Die Bruderschaft des Baums. Stefan Kraus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefan Kraus
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847633525
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Hause.

      Sein Vater horchte auf, als Hanrek erzählte, wen er ins Dorf begleitet hatte. Der Steuereintreiber war unerwartet gekommen.

      „Stonek. Kannst du bitte bei den elf anderen Dorfratsmitgliedern vorbei laufen. Sag ihnen, ich würde sie bitten, zu uns zu kommen. In einer Stunde wäre gut. Ich möchte wegen des Steuereintreibers hier in unserem Haus ein kurzes Treffen haben. Hanrek, ich möchte, dass du auch dabei bist. Du sollst noch mal kurz berichten, was du mit dem Steuereintreiber gesprochen hast und wie er so ist.“

      Stonek sauste los und eine Stunde später saß der ganze Dorfrat sowie Hanrek etwas beengt um den schweren Esstisch. Zaras hatte jedem das gewünschte Getränk in die Hand gedrückt. In kleinen Gruppen unterhielten sich die Frauen und Männer des Dorfrats. Dabei hatten viele eine besorgte Miene aufgesetzt. Da war Hirt der Bauer vom anderen Dorfende, Moreno der Dorfschmied, Zacharia der Dorfgelehrte, Wackes der Wirt von der Dorfschenke, der seinen Posten in der Schenke nur ungern verlassen hatte. Er hatte selbst kurz mit Lucek dem Steuereintreiber gesprochen und ihm ein Zimmer für die Nacht vermietet.

      Pirion bat um Aufmerksamkeit.

      „Wie ihr ja alle mitbekommen habt, ist heute Abend der Steuereintreiber aufgetaucht. Mein Vorschlag ist, dass vor allem der Dorfrat mit dem Steuereintreiber spricht. Die Gefahr, dass von uns jemand mit etwas prahlt, was der Kerl hinterher besteuern will, ist klein. Wir haben zwar alle nichts zu verbergen, aber solange wir den Mann nicht kennen und einschätzen können, halte ich das für den richtigen Weg.“

      Im letzten Jahr war der Steuereintreiber wahrscheinlich wegen des Erdbebens nicht gekommen. Der jetzt aufgetauchte Steuereintreiber war neu und gänzlich unbekannt. Außerdem war er für einen Steuereintreiber sehr jung. Pirion vermutete, dass dieser sich noch profilieren wollte und daher übermotiviert war. Das waren Voraussetzungen, die die Gespräche vielleicht schwieriger machen konnten als nötig.

      Hanrek und Wackes berichteten kurz über ihre Begegnungen mit Lucek. Für Hanrek war das eine sehr ungewohnte Situation. Und das eine oder andere Mal geriet er leicht ins Stocken, da er nicht wusste, ob er zu ausführlich berichtete. Immer wenn er stockte, suchte er instinktiv den Blick seiner Mutter, die sich dezent im Hintergrund hielt, da sie ja nicht Teil des Dorfrats war. Sie nickte ihm jedes Mal beruhigend zu und er fuhr dann jedes Mal bestätigt fort. Nachdem noch die eine oder andere Frage von den Dorfratsmitgliedern gestellt worden war, bedankte sich Pirion bei den beiden. Hanrek war dankbar, als es vorbei war und er merkte erst jetzt, dass er ganz durchgeschwitzt war.

      Man besprach sich noch eine Weile und am Ende einigte man sich darauf, den Steuereintreiber zum Gespräch in die Schenke zu bitten.

      Als alle gegangen waren, fragte Hanrek seinen Vater: „Warum macht ihr euch wegen Lucek so große Sorgen? Ich denke, er ist ganz nett.“

      „Nun. Dass er ganz nett ist, wie du sagst, ist eine Sache. Aber wenn er die falschen Steuern erhebt, kann das für den einen oder anderen aus dem Dorf eine große Belastung sein. Wer will schon einen wertvollen Bullen verkaufen müssen, nur damit er die Steuern bezahlen kann. Natürlich unterstützen wir uns im Dorf untereinander, wenn einer in Not ist, so wie wir das ja schon immer getan haben, aber das sollte wenn möglich die Ausnahme bleiben und vor allem sollte es nicht an den Steuern liegen. Oder denk nur mal an die Ledersäckchen mit dem Holzmehl vom Heronussbaum, die wir im Keller vergraben haben oder gar an deinen Stab. Willst du den versteuern, nur weil irgendjemand seinen Mund nicht halten kann?“

      „Oh.“

      Da hatte Hanrek begriffen. Noch in der Nacht suchte er sich ein sicheres Versteck, in das er seinen geliebten Stab versteckte. Er nahm sich fest vor, seinen Stab bei nächster Gelegenheit so zu präparieren, dass keiner ihn als kostbar erkennen würde.

      Am nächsten Vormittag traf sich wie verabredet der Dorfrat mit Lucek in der Schenke. Lucek gefiel die Idee sich mit nur wenigen im Dorf auseinanderzusetzen, da er dann nicht von Haus zu Haus gehen musste.

      Der Steuereintreiber begann damit zu erzählen, dass der vorherige Steuereintreiber bei dem Erdbeben gestorben war.

      „Er wurde mit zwei seiner Gehilfen in seinem Haus verschüttet. Man konnte alle drei leider nur noch tot bergen. Das ist natürlich auch der Grund, wieso im letzten Jahr niemand zum Eintreiben der Steuern gekommen ist.“

      „Aber ihr wollt doch nicht ...“, setzte Pirion an.

      Doch Lucek unterbrach ihn.

      „Keine Sorge. Die Steuern vom letzten Jahr werden euch erlassen.“

      Erleichtert atmeten die Dorfratsmitglieder am Tisch aus. Man unterhielt sich dann eine Weile über das Erdbeben und die Auswirkungen, die es hatte.

      „Ich bin erst ein halbes Jahr nach dem Erdbeben nach Haffkef gekommen und natürlich ist viel schon wieder aufgebaut worden aber es gibt in der Stadt noch große Schäden und noch viel zu tun.“

      Lucek fuhr fort.

      „Der Tef hat mir erzählt, dass ihr um Hilfe ersucht habt, er hatte aber keine Möglichkeit welche zu schicken. Ich soll euch noch mal sein Bedauern mitteilen. Sobald er kann, will er euch selbst einmal besuchen.“

      Die Unterredung stellte sich alles in allem als erfolgreich für die Dorfbewohner dar. Der Steuereintreiber war umgänglich und nicht unverschämt in seinen Forderungen und Pirion hatte den Eindruck, dass sie gut mit ihm auskommen würden. Doch dann kamen sie zu einem Punkt, der Pirion im Innersten traf.

      „Wie ich ja bereits erzählt habe, sind der letzte Steuereintreiber und zwei seiner fähigen Gehilfen beim Erdbeben gestorben.“

      Dabei warf Lucek unbewusst einen kurzen missbilligenden Blick auf die beiden Gehilfen, die an einem weiter entfernten Tisch ebenfalls in der Schenke saßen und dort schon mehrere Gläser Bier getrunken hatten. Pirion war sich fast sicher, dass sie Kirtan, die Tochter des Wirts mit unflätigen Bemerkungen belästigt hätten, wenn nicht ihr Meister in der gleichen Schenke gesessen hätte.

      „Ich selbst bin jetzt seit einem halben Jahr in Haffkef. Die normale Anzahl an Gehilfen, die ein Steuereintreiber benötigt, liegt bei vier, ich habe zurzeit aber nur zwei Gehilfen und ich bin auf der Suche nach zwei neuen Jungen, die ich zu Gehilfen ausbilden kann. Heute habe ich einen davon gefunden. Es ist Hanrek.“

      Pirion wollte sofort widersprechen. Aber es hatte ihm die Sprache verschlagen. Mit so etwas hatte er nicht gerechnet. Als er dann seine Sprache wiedergefunden hatte, klang alles, was er vorbrachte, lahm gegen die selbstbewusst vorgetragene Forderung des Steuereintreibers.

      „Ich weiß“, sagte Lucek, „das kommt jetzt sehr überraschend und ist für dich Pirion ein ziemlicher Schlag. Aber ich habe meine Wahl getroffen. Wie du weißt, habe ich heute Nachmittag Hanrek auf dem Weg hierher getroffen. Er hat erkannt, dass mein Pferd lahmt, ehe ich es bemerkt habe. Dann hat er mit einer ausgezeichneten Fingerfertigkeit den Stein aus dem Huf entfernt. Ich habe mich mit ihm unterhalten und habe festgestellt, dass er nicht auf den Kopf gefallen ist. Ich habe mich daraufhin über Hanrek im Dorf erkundigt und nur das Beste über ihn gehört. Sein Ausbilder war voll des Lobes über ihn und seine Fertigkeiten mit dem Stab. All das sind Eigenschaften, die er als Gehilfe eines Steuereintreibers gut gebrauchen kann. Und wer weiß, vielleicht wird er ja selbst einmal Steuereintreiber.“

      Lucek fuhr fort.

      „Wie du weißt, werden die Eltern des Lehrlings damit entschädigt, dass sie die nächsten beiden Jahre keine Steuern bezahlen müssen. Ich werde Hanrek nicht sofort mitnehmen. Ich mache meine Runde noch über die anderen Dörfer und komme auf dem Rückweg wieder vorbei. Dann nehme ich den Jungen mit.“

      Nach einer Weile fügte er noch hinzu.

      „Ich komme morgen bei euch vorbei und rede selbst mit Hanrek.“

      In Hallkel war es Jahre her, dass ein Steuereintreiber von seinem Recht Gebrauch gemacht hatte, einen jungen Lehrling notfalls gegen den Willen der Eltern und des Lehrlings selbst einfach zu bestimmen.

      Pirion ging niedergeschlagen nach Hause und berief trotz später Stunde einen Familienrat ein. Als alle um den Küchentisch versammelt waren, erzählte er die