitzt mit einem Affenzahn hinter dem Tunichtgut her. Das Werschwein rennt, als ob es um sein Leben ginge, und versucht sich in letzter Minute in den Garten zu retten. Bei dem Versuch, die Abkürzung durch die Hundeklappe zu nehmen, bleibt er letztendlich in der viel zu kleinen Öffnung stecken. Diggler zappelt und zerrt, aber es ist zwecklos. Sein Hinterteil steckt in der Hundeklappe fest! In seiner Not beginnt er jämmerlich zu wimmern, um den Halbtagshund zu besänftigen.
»Ich bin völlig unschuldig! Ich kann mich überhaupt nicht daran erinnern, drei Mal in diese zuckersüße Torte gebissen zu haben«, stammelt das Werschwein verlegen und nimmt noch einmal alle Kraft zusammen.
Mit einem letzten, kräftigen Ruck versucht er, seinen Körper durch die Luke zu ziehen. Da tut es einen lauten Knall und das Unvermeidliche passiert. Das Werschwein liegt mitsamt der Hundeklappe im Garten. Lincoln läuft entsetzt zu seinem Freund und sieht nach, ob er sich verletzt hat. Aber Diggler geht es gut, wenn man die Tatsache untergräbt, dass er die Hundeklappe nun um die Hüften trägt. Der Halbtagshund starrt ihn mit aufgerissenen Augen an und lacht laut los. Das vergeht ihm allerdings schnell, als er Rosinante, Oma Vettels alten Reisigbesen, hinauskommen sieht. Als Rosinante die Bescherung sieht, neigt sie sich wie ein Schwert nach vorn und jagt hinter den beiden Halfies her, um ihnen gehörig den Hintern zu versohlen.
Jezabel vertreibt sich derweil die Zeit, indem sie auf Flick, ihrem hüpfenden Teppich, durch die festlichen Räume hüpft. Auf ihrem Kopf sitzt Rosie, die Octopusschlange, und fängt mit ihren elf Tentakeln bunte Zuckerwattewölkchen ein. Es herrscht also wie immer ein fröhliches, lautes Durcheinander. Bis Oma Vettel endlich mit der dreistöckigen Sahnecremetorte aus der Küche getanzt kommt, die sie geschickt durch den Türrahmen des Esssalons balanciert.
»Jezabel, bitte sei ein liebes Mädchen und wasch dir die Hände. Wir wollen jetzt deine Geburtstagstorte anschneiden!«
Die alte Dame zeigt verzückt auf das Konditormeisterwerk und sieht ihre Enkelin erwartungsvoll an, die vor Begeisterung in die Hände klatscht. Mit großen Augen stellt sich Jezabel davor und streckt ihren Kopf weit nach oben. Auf jeder Etage ihrer Geburtstagstorte tanzen winzige Zuckerelfen um wunderschöne exotische Blumen aus süßer, köstlicher Sahne, die wiederum von prachtvollen Schmetterlingen umschwärmt werden. Die Krönung bildet ein gewaltiges Feuerwerk, das in allen Farben des Regenbogens aus der Spitze sprüht.
»So, meine Lieben. Seid ihr alle fertig? Dann kann es ja losgehen!«
Oma Vettel nickt den Anwesenden zu, bevor sie das Geburtstagsständchen dirigiert.
»Happy Birthday to you. Happy Birthday to you. Happy Birthday, liebe Jezabel! Happy Birthday to you!«
Der tosende Applaus, gemischt mit ohrenbetäubenden Pfiffen und »Yeah«-Rufen, macht das Geburtstagskind ganz verlegen. Nervös zupft sie an ihrem wunderschönen Tüllrock und nimmt Oma Vettel an die Hand.
»Danke, Großmutter. Das ist die beste, schönste, größte und wunderlichste Torte, die du mir je gezaubert hast! Ich liebe sie so sehr wie die anderen auch. Ich habe dich furchtbar lieb!«
Jezabel umarmt ihre Großmutter und hüpft anschließend zu Broaf, dem Diener, und haucht ihm ein leichtes Küsschen auf die Wange.
»Kannst du mich bitte hochheben? Ich will meine Geburtstagstorte anschneiden.«
Broaf verbeugt sich, so wie er es immer tut, und hievt das kleine Mädchen auf seine Schultern.
Vorsichtig reicht er ihr die Hauskatze, die, wie die meisten Dinge in diesem Haus, kein gewöhnliches Tier ist. Xinthalius ist eine pechschwarze, uralte, ägyptische Mau-Katze, der aus der Stirn eine etwa zwanzig Zentimeter lange schneeweiße Klinge ragt. Diese ist rasiermesserscharf, weshalb sie üblicherweise mit einer festen, diamantbesetzten Lederkappe bedeckt wird. Xinthalius ist ein Halfie, ein Geschöpf, das Opfer eines misslungenen Zaubers oder magischen Experimentes geworden ist. Diese Wesen werden normalerweise auf die Deponie gebracht. Das ist ein schrecklicher Ort im dunklen Zauberreich, auf dem der »Magische Müll« landet und von dem es kein Entkommen gibt. Die Deponie ist das Werk des Hexenrates und wird von dessen abscheulichen Wärtern streng bewacht. Nur wenigen Halfies gelingt die Flucht durch den verwunschenen Ausgang, durch den sie direkt in Oma Vettels Keller gespült werden. Einige Bewohner des dunklen Phads wissen, dass Vettel heimlich eine Pension für Halfies betreibt, aber niemand im Zauberreich sieht eine wirkliche Bedrohung darin. Der Eingang zu dieser geheimen Halfiepension ist eine WC-Schüssel, die Oma Vettel vor ein paar Jahren unter sehr schwierigen Bedingungen auf die Deponie schmuggeln konnte. Da es jedoch zu gefährlich war, sie an einem bekannten Ort zu installieren, hat Oma Vettel sie so verzaubert, dass sie regelmäßig ihren Standort ändert. Das hat natürlich den entscheidenden Nachteil, dass niemand weiß, wo sich der Ausgang gerade befindet, und deshalb gelingt es auch nur Wenigen, die verwunschene WC-Schüssel zu finden.
Wenn ein glücklicher Halfie sie dennoch entdeckt, muss er außerordentlich zügig handeln. Er muss unversehens in die WC-Schüssel steigen und auf den Spülknopf drücken. Nachdem er von einem kräftigen Wasserstrudel hinabgezogen wurde, landet er daraufhin nach etlichen Umdrehungen in dem Fluss, der sich durch Oma Vettels Keller schlängelt. Dies hat dem Haus schon einige, sehr seltsame Bewohner beschert, die allesamt hoffen, dass die Hexe sie eines Tages wieder zurückverwandeln kann. Aber diese Gegenzauber zu finden, ist selbst für eine mächtige Hexe wie Oma Vettel fast unmöglich.
Auf jeden Fall kam Xinthalius auf diesem Wege in dieses Haus.
»Schön vorsichtig, meine Liebe. Ich möchte nicht, dass du dich schneidest.«
Jezabel nimmt die Katze fest zwischen ihre Hände und hievt sie hoch an die Tortenspitze. Die Katze neigt den Kopf und lässt die Klinge in die Torte sinken. Nun führt Jezabel sie behutsam durch die sahnigen Etagen. Derweil holt Oma Vettel die Kuchenteller, damit Jezabel jedem Gast ein großes Stück Geburtstagstorte reichen kann. Das Erste bekommt wie immer Broaf, der einzige Mann im Haus.
»Ich danke dir von ganzem Herzen, junge Dame. Ich hoffe, dass es so vorzüglich schmeckt, wie es aussieht. Möge jeder Bissen deine glücklichen Tage besiegeln!«, singt er mehr, als dass er es sagt, und zwinkert ihr zu. Dann zieht er sich mit einer leichten Verbeugung zurück, damit sich auch die anderen Bewohner in einer langen Reihe aufstellen können.
Als jeder ein großes Stück Sahnetorte auf seinem Teller hat, setzen sie sich an den wunderschönen Esszimmertisch und trinken Kakao oder Milch. Jezabel, die immer noch auf dem hüpfenden Teppich sitzt, verputzt gleich drei Stückchen hintereinander. Man mag sich streiten, aber zumindest in diesem Moment ist sie das glücklichste Kind auf der Welt. Als sich die Kuchenrunde aufgelöst hat und Broaf die letzten Reste der Torte beiseite räumt, kommt Oma Vettel mit einem Geschenk in den Esssalon. Das Paket ist in festem, braunem Papier eingewickelt, dessen Oberseite eine gelbe Schleife ziert. Die alte Hexe stellt es mitten in den Raum und geht feierlich auf ihre Enkelin zu.
»Meine liebe Jezabel. Ich wünsche dir alles, alles Liebe und hoffe, dass du dich genauso sehr über das Geschenk freuen wirst wie ich. Es ist heute Morgen für dich angekommen. Komm schon, mach es auf!«
Die Augen des Mädchens beginnen aus Vorfreude zu funkeln. Sie rennt zu ihrem Geschenk und versucht es zu öffnen.
»Was da wohl drin ist? Vielleicht ein Puppenhaus für meine lebendigen Puppen oder das Luftfahrrad. Aber nein! Das darf ich ja erst mit acht Jahren fahren. Großmutter, hilf mir bitte! Ich bekomme die Schleife nicht auf.«
Oma Vettel schnippt mit den Fingern,