Zu sortieren, was Gottes Sache ist – und was unsere, dabei hilft uns die Bibel und gibt gleichzeitig viele Beispiele.
Ich halte solche Unterscheidung für enorm wichtig, hilfreich und entlastend. In allem, was ich in diesem Buch benenne und worüber wir reden: Immer ist zu sortieren, wer wofür zuständig ist. So schützen wir uns nicht nur vor Überforderung und Resignation, sondern wir nehmen auch ernst, was wir glauben: Dass Gott handelt, macht und wirkt.
✪Gehen Sie doch einmal Ihre Lebensfelder durch und überlegen Sie, was Gottes Sache ist – und wo Sie als Person oder Gemeinde verantwortlich sind (bei Ihren Kindern, in der Partnerschaft, im Gemeindeaufbau, bei gesellschaftlichen Themen usw.).
Gelingt es Ihnen, einmal aufzulisten, was Gottes Sache ist (und wofür Sie dann beten) – und was Ihre und die Ihrer Gemeinschaft (und was Sie dann anpacken)? Ein Gespräch darüber kann richtig spannend werden.
2. Auf wen wir hören ...
»Denn wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren. Wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es finden.« (Mt. 16,25)
Erschreckt Sie so ein Satz? Macht Ihnen ein derart konsequenter Ansatz Angst?
Ich könnte das verstehen. Sein Leben erhalten, wer wollte das nicht?! Was tun wir nicht alles, um es zu erhalten? Ärzte, Krankenhäuser, Polizei, Feuerwehr, Versicherungen ... die Liste von Institutionen, die uns dabei helfen sollen, ist lang. Lebenserhaltende Maßnahmen werden bis zum letzten Atemzug eingeleitet. Genau dies will ich: Mein Leben erhalten. Und das sollte mit der Bindung an Jesus Christus nun anders werden? Als Christ soll ich mein ganzes Leben aufgeben?
Hören wir genauer hin: Da ist nicht nur von Aufgeben die Rede, sondern auch von einer riesigen Chance, das Leben zu finden. Welches »Leben« meint Jesus? Ein Leben in der »besseren Gerechtigkeit«, eines ohne den Stress der Selbsterlösung, ohne ständige Rechtfertigung vor mir selbst, anderen und Gott, ohne dauerndes Beweisen meiner Existenzberechtigung – und auch ein Leben ohne Angst, es wieder zu verlieren, ohne Todesangst. Ewiges Leben.
Was Jesus mit »Leben« meint, wird deutlich, wenn wir auf ihn selbst schauen. Natürlich ist auch »normales« Leben gemeint. Jesus ist ganz normal aufgewachsen, hat eine Kindheit im Kreis von Geschwistern und Eltern durchlebt und einen Beruf erlernt. Dann ist er konsequent seiner Berufung gefolgt und drei Jahre lang als Prediger, Lehrer und Heiler unterwegs gewesen. Er hat sich für Menschen eingesetzt, wurde enorm wichtig für sie. Er hat in einer Gemeinschaft gelebt, Freunde gehabt und ganz sicher sein Leben auch genossen (seine Gegner haben ihn sogar als »Fresser und Weinsäufer« verhöhnt).
Nie hat sich Jesus allerdings an das Diesseits geklammert, als gehe das Leben irgendwann zu Ende. Auch als es eng wurde, am Passah in Jerusalem, hat er sein Leben nicht verteidigt, sondern sich dem gestellt, was kommen sollte.
Immer hat Jesus das Leben im Horizont der Auferstehung gesehen. Ewiges Leben. Das Himmelreich auf Erden. Vor allem wenn wir die tiefe Einheit Jesu mit Gott wahrnehmen, erschließt sich, was er unter »Leben« verstand. Es ist die unauflösliche Verbindung mit dem, der das Leben geschaffen hat und es selber ist, mit Gott, dem Schöpfer und Vater.
Ein Freund von mir, früher Pastor in Uelzen, hat einmal einen Brief bekommen. In wackliger Handschrift stand dort: »Wenn Sie noch einmal vom Tod reden, passiert Ihnen was!«
Wer diesen Drohbrief geschrieben hatte, wurde nie geklärt. Vermutlich war es ein älterer Mann. Ob er Angst vor dem Tod hatte, vor dem Sterben? Ein Kirchgänger, dem die Predigt vom »Leben verlieren« zu nahe ging? Ich kann mir das denken. Nicht vorstellen kann ich mir allerdings, dass wir daraufhin das Thema Sterben und Tod ausblenden. Wenn es auch seinen Platz haben sollte und es noch viele andere wichtige Themen gibt – wir müssen auch über den Tod reden. Er ist es doch, der das Leben bedroht. Er ist der eigentliche Feind des Lebens und so lange er stärker als das Leben ist, haben wir verloren.
Doch Jesus ist auferstanden. Deshalb, nur deshalb kann er mit vollem Recht von »Leben« reden. ER ist das Leben.
Was übrigens logisch ist: Nur wenn der Tod wirklich besiegt wird, kann man davon sprechen, dass sich das Leben durchsetzt. Unser üblicher Begriff von »Leben« bleibt damit unscharf und greift viel zu kurz. Er meint immer das bedrohte Leben, das todgeweihte, das endliche und vergängliche Leben. Wir verteidigen es und erhalten es und wissen doch gleichzeitig, dass es irgendwann vergeht. Doch angenommen, Jesus hat den Tod tatsächlich überwunden und ihn durchbrochen – dann wäre eben dies eine, nein, die begründete Hoffnung auch für unser und mein Leben. Erst ein Leben, das der Tod nicht zerstört, trüge den Namen »Leben« zu Recht. Es bräuchte dann auch keine lebenserhaltenden Maßnahmen mehr, weil das Leben über den Tod hinaus ohnehin gesichert ist.
Auferstehung. Ostern.
Jesus sagt, dass man genau dieses Leben finden kann! In dieses Leben kann man eintauchen und es in Ewigkeit erleben.
Wie das geht? Unser Vers weist die Richtung.
Die einzig wirksame lebenserhaltende Maßnahme: Ich verliere mein Leben an Jesus Christus. Ich setzte alles auf ihn – auch den alten, irrtümlichen Lebensbegriff und das, an das ich mich im Moment festklammere wie an den berühmten rettenden Strohhalm.
Wieder wird, wie vorhin beschrieben, differenziert: Das Leben wird geschenkt. Weder kann es noch muss es selbst gemacht werden. Aber man kann und muss es sich schenken lassen. Im Empfangen ist man aktiv beteiligt. Solches »Leben finden« hat eine konkrete Gestalt und eine sichtbare Form und jenes »sein Leben um Jesu willen verlieren« ist mit konkretem Handeln verbunden.
Der Ruf in die Nachfolge
Sehr gut sieht man dies an den Berufungsgeschichten der Jünger Jesu (z.B. Mt. 4,12f. oder Lk. 5,1f.). Sie beginnen jeweils mit einer Aufforderung Jesu. Diese eröffnet eine neue Lebenswirklichkeit. »Komm, folge mir nach!«
Jesu Ruf zur Nachfolge war und ist keine Bitte. »Petrus, wenn du Lust hast, komm doch mit mir.« »Matthäus, bitte lass doch dein altes Leben hinter dir und folge mir nach.« »Nathanael, überleg es dir noch mal, lass dir Zeit.«
Nein, Jesu Ruf war und ist eine Herausforderung, eine Ansage – wenn man so will ein Befehl. Entweder man steht auf und geht mit – oder nicht. Es gibt jetzt nur Ja oder Nein.
Krass – oder? Ich denke, es lohnt sich, diese Radikalität einmal in Blick zu nehmen.
Für uns in Deutschland ist Christsein von solcher Klarheit oft weit entfernt. Wir sind einfach so ins christliche Abendland hineingeboren. Manche haben den Glauben schon »mit der Muttermilch aufgesogen«, andere sind über Kinder- und Jugendarbeit in die Gemeinde gekommen. Wieder andere haben sich in einem Glaubenskurs oder auf einer Jugendfreizeit ganz bewusst für Jesus Christus entschieden. Da gibt es so viele Unterschiede, wie es Biografien gib. Und das ist gut so. Wenn wir anfangen, die Zugänge zum Glauben zu untersuchen und womöglich zu bewerten, kommen wir »in Teufels Küche« (die Redewendung stammt aus dem Mittelalter und meint das Fegefeuer, in dem man keine Zukunft hat). Es kann also nicht darum gehen, unsere Biografien und die Wege zum Glauben miteinander zu vergleichen und in Konkurrenz zu bringen.
Auch die Art, wie wir zum Glauben einladen, unterscheidet sich von der klaren, rufenden Weise Jesu, jedenfalls in der Regel. Wir leben in einer freien Gesellschaft. Jede und jeder macht sich sein eigenes Bild und macht was er oder sie will. Ich entscheide, was und wem ich glaube, folge und hinterherlaufe. Alles andere wäre Manipulation und Nötigung. Folglich ist der Glaube ein Angebot. In unserer pluralistischen Gesellschaft ist er ein Angebot unter vielen. Die einzig legitime Form des Rufes zum Glauben an Christus ist die Einladung. Wir werden weiter hinten noch darüber sprechen. Eine offene Einladung mit viel Freiraum zur Entscheidung für oder gegen – anders kann ich mir heute nicht vorstellen, Menschen zum Glauben und in die Nachfolge zu rufen.